Verdrehte Welt! Wer in den vergangenen Wochen, ja Monaten, Nachrichten sah oder Zeitungen las, musste zu dem Schluss kommen, unsere Sicherheitsbehörden seien stark unterwandert von Rechtsextremen. Kaum eine Woche vergeht ohne neue Mitteilungen über Netzwerke von Nazis, Rassisten oder anderen rechten Extremisten in Polizei, Bundeswehr und Behörden. Darüber wird so groß und umfassend berichtet, dass man fast den Eindruck bekommt, eine faschistische Machtergreifung stünde unmittelbar bevor.
Und jetzt das! Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte jetzt ein Lagebild vor, dass diesem Eindruck deutlich entgegensteht. Die Sicherheitsbehörden der Länder haben in den vergangenen drei Jahren wegen 319 rechtsextremer Verdachtsfälle im eigenen Haus ermittelt. Das ist zwar auch keine geringe Zahl. Und jeder Fall ist eindeutig einer zu viel. Und verdient öffentliche Aufmerksamkeit. Aber man muss dennoch die Relation sehen: Insgesamt arbeiten in den Sicherheitsbehörden der 16 Bundesländer 275.600 Männer und Frauen. Der Anteil rechtsextremer Verdächtsfälle liegt damit bei rund 0,12 Prozent der Beschäftigten.
So wenig man wegdiskutieren kann, dass es ein Problem gibt: Der Eindruck einer massiven Unterwanderung, wie er in vielen Medien geschürt wird und auch bei vielen Menschen ankommt, ist damit irreführend, ja manipulativ. Seehofer betonte denn auch, er sehe in den deutschen Sicherheitsbehörden kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus, von dem so viel die Rede ist – wie etwa in der Kolumne in der taz, die generell die Polizisten unter Nazi-Verdacht stellte. „Wir haben es mit einer geringen Fallzahl zu tun“, sagte Seehofer: Mehr als 99 Prozent der Mitarbeiter stünden „fest auf dem Boden des Grundgesetzes“, betonte er.
Nur in zwei von allen Fällen, die in Bund und Ländern erfasst wurden, hatte sich ein Beamter einer rechtsextremistischen Organisation angeschlossen. Darüber hinaus wurde noch zwei Mal Kontakt zu solchen Gruppierungen nachgewiesen. Die Mehrzahl der Verdachtsfälle dreht sich um radikale Äußerungen oder die Nutzung radikaler Symbole, Aussprüche oder Bilder in sozialen Medien oder Chats.
Interessant ist, wie viele Medien die Zahlen „framen“. So lautet etwa die Überschrift in der Stuttgarter Zeitung: „Knapp 380 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“. Im Vorspann steht dann: „In deutschen Sicherheitsbehörden sind fast 380 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus registriert worden, geht aus einem Lagebericht hervor. Für Innenminister Horst Seehofer eine „geringe Fallzahl“, ein strukturelles Problem sehe er nicht.“ Der Zeitrahmen fehlt völlig. Viele Menschen lesen heute nur noch Überschriften bzw. den Vorspann. Insofern kann man ahnen, was bei ihnen hier hängen bleibt. Ebenso agiert der Spiegel: „Hunderte rechtsextreme Verdachtsfälle in Sicherheitsbehörden“ lautet da die Überschrift. Der Vorspann: „Bundesinnenminister Seehofer stellt den ersten Lagebericht über Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden vor. Darin finden sich rund 380 Fälle – und eine deutliche Warnung.“ Andere Blätter wie etwa die WAZ verfahren ähnlich. Kritisch betrachtet könnte man das als Irreführung der Leser betrachten.
In den Sicherheitsbehörden des Bundes wie etwa dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, dem Zoll etc. wurden 58 Fälle registriert. Angesichts von insgesamt 108.700 Mitarbeitern dort liegt der Anteil rechtsextremer Verdachtsfälle damit bei 0,05 Prozent. 44 davon entfallen auf die Bundespolizei. Bei den übrigen Sicherheitsbehörden waren die Verdachtszahlen in den vergangenen drei Jahren einstellig.
Bundesweit gab es 62 Verfahren, davon 38 disziplinarrechtliche Verfahren, 23 Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe und in einem Fall kam es zu arbeitsrechtlichen Schritten.
Die 58 Verdachtsfälle auf Bundesebene schlüsseln sich wie folgt auf: Drei Propagandadelikte, zwei gewaltorientierte Vergehen, zwei politisch motivierte Beleidigungen und 55 „sonstige rechtsextreme Handlungen“, die nicht aufgeschlüsselt werden. Dass es mehr Verfahren gab als Verdachtsfälle liegt daran, dass es gegen einzelne Tatverdächtige mehrere Verfahren gab.
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Text: br