Gastbeitrag von Jerzy Maćków, Professor für Politikwissenschaft in Regensburg
Nicht das erste Mal bei Wahlen in Polen: Nach den „exit polls“, also Wählerbefragungen, schien das Wahlergebnis noch offen, und am Morgen danach, nachdem knapp 90 Prozent der Wählerstimmen ausgezählt wurden, wird klar, dass das konservative Lager einen größeren Sieg errungen hatte, als angenommen. Statt 42 Prozent (am Wahlabend) hat der konservative Amtsinhaber Andrzej Duda gut 43 Prozent, sein Herausforderer Rafał Trzaskowski kommt auf 30 Prozent statt auf 31 Prozent. Der Abstand zwischen den Kandidaten beträgt also nicht elf Prozent, wie angenommen, sondern 13 bis 14 Prozent. Das hatten bereits die Umfragen vor den Wahlen so angedeutet. Anders als am Sonntag Abend scheint nun die Wiederwahl von Duda im zweiten Wahlgang relativ sicher. Deutsche Journalisten wie Christopher von Marschall lagen mit ihren Einschätzungen daneben.
Geht das Phänomen der falschen „exit polls“-Ergebnisse auf einen Betrug der polnischen Meinungsforschungsinstitute zurück, die das – angeblich – liberale Lager bevorzugen würden? Dagegen spricht nicht nur die entsprechende Kompetenz der empirischen Sozialforschung in Polen, sondern auch die Tatsache, dass die anderen vier Präsidentschaftskandidaten am Morgen ihr jeweiliges Ergebnis vom Vorabend behalten haben.
Was könnte also die Erklärung sein?
Eine Antwort liegt nahe: Viele Menschen haben Angst bzw. schämen sich, nach dem Wahlgang zuzugeben, dass sie „die PiS“ oder „den Duda“ gewählt haben. Warum? Weil in Polen die Mehrheit der Medien lügt und manipuliert. Sie lacht andere politische Meinungen aus und erfüllt – insgesamt – die vielfältigen Funktionen der Medien in der Demokratie nicht (bis auf die Kritik an der Regierung, was erfrischend ist). Es ist einfach in vielen Kreisen nicht schick, für die Politiker zu sein, die das Regierungslager vertreten (selbst wenn man der Meinung ist, das wäre die beste Regierung, die Polen nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt hat). Die Polnische Medienlandschaft ist insofern krank, als sie die Meinungen der Gesellschaft nicht abbildet, sondern sie in die „opportunistisch-liberale“ Richtung des früheren Establishments drängt.
Noch etwas: Die exit-polls zeigen, dass trotz des Coronavirus beinahe 10 Prozent mehr Polen zur Präsidentenwahl gingen als vor fünf Jahren (2015 waren es im zweiten, stärk frequentierten Wahlgang ca. 55 Prozent der Wahlberechtigten – schon damals ein Rekordergebnis).. Wenn sich diese Zahlen bestätigen sollten, dann ist es ist ein Sieg der polnischen Demokratie, der die PiS die Glaubwürdigkeit gebracht hatte. Drei Jahrzehnte nach dem Kommunismus fühlen die Menschen endlich, dass es lohnt, zu wählen. Die Polen sind keine Untertanen mehr. Sie sind Bürger geworden. Ein gewaltiger Wandel.
PS: Der in Polen im politischen Kampf absolut einseitige, alle Regeln des anständigen Journalismus brechende Fernsehsender TVN (er gehört zum amerikanischen Discovery Inc.) zeigt sich nach dem ersten Wahlgang der Präsidentenwahl als analytisch erstaunlich frei: unterschiedliche Meinungen, darunter auch klare Gegner der politischen Linie des Senders, werden vertreten und — anders als gewöhnlich – von den Propagandisten des Senders nicht beschimpft. In Deutschland ist eine solche Ausprägung des Meinungspluralismus schlichtweg undenkbar.
Auch das „öffentlich-rechltliche Fernsehen“, das in Polen seit 1989 von den Regierenden beherrscht wird (und insofern eine modifizierte Fortsetzung des kommunistischen Fernsehens darstellt), ist während dieser direkten Nach-Wahl-Zeit freiheitlicher als die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland. Dabei ist das heute von der PiS beherrschte Staatsfernsehen weniger professionell als der besagte TVN.
Bild (Symbolfoto von einer anderen polnischen Wahl): Silar/Wikicommons/CC BY-SA 4.0