Roger Roth ist kein altgedienter Parlamentarier. Der 42-jährige Irak-Kriegsveteran mit dem Hollywood-Lächeln sitzt erst seit fünf Jahren im Landesparlament des US-Bundesstaates Wisconsin, für die Republikaner. Der Senat dort – vergleichbar mit einem Landtag in Deutschland – hat nur 33 Abgeordnete, und der Bundesstaat in der Nähe der Großen Seen im Norden der USA ist mit seinen knapp 5,8 Millionen Einwohnern nicht gerade entscheidend für die politische Entwicklung in den USA.
Und so muss sich Roger Roth sehr gewundert haben, als er, Abgeordneter einen kleinen Landtags in einem kleinen Staat in der Provinz, plötzlich eine E-Mail von der chinesischen Regierung erhielt, wie die Financial Times berichtet. In dem Schreiben wurde Roth aufgefordert, eine Gesetzesvorlage in dem Hohen Haus von Wisconsin zu unterstützen, in der Chinas Reaktion auf das Coronavirus gelobt wird. Roth glaubte zuerst, es müsste sich um einen dummen Scherz handeln. Umso mehr, als der Absender sogar eine vorab verfasste Entschließung mit „Talking Points“, also typischen Ausdrücken der kommunistischen Partei und zweifelhaften Forderungen an den Senatspräsidenten des Bundeslands beigefügt hatte, damit Roth diese zur Abstimmung stelle.
„Ich habe noch nie von einer ausländischen Regierung gehört, die sich an einen Landtag wendet und ihn auffordert, ein Gesetz zu verabschieden“, sagte Roger Roth dem Reporter der Financial Times: „Ich dachte, das könnte nicht real sein.“ Doch dann schaute er genauer hin, und musste feststellen: Die Mail stammte tatsächlich von Chinas Generalkonsul im benachbarten Chicago. „Ich war erstaunt“, sagte er und schrieb einen Brief, einen ganz, ganz kurzen: „Lieber Generalkonsul, das ist irre.“
Geschichten wie diese sind typisch für den chinesischen Umgang mit der Corona-Krise: Propaganda, Propaganda, und nochmal Propaganda. Bemerkenswert ist auch, wie relativ wenig darüber berichtet wird in der Bundesrepublik, deren Kanzlerin ja schon einmal andeutete, sie könne sich vorstellen, nach ihrer Amtszeit in China zu lehren, und die immer enge Kontakte mit den Kommunisten dort pflegt und in jedem Jahr ihrer Kanzlerschaft dorthin reiste. Auch die Geschichte des Anwerbeversuchs des Abgeordneten Roth, die in englischsprachigen Medien breit läuft, ist laut Google in deutschen Medien nicht zu finden.
Dabei wirft Chinas Umgang mit der Krise viele, viele Fragen auf. Chinesische Offizielle streuten Verschwörungstheorien, wonach das US-Militär für den Ausbruch verantwortlich sei. China hat bisher weniger als 5.000 Todesfälle gemeldet, gegenüber fast 30.000 in den USA und jeweils fast 20.000 in Italien und Spanien.
Die Neue Zürcher Zeitung hat gerade einen bemerkenswerten Artikel des britischen Historikers Niall Fergusson abgedruckt, in der dieser sechs unbequeme Fragen an Xi Jinping, den Generalsekretär des Einparteistaats Chinas, stellt. Sein bitteres Fazit: „Das Schlimmste daran ist, dass manche Leute in der westlichen Welt durch Trumps Umnachtungssyndrom so verwirrt, durch chinesisches Geld so korrumpiert oder im Fall Italiens durch die nicht gerade altruistischen Reaktionen ihrer Miteuropäer so desillusioniert sind, dass sie diesen toxischen Strom der Heuchelei und Verlogenheit tatsächlich schlucken.“
Fergusson fragt unter anderem: „Was genau war in Wuhan der Grund für das erstmalige Auftreten von Sars-CoV-2? Falls das Virus von einer Fledermaus auf einem der ekligen ,Wet Markets´ (wo für den Verzehr durch Menschen bestimmte Wildtiere neben Hühnern und Rindfleisch angeboten werden) stammte, den Ihr Regime unerklärlicherweise nicht geschlossen hat, ist das schlimm genug. Wenn es jedoch aufgrund schlampiger Praktiken an der Wuhaner Zweigstelle des Chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und -prävention zustande kam, ist das noch schlimmer. Es ist schlicht verrückt, die Forschung an potenziell tödlichen Zoonosen wie dem Coronavirus mitten in einer riesigen Metropole wie Wuhan zu betreiben.“
Weiter fragt Fergusson nach der Vertuschung, und den Reaktionen: Etwa, warum China den innerchinesischen Flugverkehr aus Wuhan eingestellt habe, aus der stark von der Epidemie betroffenen Millionenmetropole aber weiter Flugzeuge ins Ausland starten ließ. Fergusson fragt weiter, warum Chinesen, die Kritik am Umgang der Regierung mit Covid-19 geäußert haben, verschwunden sind, und wie viele Menschen in China tatsächlich in Folge des Virus gestorben sind.
Die bittere Schlussbilanz von Fergusson: „Ich erwarte jetzt keine ehrlichen Antworten auf diese Fragen – ebenso wenig, wie wir von der sowjetischen Kommunistischen Partei nach Tschernobyl ehrliche Antworten erwartet haben. Ich glaube aber, wir müssen sie ständig weiter fragen, und sei es nur, um uns selbst gegen diese andere Virusart zu impfen, die derzeit von China ausgeht – wie die Desinformation via Internet zu verbreiten ist, hat Xi von seinem russischen Kumpel Wladimir Putin gelernt.“
So viel Kritik würde ich mir auch in vielen deutschen Medien wünschen – die (bis auf Ausnahmen wie die BILD) das kommunistische Regime in China eher schonen und sich dafür auf Donald Trump, Boris Johnson, Viktor Orban und andere Politiker, die dem linksgrünen Zeitgeist zuwider sind, eingeschossen haben. Und etwa eine in meinen Augen sehr fragwürdige Studie zur Corona-Krisenbewältigung weitgehend ohne jede Hinterfragung rauf und runter laufen lassen, in der anhand merkwürdiger Maßstäbe Deutschland auf Platz zwei weltweit liegt – und ausgerechnet China mit Platz fünf noch vor Taiwan. Das Land, das für China ein rotes Tuch ist und das von vielen als Positiv-Beispiel für einen erfolgreichen Umgang mit Corona genannt wird, liegt dort nur auf Platz sieben. Länder wie Polen, Tschechien oder Estland mit sehr geringen Corona-Zahlen liegen dort abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Man weiß nicht, was rätselhafter ist – diese Studie eines bislang kaum bekannten Think-Tanks – oder dass diese in vielen deutschen Medien wiedergegeben wird, als handle es sich um eine Entscheidung des Nobelpreis-Komitees.
Bild: WIX