„Verfolgter Journalist erhebt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schwere Vorwürfe gegen das Kreml-Regime“ – mein Artikel auf bild.de
Systematisches Ermorden von Kritikern, Schaffen eines Klimas der Angst – es sind schwere Vorwürfe, die der russische Journalist Arkadi Babtschenko (41) gegen das Regime von Kreml-Chef Wladimir Putin erhebt. Jetzt auch ganz offiziell vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Der EGMR hat nach BILD- Informationen die Klage gegen Russland zugelassen.
Babtschenko befinde sich im ukrainischen Exil „in ständiger Angst um sein Leben; seine Bewegungsfreiheit ist strikt eingeschränkt aus Sicherheitsgründen“, heißt es in der Anlageschrift, die BILD exklusiv vorliegt. „Er ist gezwungen, an einem geheimen Ort zu leben, unter ständiger Bewachung.“Der Gerichtshof bestätigte in einem Schreiben an Babtschenkos Anwältin den Eingang der Klage.
„Der Anschlag auf das Leben des Klägers und seine fortwährende Gefährdung haben das Ziel, ihn dafür zu bestrafen, dass er sein Recht auf Meinungsfreiheit als Journalist wahrnimmt“, steht in der Klage. Die Drohungen gegen Babtschenko seien Teil eines „Vorgehensmusters“, mit dem Moskau Kreml-Kritiker zum Schweigen bringen wolle.
Weiter heißt es: „Es gibt klare Beweise dafür, dass der russische Staat eine Verwaltungspraxis eingeführt hat, Mordanschläge zu verüben auf Dissidenten, Journalisten“ und andere Kritiker des Kremls und des Präsidenten. Diese Pläne würden „im Kreml ausgebrütet und autorisiert“.
Im Juli 2006 sei im Parlament in Moskau ein Gesetz verabschiedet worden, das den russischen Behörden im Ausland formell das Recht zum „rechtsfreien Ermorden“ gebe – von Menschen, die zu „Terroristen“ oder „Extremisten“ erklärt wurden. Dieses Gesetz „reflektiert genau die staatliche Politik des Mordens“, heißt es in der Anklageschrift. So werde absichtlich ein „feindliches Umfeld“ geschaffen, in dem Journalisten wüssten, dass Kritik am Kreml oder an Präsident Wladimir Putin sie in Todesgefahr bringe. Dieses Gesetz „reflektiert genau die staatliche Politik des Mordens“, heißt es in der Anklageschrift.
In der Anklageschrift folgt eine lange Liste von gut zwei Dutzend Todesfällen, hinter denen Kremlkritiker die russische Regierung sehen.#
Babtschenko beantragte bei den Richtern in Straßburg, die russischen Behörden „formal aufzufordern, alle angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um die vorliegende Gefährdung seines Lebens abzuwehren“. Den Antrag auf eine entsprechende Eil-Entscheidung („einstweilige Maßnahmen“) lehnten die Richter zwar ab. Doch die Klage wird jetzt auf dem normalen Rechtsweg entschieden.
Babtschenko sorgte im Mai 2018 weltweit für Schlagzeilen: In einer aufwändigen Inszenierung täuschten ukrainische Behörden die Ermordung des Kreml-Kritikers in Kiew vor. Sogar Schweineblut kam zum Einsatz, um den vermeintlichen Mord echt wirken zu lassen. Zuvor hatten sie Wind von einem Mord-Komplott des Kreml bekommen.
Keine 24 Stunden später trat das vermeintliche Todesopfer lebendig vor die Kameras, gemeinsam mit dem ukrainischen Geheimdienstchef: Es habe einen Mordauftrag aus Moskau gegen Babtschenko gegeben; die Inszenierung sei notwendig gewesen, um die Hintermänner des beabsichtigen Auftragsmordes zu finden und so weitere geplante Attentate gegen andere Kremlkritiker in Kiew zu verhindern.
„Ich habe seitdem kein normales Leben mehr“, klagte Babtschenko im Gespräch mit BILD: „Ich muss mich ständig verstecken, lebe mit Frau und Kind an einem geheimen Ort. Jedes Treffen mit anderen Menschen muss vorab strikt geplant werden, ich kann nicht mal einkaufen gehen.“
Mit der Klage gegen Russland wolle er ein Zeichen setzen, sagte der Journalist zu BILD: „Man darf Moskau nicht alles durchgehen lassen; der Kreml muss endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Ich hoffe sehr auf den Rechtsstaat, und auf Gerechtigkeit. Wenn der Kreml verurteilt wird, hat das eine große Signalwirkung.“
Babtschenko nennt Russland „Terrorstaat“
Die Russische Föderation wird von dem EGMR in Straßburg immer wieder für Menschenrechtsverstöße verurteilt. Das russische Parlament hat allerdings in Verletzung von Moskaus international eingegangenen Verpflichtungen ein Gesetz beschlossen, das es den Behörden erlaubt, Entscheidungen des Gerichtshofes zu ignorieren.
„Ein völlig absurder Vorgang, der zeigt, dass sich der Kreml nicht um Abkommen und Verträge schert“, klagt Babtschenko. „Das zeigt auch, wie naiv die Haltung von vielen im Westen ist, die immer wieder fordern, man müsse doch nur mit Russland reden.“
Russland sei unter Wladimir Putin zu einem „Terrorstaat“ geworden, stellte der 41-Jährige klar: „Dass viele in Deutschland glauben, man brauche Russland als Partner für Sicherheit und Frieden, ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall, die größte Bedrohung für die Sicherheit und den Frieden geht von Putin aus.“
Der 1977 in Moskau geborene Schriftsteller und Journalist Babtschenko wurde im ersten Tschetschenien-Krieg (1994 bis 1996) als Wehrpflichtiger an die Front abkommandiert; im zweiten (1999/2000) meldete er sich als Zeitsoldat freiwillig. Seine massiven Traumata von der Front verarbeitete der Vater einer Tochter, der sechs Pflegekinder in seine Familie aufnahm, in seinen Büchern „Die Farbe des Krieges“ sowie „Ein guter Ort zum Sterben“.
Mit seiner Kritik am Kreml geht Babtschenko so weit wie nur wenige seiner Kollegen in Russland. Putin bezeichnete er als „Mafia-Paten“, er sprach von einer „Verbrecherbande, die den Kreml besetzt hat“. Er kritisierte den russischen Angriff auf die Ukraine und das Eingreifen in Syrien massiv.
Babtschenko provoziert: Nach dem Absturz eines Flugzeugs 2016 vor Sotschi mit russischen Militärangehörigen an Bord – unter anderem 60 Musikern des berühmten Alexandrow-Militär- Ensembles auf dem Weg zu einem Neujahrskonzert für die Truppe in Syrien – erklärte er, er könne keine Mitleid mit den Toten empfinden. Putin-Sprecher Dmitrij Peskow kommentierte das empört als „Wahnsinn“.
Babtschenko lässt nur wenige Möglichkeiten zur Provokation aus. Selbst seinen kremlkritischen Mitstreitern geht das teilweise zu weit. Die kremltreuen russischen Medien bauten Babtschenko zum Feindbild auf, Abgeordnete und Journalisten forderten seine Ausbürgerung, er bekam Tausende Morddrohungen, seine Privatadresse wurde veröffentlicht.
Im Internet erschien ein Spiel, dessen Ziel es ist, Babtschenko zu schlagen oder zu töten. Im Februar 2017 verließ der Journalist Russland, weil er sich dort nicht mehr sicher fühlte und es Berichte gab, dass ein Strafverfahren gegen ihn geplant sei. Die Hetze gegen ihn ging weiter.