Sie wundern sich über meine Überschrift? Ich mich zuerst auch. Sie ist ein Zitat aus der Mail meines Lesers Alexander N. Er schrieb mir: „Scholz kauft sich Journalistin für die „Republica“! (eine von Netzpolitik.org veranstaltete und staatlich geförderte Konferenz in Berlin). Damit er beim Thema Digitalisierung nicht ausrutscht à la ‚Das Internet ist Neuland für uns alle‘. Herzlich willkommen in der Neuzeit-DDR.“ Dazu schickte der Leser einen Link auf einen entsprechenden Artikel in der taz.
Alexander N. hat hart formuliert, ja vielleicht etwas überspitzt – aber die Sache dafür wunderbar auf den Punkt gebracht. Vielleicht besser, als ich als Journalist mit der andressierten Beißhemmung es gemacht hätte. Ich musste bei der Mail unwillkürlich an eine Redensart denken, die ich aus dem Russland der Jelzin-Zeit kenne: Dass sich damals steinreiche Oligarchen Journalisten hielten wie Kettenhunde. Damit sie Politiker und Konkurrenten auf Kommando bissen. Meine erste Assoziation, umgemünzt auf die Situation mit Scholz: Er hält sich Journalisten wie Schoßhunde. Wobei das Bild mit den Kettenhunden durchaus auch nicht ganz falsch ist, wenn man die sogenannten „Faktenchecker“ ansieht. Oder Medien, die zu Hetzblättern wurden, wie die „Süddeutsche“ oder der „Tagesspiegel“.
Im konkreten Fall hat unser Kanzler laut „taz“ das begangen, was man im Fußball Schiebung nennen würde. Denn wenn ein Politiker interviewt wird, ging man früher als Zuschauer oder Leser davon aus, dass dies kritisch geschieht. Scholz dagegen sorgte dafür, dass die Journalistin handverlesen wurde – und damit keine Gefahr für eine wirklich kritische Befragung bestand.
Bescheinigung von Mut
Die „taz“ versucht dann auch, das Ganze zu beschönigen: „Angela Merkel hatte sich trotz mehrfacher Einladung nie hingetraut zur nach eigenen Angaben größten Digitalkonferenz Europas“, schreibt sie – und will damit Scholz zumindest etwas Mut bescheinigen. Aber wie mutig ist es, wenn man sich die passende Interviewerin besorgt?
Die Wahl von Scholz bzw. seinem Team fiel auf Linda Zervakis. Die ist, so zumindest schreibt es die „taz“ (ich kannte sie vorher nicht namentlich, nur ihr Gesicht von der Mattscheibe), „eine der bekanntesten Journalistinnen in Deutschland, lange war sie das Gesicht der ‚Tagesschau‘, seit 2021 arbeitet sie bei Pro7 vor der Kamera.“ Im Mai 2021 hatte sie bereits einmal mit einem Kollegen Scholz interviewt, zudem das dritte TV-Triell vor der Wahl moderiert. Sie gilt als mögliche Nachfolgerin für den wichtigsten Altar der öffentlich-rechtlichen Propaganda, für „Anne Will“ am Sonntagabend.
„Die Geschichte von Scholz’ Auftritt auf der Republica im Juni 2022 gibt einen bislang unbekannten Einblick, wie der Bundeskanzler sein Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren will“, schreibt die „taz“: „Dabei sieht keiner der Beteiligten gut aus. Der Kanzler nicht, weil er oder seine Leute offenbar Angst vor kritischen Fragen haben. Die Republica nicht, weil ihr der Bundeskanzler als Gast wichtiger zu sein scheint als ein kontroverses Gespräch. Und auch die Moderatorin nicht, weil sie ihre Rolle als unabhängige Journalistin verlässt.“
Anhand von internen Unterlagen aus dem Kanzleramt, die sich die Berliner Zeitung auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes verschaffte, und anhand von Gesprächen mit Insidern zeichnet sie die als „Interview“ getarnte PR-Aktion nach. „Zu einem zentralen Aspekt schweigen das Bundespresseamt, Zervakis und ihr Sender aber eisern: dem Geld“, schreibt das Blatt.
Zustände wie in einer Bananenrepublik
Im Bericht wird erzählt, wie man im Kanzleramt einen Auftritt von Scholz auf der Republica einerseits als Chance sah, andererseits aber auch Bammel hatte: „Außerdem könnten ggf. unscharfe Formulierungen schnell viral gehen und die Digitalpolitik der gesamten Legislaturperiode unbeabsichtigt prägen.“
„Es ist erstmal nicht ungewöhnlich, dass vor Veranstaltungen oder Interviews der Rahmen abgesteckt wird. In diesem Fall geht das aber weit über das Übliche hinaus“, schreibt die „taz“.
Nach Recherchen der Zeitung war die Bedingung für das Gespräch, dass das Kanzleramt entscheidet, wer Scholz befragt. Das ist in etwa so, wie wenn man sich bei der Führerscheinprüfung den Prüfer selbst aussuchen und mitbringen darf. Allein schon, dass eine solche Bedingung gestellt wird, ist ein Skandal. Dass die Veranstalter sich darauf einlassen, der nächste.
Die Bedingung wurde zudem ziemlich kurzfristig mitgeteilt. „Im Organisationsteam der Republica wurde die Sache kontrovers diskutiert: Soll man sich wirklich darauf einlassen, dass der Gast selbst die Moderatorin aussucht und mitbringt?“, schreibt die „taz“: „Aber man wollte nicht auf den Kanzlerbesuch verzichten, Scholz schafft Aufmerksamkeit, er ist der erste Bundeskanzler, der die Konferenz besucht.“
Hand in Hand
In meinen Augen ist das eine Form der Zensur, auf die sich die Veranstalter hier einließen. Und Manipulation: Denn sie hätten die Bedingung, die man bösartig auch als Erpressung werten könnte, öffentlich machen müssen. Aber leider sind solche „Deals“ heute eher Regel als Ausnahme. Die Bundespressekonferenz sortiert für Scholz die Journalisten aus, die in die Propaganda-Runde dürfen bzw. herausgeschmissen werden.
Es kommt noch dicker. In der Anfrage des Bundeskanzleramts bei Zervakis’ Management hieß es: „Die inhaltliche Vorbereitung mit Ihnen würden wir natürlich eng begleiten“. Um in dem Bild von der Führerscheinprüfung zu bleiben: Der Prüfling sucht sich nicht nur den Prüfer aus, sondern gestaltet auch die Fahrtstrecke gemeinsam mit diesem.
Weiter schreibt die „taz“: „Zervakis hat Interesse, ihr Management schickt ein ‚Angebot‘, das Kanzleramt sagt zu. Unklar ist, was Zervakis für die Moderation bekommen hat. Kann Linda Zervakis eine vom Kanzleramt bezahlte Moderation mit ihrer journalistischen Unabhängigkeit vereinbaren und beim nächsten Mal wieder den Kanzler im TV interviewen, als sei nichts gewesen? Und wieso wurde die Sache nicht zumindest transparent kommuniziert?“
Merkwürdige Zahlungen
Zervakis wollte nicht mit der taz sprechen. Ihr Manager beantwortete die meisten Fragen der Zeitung nicht: „Zervakis habe für die Moderation kein Honorar erhalten, schreibt er. Das Bundeskanzleramt habe ‚lediglich die Frau Zervakis im Zusammenhang mit der Teilnahme entstehenden Kosten erstattet‘. Was für Kosten das in welcher Höhe waren, will er nicht sagen.“
Wer sich in der Branche auskennt, weiß, dass solche „Kostenerstattungen“ oft verdeckte Honorarzahlungen sind. So können etwa auch „Verdienstausfälle“ erstattet werden.
Die „taz“ hakte noch weiter nach: „Was für Kosten sollen das gewesen sein? Zervakis‘ Reisekosten hat nämlich die Republica erstattet, wie die Sprecherin der Konferenz sagt. Zervakis’ Management hat der Herausgabe ihres Angebots und der anschließenden Rechnung an das Kanzleramt nicht zugestimmt.“ Diese Verweigerung ist möglich, wenn „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ berührt sind. Die „taz“ fragt zurecht: „Aber welche Geheimnisse sollte es geben, wenn Zervakis nur übliche Kosten erstattet wurden? Es drängt sich bei all der Geheimniskrämerei der Verdacht auf, dass hier die Bezahlung der Moderatorin vom Bundeskanzleramt als Teil einer großzügigen ‚Kostenpauschale‘ getarnt worden sein könnte.“
Der Bericht greift dann auch noch ein weiteres Problem auf: dass Journalisten oft Veranstaltungen moderieren. Vor allem öffentlich-rechtliche Aushängeschilder bekommen viel Geld für Firmenevents und Preisverleihungen, oft vier- bis fünfstellige Beträge für einen Auftritt: „Zervakis etwa moderierte, als sie noch Tagesschau-Sprecherin war, den Nationalen Integrationspreis und den Gewerkschaftstag der IG Metall“, so die „taz“. Wie unabhängig ist man dann noch später bei der Berichterstattung über die Auftraggeber?
‚Bäumchen wechsel dich‘
Die ganze Geschichte ist unglaublich. Sie wirft ein Licht auf den Sumpf, der zwischen Politik und Journalismus entstanden ist. Und der viel tiefer ist, als diese Geschichte zeigt. Schon längst werden gehorsame Journalisten durch Interviews oder Aussicht auf spätere Regierungsstellen belohnt (siehe meinen Text „‚Bäumchen wechsel dich‘ in der Bundespressekonferenz“). Zudem sind Sender und Verlage von Geld von der Politik abhängig: die einen von Zwangsgebühren, die anderen von Zuschüssen und Reklame-Millionen aus der Staatskasse. Die Rolle als vierte Gewalt, die die Medien eigentlich spielen sollten, wird dadurch pervertiert.
Aber man muss auch das Erfreuliche an der Geschichte sehen: Dass die „taz“ sie aufgedeckt hat. So distanziert ich das rotgrüne Blatt sehe – hier gebührt den Kollegen Respekt und Dank!
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