„Diffamierung des Klassenfeinds“ im Bundestag

Die AfD-Fraktion im Bundestag will am Freitag die DDR-Bürgerrechtlerin, Mitbegründerin der Ost-SPD und Ex-Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe in das Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte wählen lassen. Eigentlich steht der größten Oppositionspartei im Bundestag das Recht zu, einen Kandidaten in das Kuratorium zu entsenden. Allerdings wurde bereits die von der AfD für das Kuratorium nominierte frühere Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld vom Bundestag nicht bestätigt. Ich sprach mit Angelika Barbe, warum sie trotz der sehr hohen Wahrscheinlichkeit, abgelehnt zu werden, kandidiert, und wo sie Probleme mit Menschenrechten und Demokratie in der Bundesrepublik sieht.

Frage: Sie haben sich nominieren lassen für das Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Warum?

Barbe: Die Aufgabenstellung ist sehr interessant und wichtig. Es geht darum, der Öffentlichkeit über die Verletzung von Menschenrechten auf der ganzen Welt zu berichten. Das ist nötig. Und dazu wird geforscht, dazu werden Untersuchungen gemacht. Und dieses Kuratorium, für das ich nominiert wurde, macht Vorschläge dafür. Es spricht die Probleme in der Welt an. Dabei möchte ich gern mitwirken. Weil ich sehe, dass da vieles, was mich bedrückt, ganz selten oder kaum zur Sprache kommt.

Frage: Warum haben Sie sich von der AfD nominieren lassen?

Barbe: Ich hätte mich auch von der CDU, der SPD, von den Grünen oder von der FDP nominieren lassen. Damit hätte ich kein Problem gehabt. Das sind demokratische Parteien. Wenn denen das Anliegen der Menschenrechte wichtig ist, dann bin ich bereit. Das Institut existiert erst seit 2001, und ich wünsche mir, dass dort hinterfragt wird. Dass da nicht nur die positiven Erklärungen der Regierungen akzeptiert werden, obwohl bekannt ist, dass es dann vor Ort ganz anders aussieht.

Frage: Man wirft Ihnen ja oft AfD-Nähe vor. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?

Barbe: Ach, ich bin auch sehr SPD-nah. Was meinen Sie, wie mein Herz als Mitbegründerin der SPD in der DDR blutet, wenn ich heute sehe, wie sich die SPD von den Vorstellungen, die wir damals entwickelten, entfernt hat. Also, da kann ich nicht sagen, ich akzeptiere alles. Ich unterstütze alle Parteien, die sich für die Menschen vor Ort, für Menschenrechte, für soziale Belange einsetzen. Und dazu hat auch mal die SPD gehört.

Frage: Die AfD wird von vielen als Gefahr für die Demokratie und als rechtsextrem dargestellt. Wie sehen Sie das?

Barbe: Das sehe ich nicht so. Ich bin Christin. Und in der Bibel steht, „an ihren Taten sollst du sie erkennen“. Und dann gucke ich mir nicht nur an, was sie reden, sondern auch, was sie tun, die einzelnen Parteien. Nun ist die AfD ja nicht in einer Regierungsfunktion. Aber sie macht das, was ich für richtig halte: Sie legt als Oppositionspartei den Finger in die Wunde und plappert nicht alles nach, was die Regierung schönfärbend und als Propaganda darstellt. Das finde ich richtig. Das ist immer meine Vorstellung gewesen von einer parlamentarischen Demokratie – dass die Regierung kritisch hinterfragt wird, und zwar von der Opposition. Das ist die Funktion von Opposition.

Frage: Sehen Sie eine realistische Chance, dass Sie vom Bundestag bestätigt werden? Es ist schon so, dass die Kandidaturen für das Bundestagsvizepräsidenten-Amt von der AfD durch die Bank abgelehnt werden. Und auch Vera Lengsfeld sollte ja schon auf Vorschlag der AfD für genau das Kuratorium bestimmt werden, für das Sie sich nun haben aufstellen lassen. Und das wurde auch abgelehnt. Gibt es überhaupt eine realistische Chance für Sie?

Barbe: Ich weiß es nicht. Ich finde es ganz besonders traurig, dass Vera Lengsfeld abgelehnt wurde. Ich finde das sogar beschämend. Ich lasse es drauf ankommen. Und ich würde mich freuen, wenn der Bundestag Menschen aus der Zivilgesellschaft, so wie mich, die kein Amt, kein Mandat haben, die überparteilich denken, wenn man solchen solche Menschen in die Gremien wählt und das nicht nur immer parteiisch macht. Denn die Parteien verlieren zunehmend ihre Glaubwürdigkeit. Die Bürger wollen das nicht. Sie erwarten einfach, dass die Parteien dem Allgemeinwohl dienen und nicht nur ihren eigenen Partikularinteressen.

Frage: Hätte es das, was man in Süddeutschland ein „Geschmäckle“ nennt, wenn ausgerechnet eine von der größten Oppositionspartei im Bundestag vorgeschlagene Menschenrechtlerin nicht in das Kuratorium des Menschenrechtsinstitut gewählt wurde?

Barbe: Ja. Aber das muss jeder einzelne Abgeordnete mit seinem Gewissen abmachen. So steht es in der Verfassung. Ich habe mich immer daran gehalten. Für mich war das Grundgesetz bindend. Meine Haltung in meiner Zeit als Abgeordnete war, dass ich immer nach meinem Gewissen entschied. Das erwarte ich von Abgeordneten und nicht, dass sie einfach nur irgendwelchen Vorgaben nachrennen.

Frage: Sie haben es angesprochen, Sie waren selber Abgeordnete. Hat sich seit Ihrem Ausscheiden viel verändert in Ihren Augen im Bundestag?

Barbe: Das Klima hat sich verändert. Ich finde es erschreckend, wie stark die Beschimpfung des politischen Gegners ist. Und zwar nicht nur seine Beschimpfung, sondern seine Diffamierung als, lassen Sie es mich so nennen, Klassenfeind. Ich wende mal den Begriff aus der DDR an. Wir waren ja mehrere DDR-Oppositionelle im Bundestag nach 1990 in verschiedenen Parteien. Wir haben die auch im Bundestag vertretene SED – und ich nenne sie so, weil sie sich selbst dazu bekannt hat – wir haben diese SED stets sehr kritisch angefragt. Wir haben sie als politischen Gegner bekämpft, aber immer sachlich. Wir haben sie nie so diffamiert, wie das heute mit Abgeordneten der AfD passiert. Und das finde ich beschämend. Das finde ich ungerecht. Ja, ich finde gar keine Worte für diese Haltung. Ich wünsche mir als Bürger, dass ein Thema kritisch diskutiert wird, mit Pro und Kontra. Ich habe als denkender Bürger, der eine ganze Menge erlebt hat, zwei Gesellschaftsordnungen, also ich habe die Möglichkeit, mir selber ein Bild zu machen. Aber ich finde es äußerst kritikwürdig, wenn die Abgeordneten der Altparteien, oder ich kann schon fast sagen Blockparteien, wenn die den politischen Gegner nur noch beschimpfen und die Sachlichkeit wegbleibt. Wenn dann später herauskommt, wie bei Herrn Amthor von der CDU, dass sie selber massiv Dreck am Stecken haben, kann man da nur sagen, liebe Abgeordnete, benehmt Euch anständig, diskutiert sachlich und setzt nicht Eure gesamte Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

Frage: Nun weiß ich aus internen Quellen, dass es im Deutschen Menschenrechtsinstitut Kritik gibt, es sei zu links, zu sehr auf Linie der Regierung. Wie sehen Sie das?

Barbe: Dazu kann ich wenig sagen. Ich habe mir das mal angesehen. Die Mitglieder des Kuratoriums vertreten verschiedene Positionen. Ich selber würde mir wünschen, dass mehr über Christenverfolgung gesprochen wird, über Menschenhandel, über Antisemitismus zum Beispiel bei den türkischen Grauen Wölfen. Und in Deutschland über den Kindesmissbrauch, der weltweit ungeahnte Formen annimmt, die Rechte der Frauen in den islamischen Staaten. Also diese Themen vermisse ich etwas. Aber ich hoffe, dass sich das in den nächsten Jahren ändert und auch andere Themen angesprochen werden.

Frage: Das, was in Ihren Augen vernachlässigt wird, weist das auf eine gewisse politische Schlagseite hin?

Barbe: Ja, das kann man so sagen. Das ist mir auch aufgefallen bei der politischen Bildung. Ich war Berichterstatterin zur politischen Bildung. Damals, in den neunziger Jahren, war es noch so, dass der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung alle vier Jahre wechselte. Damals war ein FDP-Mann Präsident, als ich im Bundestag war. Später ein CDU-Mann, dann ein SPD-Vertreter. Aber ich glaube, seit 2000 ist nur noch Herr Krüger da von der SPD, der hat offenbar ein Mandat auf Lebenszeit dort. Und das halte ich für absolut falsch. Es muss gewechselt werden, und es müssen auch unterschiedliche Themenbereiche angesprochen werden. Das ist in einer Demokratie wichtig. Es kann hier nicht nur die politische Korrektheit gelten oder das, was uns als politische Korrektheit vorgeschrieben wird.

Frage: Wie steht es um die Menschenrechte in Deutschland?

Barbe: Wie bereits angesprochen: Ich kritisiere den Menschenhandel, Frauen die als Sexsklaven benutzt werden, und Kinder, die man allein lässt und dem Missbrauch von Pädophilen aussetzt, wie es selbst Jugendämter taten. Das ist ein Riesenproblem. Ich sehe den Kindesmissbrauch, der nicht oder kaum geahndet wird. Ich sehe den Antisemitismus, der auch bei Rechtsextremisten, aber vor allem bei Linksextremisten und muslimischen Extremisten massiv überhand genommen hat, nach Auskunft von Michael Wolffsohn. Das halte ich für absolut problematisch. Ich finde es ganz schlecht, wenn aus politischen Gründen die wahren Ursachen, die wahren Täter und die wahren Opfer nicht mehr benannt werden dürfen. Ich bin Vorstand in einem Verein politisch Verfolgter. Unser Verein hat Seyran Ates dreimal in den letzten drei Jahren für die Louise-Schroeder-Medaille vorgeschlagen. Sie wurde jedes Mal abgelehnt. Seyran Ates hat die liberale Moschee gegründet, eine Moschee, die sich für Integration einsetzt und hier das Grundgesetz anerkennt. Also ich habe für die Ablehnung nur noch Kopfschütteln übrig.


Angelika Barbe (69) ist gelernte Biologin. Sie war DDR-Oppositionelle, Gründungsmitglied der Sozialdemokratischen Partei in der DDR und von 1990 bis 1994 Bundestagsabgeordnete sowie Mitglied des Parteivorstandes der gesamtdeutschen SPD. Seit 1996 ist Barbe CDU-Mitglied. Barbe ist Mitglied des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Sie galt in den Wendejahren als Gegenspielerin von Angela Merkel, die anders als die Dissidentin Barbe zu DDR-Zeiten bestens im System integriert war. Im Mai 2020 wurde Barbe auf dem Berliner Alexanderplatz kurzzeitig festgenommen, nachdem sie am Rande einer Antifa-nahen Demo einen Platzverweise bekommen hatte; die Bilder ihrer rüden Abführung gingen durch die sozialen Netzwerke.


Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0421-332 / Schöps, Elke / CC-BY-SA 3.0

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