Es war ein freundlicher Anruf unter Verwandten. Mein Gesprächspartner im heimischen Augsburg kam schnell auf Stuttgart zu sprechen, auf das „Verharmlosen in den Medien“, wie er es nannte. „Das ist wie bei dem Flüchtlingsheim bei Günzburg, das brannte, wo sogar Lebensgefahr bestand“, sagte er dann: „Da wurde auch nur ganz hinten in der Augsburger Allgemeinen berichtet!“ Ich wurde hellhörig. Ein Brand in einer Asylbewerberunterkunft in Schwaben? Das war mir völlig neu. Mein Verwandter lächelte bitter: „Ganz klar, weil es so weit wie möglich heruntergespielt wird!“
Und tatsächlich muss man gründlich sein und bei google sehr gezielt suchen, um fündig zu werden. Bei Radio Schwaben sind über das ganze Feuer nur vier Zeilen zu finden: „Nach dem Brand in einer Flüchtlingsunterkunft im Günzburger Stadtteil Reisensburg ist nun ein 33-jähriger Bewohner des Objekts festgenommen worden. Der Mann steht im Verdacht, das Feuer gelegt zu haben. Bei dem Brand entstand ein Schaden von 100.000 Euro, vier Menschen wurden dabei verletzt.“
Die Augsburger Allgemeine berichtet etwas mehr – versteckt dafür aber Ross und Reiter ganz weit hinten im Artikel. „Asylbewerber bei Brand in Lebensgefahr“, so die Überschrift, und dann im Vorspann: „Beim Feuer in einem Flüchtlingsheim in Reisensburg spielen sich dramatische Szenen ab.“ Weiter heißt es: „‘Das war knapp’“, sagt Stadtbrandinspektor Christian Eisele am Einsatzort. „Mehrere Personen waren in ihren Wohnungen eingeschlossen und mussten mit Steckleitern und der Drehleiter aus dem völlig verrauchten Haus aus dem Fenster oder von Balkonen gerettet werden.“ Als Anwohner und Feuerwehrmann Helmut Werdich zum Gebäude kam, sah er, dass zwei Personen gerade dabei waren, in Panik aus dem Fenster im Obergeschoss zu springen. Mit gutem Zureden konnte er sie beruhigen und das verhindern. Kameraden konnten so noch die rettende Steckleiter anlegen. Eine Person aber sprang aus dem Fenster und wurde dabei nach Angaben der Polizei schwer, jedoch nicht lebensgefährlich verletzt.Erst am Ende des vierten Absatzes, knapp vor dem Ende des Beitrages, erfährt der geduldige Leser, der bis dahin ausgeharrt hat, wer mutmaßlich schuld war an dem Brand: „Die Polizei hat den dringenden Verdacht, sagt ein Sprecher, dass ein Bewohner für das Feuer verantwortlich ist. Der 33-Jährige aus Eritrea sei deshalb noch am Ort vorläufig festgenommen worden. Bis er am Dienstag dem zuständigen Richter vorgeführt wird, bleibe er in Polizeigewahrsam.“ Wer sich nicht bis fast zum Ende des Berichts durchgekämpft hat, muss den Eindruck bekommen, der Brand habe sich selbst entzündet.
Das widerspricht allen journalistischen Regeln – das Wichtigste zuerst. Sucht man bei google-News nach „Reisensburg“ und Brand, findet man außer den beiden erwähnten Berichten nur noch wenige weitere. Der öffentlich-rechtliche SWR schreibt, die Brandursache sei noch unbekannt. web.de korrekt – es hat offenbar eine Regionalmeldung des Landesdienstes der dpa übernommen. Erstaunlich dagegen ein Bericht von „BSA aktuell“. Dort heißt es im Vorspann: „In einer Asylunterkunft in Reisensburg, einem Stadtteil von Günzburg, war es am heutigen Montagvormittag, den 15.06.2020, zu einem ausgedehnten Zimmerbrand gekommen.“ Erst im letzten Absatz der Hinweis auf den Bewohner als Tatverdächtigen. Diese Meldung bei „BSA aktuell“ könnte man in die Journalistenausbildung künftiger Generationen aufnehmen als Beispiel dafür, wie Journalisten 2020 in Deutschland mit ihrem Handwerk umgehen. „Es war zu einem Brand gekommen“, als sei der von selbst entstanden, und „Zimmerbrand“, während die Augsburger Allgemeine „dramatische Szenen“ beschreibt.
Man könnte nun lange diskutieren, ob dieses Ereignis nicht zumindest in der regionalen Presse weitere Betrachtung hätte finden sollten. Oder es nicht ein Anlass wäre, einmal zu untersuchen, wie oft in Flüchtlingsunterkünften Feuer ausbrechen. Das habe ich auf die Schnelle und oberflächlich bei google versucht. Und traute meinen Augen nicht:
- In Fredenbeck im Landkreis Stade brach in der Nacht auf den 19. Juni in einer Wohnunterkunft für Flüchtlinge ein Brand aus, ein Asylbewerber kam ums Leben. Brandursache ist im Bericht der Hamburger Morgenpost nicht zu finden. „Ein Flüchtling aus dem Sudan hat in der Nacht bei einem Feuer in der Asyl-Unterkunft im Ex-Hotel „Fredenbeck“ an der Dinghorner Straße sein Leben verloren“, schreibt tageblatt.de über den gleichen Vorfall: „Tragisch: Der 25-Jährige war erst am Dienstagmorgen beim Wohncontainer-Brand in Deinste obdachlos geworden.“ Das verschwieg die Morgenpost.
- Tatsächlich gab es drei Tage zuvor im gleichen Landkreis ebenfalls ein Feuer in einer Unterkunft für Asylbewerber, das „die Feuerwehr und den Rettungsdienst in Atem gehalten“ hat. Der Brand war in einem der Wohncontainer ausgebrochen: „Zum Glück gab es keine Verletzten. Aber der Sachschaden ist enorm“, so die Hamburger Morgenpost. Auch hier keinerlei Angaben zur Brandursache.
- „Am Freitagnachmittag wurde der Feuerwehr Murr ein Brand in der Flüchtlingsunterkunft gemeldet. Die Brandursache ist noch unklar. Eine Person erlitt eine leichte Rauchgasvergiftung“, schreibt die Marbacher Zeitung am 29.5.2020.
- „Sonsbeck: Nach dem Brand in einer Flüchtlingsunterkunft in Sonsbeck ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft, ob das Feuer vorsätzlich gelegt wurde oder ob es eine andere Ursache dafür gibt“, schreibt die Rheinische Post am 17. Juni 2020. Weiter heißt es: „Es gebe Hinweise, dass einer der Bewohner das Feuer gelegt haben könnte, dieser sei vorläufig festgenommen worden, berichtete die Polizei direkt nach dem Brand.“
- „Brand in Flüchtlingsheim: Mehrere Verletzte“ lautet die Überschrift in der Ludwigsburger Kreiszeitung am 29.5.2020: „Insgesamt sieben leicht verletzte Personen und rund 500.000 Euro Schaden sind die Bilanz eines Brandes am Freitagnachmittag, kurz vor 15 Uhr, in einem betreuten Jugendwohnheim in der Raiffeisenstraße in Murr. Nach bisherigen Erkenntnissen schlief ein 21-jähriger Bewohner mit einer glimmenden Zigarette in seinem Zimmer ein. Durch die herunterfallende Zigarette geriet die Matratze in Brand, das Feuer griff auf das Inventar über.“
- „In einer Flüchtlingsunterkunft in Schöneberg ist in der Nacht zu Donnerstag (04. Juni 2020) ein Feuer ausgebrochen“, berichtet berlin.de: Der Brand brach aus bislang unbekannter Ursache in einem Zimmer im zweiten Obergeschoss des ehemaligen Hotels an der Urania aus.“
- In Heilbronn läuft der Prozess wegen eines Brandes in einer Flüchtlingsunterkunft im August 2019, wie die Marbacher Zeitung am 19.6.2020 berichtet: Das Feuer zerstörte „einen Flügel der Flüchtlingsunterkunft derart, dass dieser abgerissen, ein zweiter saniert werden musste“. Und weiter: „Der Angeklagte meinte sich zu erinnern, an dem Tag auf der Platte eine afrikanische Reissuppe zubereitet zu haben. Der Hinweis des Vorsitzenden Richters, Thomas Berkner, lediglich Wasserkocher seien in den Zimmern erlaubt, beeindruckte ihn nicht wirklich.“
- „In der Flüchtlingsunterkunft in Kusel haben Bewohner Feuer gelegt und anschließend den Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma angegriffen. Es war nicht das erste Mal.“, berichtet SWR Aktuell am 27.5.2020. Und weiter: „In der AfA Kusel hat es in den vergangenen Monaten bereits ähnliche Vorfälle gegeben. Im Februar dieses Jahres hatten Bewohner beispielsweise gegen das neue Asylgesetz protestiert, indem sie unter anderem versuchten, einen Brand zu legen.“
- „Im Harz hat es in einem Flüchtlingsheim gebrannt“, berichtet news38.de am 4.6.2020: „Das Feuer in Oberharz am Brocken brach um kurz vor 3 Uhr aus, berichtet das Polizeirevier Harz am Donnerstag. Verletzt wurde zum Glück niemand.“ Und weiter: „Der Schaden beläuft sich auf knapp 150.000 Euro. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen der Brandursache zunächst in alle Richtungen – auch Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen werden.“
- „16 Personen evakuiert: Nächtlicher Großeinsatz für die Feuerwehr Dortmund: Brand in Flüchtlingsunterkunft in Dorstfeld – Ursache steht fest“, schreibt Ruhr24 am 19.6.2020: „Bei dem Großeinsatz waren insgesamt 78 Einsatzkräfte der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehr und des Rettungsdienstes vor Ort…16 Personen ambulant versorgt…Als Grund für die Rauchentwicklung stellte sich ein brennender Abfallbehälter im Bereich einer Teeküche heraus. Das schnelle Eingreifen der zahlreichen Einsatzkräfte verhinderte ein Übergreifen des Feuers auf die anliegenden Räume der Unterkunft. Der Brand blieb auf den Entstehungsraum begrenzt.“
- „Ein 32-jähriger Bewohner eines Flüchtlingsheims in Falkensee (Havelland) ist Mittwochnacht von einer Gruppe attackiert und dabei schwer verletzt worden“, schreibt der Tagesspiegel am 12.6.2020:
- „Ein gemeldeter Zimmerbrand in einer Flüchtlingsunterkunft stellte sich am Abend als halbwegs kleines Feuer heraus“, berichtet nonstoppnews am 8. Juni 2020: „Die Feuerwehr, die mit mehreren Einheiten angerückt war, ging unter Atemschutz in das betroffene Container-Gebäude vor. In einem Flur im ersten Stock fanden die Kameraden einen Teppich brennend vor. Schnell wurde dieser ins Freie befördert und abgelöscht.“
- – „In einer Flüchtlingsunterkunft in Mülheim stand ein Wäschetrockner in Flammen. Verletzt wurde niemand. Die Brandursache ist noch unklar“, schreibt die WAZ am 22.6..
Das sind allein die Meldungen, die einem für die vergangenen Wochen angezeigt werden. Geht man etwas weiter zurück, gibt es keine Entwarnung:
- „Vier Tage nach dem Brand in einem als Flüchtlingsunterkunft genutzten Haus in Högersdorf im Kreis Segeberg ist gegen einen 22-Jährigen Haftbefehl wegen versuchten Mordes erlassen worden“, schreibt RTL am 27.4.2020: „Dem Mann, einem Bewohner des in der Nacht zum Freitag abgebrannten Hauses, werde auch schwere Brandstiftung und schwere Körperverletzung vorgeworfen, teilte die Polizei am Montag mit.“
- „Brand in Flüchtlingsunterkunft Sechs Menschen aus Flammen gerettet – Haus unbewohnbar“, schreibt die Hamburger Morgenpost am 11.4.2020.
- „Nach Feuer-Alarm in Corona-Flüchtlingsheim in Berlin43 Berliner Polizisten nach Einsatz in Quarantäne“, schrieb die „Bild“ am 7.4.2020: „Bereits in der Nacht zum vergangenen Donnerstag war es hier zu einem Großeinsatz gekommen, nachdem es in einem Toilettenraum gebrannt hatte.“
- „Werder: Feuer im Flüchtlingsheim“, berichtet die Märkische Allgemeine am 9.4.2020:„In einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Werder brach am Mittwochabend ein Brand aus. Das Feuer kam aus einer Wohnung im dritten Stock. Verletzt wurde dabei niemand.“
- „Betrunkener zündet Flüchtlingsheim in Brandenburg an: 21-Jähriger legt mit mehr als zwei Promille Feuer“, berichtet am 14.2. der Tagesspiegel: „Ein Bewohner eines Flüchtlingsheims in Premnitz, Havelland, hat in mehreren Räumen Feuer gelegt. Er wurde festgenommen und psychologisch untersucht.“
Die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen, aber ich will Sie nicht ermüden. Auch zu Gewalt in Flüchtlingsheimen gibt es sehr viele (Einzel-)Meldungen. Ich persönlich war beim Recherchieren sehr verwundert: So viele Brände, so viele einzelne Artikel in regionalen Medien – und kein einziger großer, zusammenfassender Bericht? Hätten nicht die Kollegen, die über diese Brände geschrieben haben, genauso wie ich auf die Idee kommen müssen, zu überprüfen, ob es Einzelfälle sind, oder der Verdacht von Häufungen besteht? Und hätten nicht dann angesichts dieses Verdachts die Redaktionen überprüfen müssen, in wie weit er zutrifft? Also: Recherchen, Vergleiche, Nachfrage bei Fachleuten, Statistiken, Abklärung der Frage, in wie weit diese möglichen Häufungen auffällig und relevant sind. Denn ggf. würden sie auf Missstände hinweisen, die dann untersucht oder behoben werden müssten. Etwa beim Feuerschutz, oder bei der Aufklärung der Bewohner.
Solche Recherchen fanden, wenn man google news glaubt, zumindest in jüngster Zeit nicht statt. Oder wurden zumindest nicht veröffentlicht. Warum? Andere Gefahren für Zuwanderer werden doch auch thematisiert, teilweise sogar massiv. Passt das mögliche Resultat solcher Recherchen, nämlich ein unachtsamer Umgang mit Feuerquellen und/oder eine Neigung zur Brandstiftung nicht zum politischen Narrativ? Fragen über Fragen. Kritische Beobachter könnten zu dem Schluss kommen, dass hier bestimmte heikle Themen tabuisiert bzw. ausgeklammert werden – wie die Ereignisse von Stuttgart bzw. die Berichterstattung darüber zeigen. Ich hoffe, eine oder gar mehrere Redaktionen, die personell gut genug aufgestellt sind, liest diese Anregung hier – und fühlt sich in ihrer journalistischen Ehre herausgefordert, das Versäumte nachzuholen und ergebnisoffen und umfassend zu recherchieren.
Vielleicht werde ich ja angenehm überrascht. Wie gestern von einem Kommentar eines NDR-Kollegen. Der benannte klar Linksextremismus als Gefahr, redete offen von der Aggression jungen Migranten gegen die Polizei, kritisierte die taz und Esken als geistige Brandstifter! Ich traute meinen Augen nicht. Wenn so ein Mann ein ARD-Magazin bekäme, als Gegenstimme zu Restle und Konsortien – man würde wieder die Chance haben, unterschiedliche Meinungen zu hören und die Fernsehgebühren wieder gerne zahlen. Unrealistisch, sagen Sie jetzt? Ich weiß…aber man wird doch wohl noch träumen dürfen!