In der alten Bundesrepublik, so wie ich sie kannte vor meinen 16 Jahren im Ausland, war es bei einem Trainer entscheidend, wie gut er trainierte. War sein Training erfolgreich, behielt er seinen Job. War sein Training schlecht, behielt er ihn nicht. Politisch konnte er eigentlich tun und lassen, was er wollte, solange er nicht offen mit der linksextremen Terror-Organisation RAF sympathisierte oder Wahlwerbung für die NPD betrieb. Im selbsterklärten „besten Deutschland aller Zeiten“ ist das anders. Eine unbedachte Äußerung in einem Interview kann einen Trainer seinen Job kosten. Selbst wenn er die Aussage danach bereut.
So erging es jetzt dem ehemaligen Nationaltorwart von Ungarn, Zsolt Petry. Der ist Torwarttrainer beim Berliner Fußballbundesligisten Hertha BSC. Genauer gesagt war er das. Denn nach migrationskritischen Aussagen in einem Interview wurde er mit sofortiger Wirkung freigestellt. „Hertha BSC hat die Charta der Vielfalt unterschrieben und setzt sich als Verein aktiv für Werte wie Vielfalt und Toleranz ein, weil uns diese Werte wichtig sind. Dies findet sich in den Äußerungen von Zsolt Petry, die er als unser Mitarbeiter öffentlich getätigt hat, nicht wieder“, teilte der Berliner Verein am Dienstag mit. Der Sünder machte den öffentlichen Kniefall, doch es half nicht mehr. Er sagte zu seinem Interview in der ungarischen Zeitung „Magyar Nemzet“: „Ich möchte betonen, dass ich weder homophob noch fremdenfeindlich bin. Meine Aussage zur Einwanderungspolitik bedaure ich sehr und möchte all die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen und die ich damit beleidigt habe, um Entschuldigung bitten.“
Das half nicht mehr. Denn Petry hatte das gesagt, was man in der neuen Bundesrepublik, in der eigentlich noch das alte Grundgesetz gilt, nicht mehr sagen darf: „Ich verstehe nicht, wie Europa auf die moralischen Tiefen sinken kann, die es erreicht hat. Für mich ist die Einwanderungspolitik eine Manifestation der moralischen Degradierung. Europa ist ein christlicher Kontinent, und es gefällt mir nicht, den moralischen Verfall zu sehen, der sich über den Kontinent ausbreitet.“ Diese Aussage mag man teilen, man mag sie nicht teilen, man mag sie auch empörend finden. Aber ist sie ein Grund, einen Torwarttrainer zu entlassen? Wäre Petry Polit-Instrukteur in einer öffentlichen Einrichtung – man möge mir den Freud’schen Verschreiber und Rückgriff ins DDR-Lexikon verzeihen, könnte man sich ja noch Gedanken machen. Aber Torwarttrainer? Ich dachte, der ist nur für die Haltung auf der Torlinie verantwortlich, und nicht für die politische.
Besonders pikant: Petry hatte den Liberalen vorgeworfen, Kritiker der Massenmigration auszugrenzen: „Die Liberalen vergrößern den Dissens: Wer nicht glaubt, dass Migration gut ist, weil Europa von Kriminellen überrannt wird, wird schon als Rassist gebrandmarkt. Das ist nicht akzeptabel, die Meinung des anderen wird weniger toleriert, besonders wenn er eine konservative Meinung vertritt.“ Was für eine Ironie des Schicksals, dass Petry ausgerechnet nach der Klage über mangelnde Toleranz gegenüber anderen Meinungen gefeuert wurde.
Aber es wird noch tragikomischer. Denn Petry kommentierte in dem Interview auch Aussagen seines Landsmannes Péter Gulácsi vom RB Leipzig: „Die liberale Meinung von Péter Gulácsi zu Regenbogenfamilien wird von der Mehrheit der ungarischen Gesellschaft nicht geteilt. Deshalb haben viele Menschen begonnen, ihn zu kritisieren. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich als Sportler auf den Fußball konzentrieren und keine Stellung zu öffentlichen oder gesellschaftspolitischen Themen beziehen.“ Wer diese Aussage nüchtern liest, wird nicht darum herumkommen, zu konstatieren, dass er von der Einstellung der Ungarn zu Gulácsis Haltung spricht und nicht von seiner eigenen. Doch zu soviel Differenzierungen sind viele in der Erregungsblase nicht mehr in der Lage.
Prompt geriet Petry denn auch für seine Worte ins Visier des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland. Dessen Vorsitzender, der Sozialdemokrat Alfonso Pantisano, forderte die rote Karte für Petry. Sein Verein müsse „jetzt entschieden handeln: Homophobie und Fremdenfeindlichkeit dürfen in den eigenen Reihen nicht geduldet werden.“ Petry musste auch hier schon Abbitte leisten und erklären, er respektiere die Meinung seines Landsmanns voll und habe keine diskriminierenden Bemerkungen gegen Regenbogenfamilien machen wollen. Er wolle sich, so Petry, auf seine Arbeit bei Hertha konzentrieren. Das braucht er nun nicht mehr.
Vielleicht sollte sich dagegen Hertha mehr auf den Sport als auf die Politik konzentrieren. Der Verein ist akut abstiegsgefährdet.
Bild: -Steindy (talk)/Wikicommons/CC BY-SA 4.0 / ShutterstockText: br