Wir leben in verrückten Zeiten. So verrückten, dass man oft seinen Augen und seinen Ohren nicht glauben will. So dachte ich zuerst, ich hätte mich verlesen, als mir ein Leser einen Hinweis auf einen Artikel schickte, in dem es, zumindest teilweise, um ein Huhn ging. Und so war mein erster, unschuldiger Gedanke, es müsse sich wohl um irgend etwas zum Essen handeln, als ich da las, dass es um ein Huhn, ein Gericht und einen Minderjährigen geht.
Offenbar wollte mich mein Unterbewusstsein schützen – frei nach Freud. Denn was ich bei genauerem Hinsehen las, war doch etwas befremdend: Weil ein 21-Jähriger Asylbewerber aus Eritrea ein Video verschickt hat, das sexuelle Handlungen eines Minderjährigen mit einem Huhn zeigt, stand er vor dem Kreisgericht im Eidgenössischen Toggenburg, wie das Tagblatt berichtet. Bzw. wie es teilweise berichtete. Denn der Artikel war zwischenzeitlich nicht mehr abrufbar. Aber vielleicht liegt das auch an meinem Computer. Vielleicht hat ihn der Gedanke an Minderjährigen-Sex mit einem Huhn genauso von den Socken gehauen wie mich.
Nach langer und vom Thema wegführender Einleitung kommt der Beitrag in der Schweizer Zeitung dem Punkt zumindest näher (ohne wirklich auf diesen zu kommen). Erst in den unteren Absätzen erfährt der Leser, was genau passiert ist: Das gerichtsgegenständliche Video zeigt, wie ein Knabe, jünger als 16 Jahre, mit einem Huhn Geschlechtsverkehr hat, so heißt es in dem Beitrag: „Der Staatsanwalt, der nicht zum Prozess kommt“ – warum, erklärt die Zeitung nicht, „wirft dem Angeklagten deshalb sexuelle Handlungen mit Kindern oder die Inkaufnahme solcher Handlungen vor.“ Demnach muss der Knabe, der sich am Huhn verging, also höchstens 13 Jahre alt gewesen sein – denn sonst wäre er Jugendlicher und nicht Kind.
Später heißt es dann in dem Beitrag, der Angeklagte habe das Video gar nicht weitergeleitet, sondern lediglich auf seinem Smartphone besessen. So seine eigene Darstellung. Er habe das Gerät dann einem anderen Eritreer, der ebenfalls in der Schweiz lebt, überlassen, und dieser habe das Huhn-Kinder-Porno dann sich selbst weitergeleitet. Warum die Nachricht über diese Weiterleitung aus den USA gekommen ist, wie es in dem Artikel heißt, bleibt rätselhaft. Ebenso wie vieles andere.
Etwa, warum der Staatsanwalt dem Angeklagten „sexuelle Handlungen mit Kindern oder die Inkaufnahme solcher Handlungen“ vorwarf und ein „lebenslanges Verbot regelmässiger Kontakte mit Minderjährigen“ für ihn forderte, aber gleichzeitig bat, „von einem Landesverweis gegen den Angeklagten abzusehen, da es sich um einen schweren persönlichen Härtefall handle und die öffentlichen Interessen am Landesverweis nicht gegenüber den privaten Interessen des Angeklagten überwögen.“ Dabei wurde der Asylantrag des jungen Mannes, der schon seit fünf (!) Jahren in der Schweiz lebt, bereits abgelehnt.
Der Angeklagte bestritt mehrmals, etwas mit dem Porno-Video zu tun zu haben. Es muss wohl von Geisterhand auf sein Telefon gekommen sein. Der Richter machte denn auch Widersprüche in den Aussagen des jungen Mannes aus. Die Verteidigerin indes beteuerte, das Video kopiere sich selber. Wirklich? Passiert das in der Tat öfter, dass sich Videos einfach so kopieren und jemand dann einfach so, nichtsahnend Kinderpornos auf seinem Handy hat? Zudem, so die Rechtsanwältin, sei das Video weit verbreitet. Auch das erstaunt – dass Kinderpornos mit Huhn in der Eidgenossenschaft weit verbreitet sind. Ich hielt die Schweizer bisher eher für bieder… Sie habe das Video auch schon in anderen Fällen gesehen, machte die Anwältin geltend. Die sich hier aufzwingende Frage verkneife ich mir.
Unsereins mag die Verteidigungstaktik befremden, die Schweizer Justiz beeindruckte sie: Nach kurzer Beratung sprach der Richter den Angeklagten frei. Wegen Zweifel an seiner Schuld. „Die Erleichterung ist dem Eritreer ins Gesicht geschrieben“, schreibt das Tagblatt: „Vor dem Gerichtssaal umarmt er die Verteidigerin kurz und lächelt dabei über das ganze Gesicht.“
Ziel des jungen Mannes aus Eritrea sei es, so heißt es in dem Bericht, sich hier zu integrieren und Arbeit als Automechaniker zu finden. Wenigstens nicht Landwirt, Metzger oder Tierarzt.
Bild: Clicker-Free-Vercor-Images/OpenClipart-Vectors/Pixabay/Ekaterina Quehl