Journalisten sind dazu da, um kritische Fragen zu stellen. So habe ich das in meiner Ausbildung gelernt. Und Journalisten, die es ernst nehmen mit ihrem Berufethos, die setzen sich dafür ein, dass auch andere Kollegen kritische Fragen stellen können. Mir ist mehrmals aufgefallen, dass bei der Bundespressekonferenz solche kritischen Fragen zu selten gestellt werden. Etwa als Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu seiner Corona-Politik befragt wurde. In meinen Augen war das kein Glanzbeispiel für kritischen Journalismus, was die Kollegen im Saal da von ihm wissen wollten – und was nicht. Mich juckte das in den Fingern, weil ich genau wusste, was ich den Minister gerne gefragt hätte. Etwa, warum in einem Papier seines Hauses davon die Rede ist, im Zuge von Corona Urängste vor dem Ersticken zu wecken.
Die Bundespressekonferenz ist ein besonderes Konstrukt. Sie wurde 1949 gegründet und ist ein Verein, in dem sich Hauptstadtjournalisten zusammenschließen. Der gute Grundgedanke dahinter: Die Journalisten laden selbst die Politiker zu Pressekonferenzen ein, und nicht umgekehrt. Eigentlich eine tolle Sache. Und ein Kollege, der Mitglied ist, spornte mich an: „Du erfüllst alle Voraussetzungen, trete doch bei“. Ich hatte gleich ein Bauchgefühl, das mir sagte, dass es da wohl Widerstände geben würde. Doch der Kollege beruhigte mich: „Die haben zu DDR-Zeiten sogar die Korrespondenten vom Neuen Deutschland aus der DDR als Mitglieder aufgenommen, also keine Sorge.“
So schickte ich meine Aufnahme-Unterlagen an die Bundespressekonferenz, in der Hoffnung, bald unseren Ministern und der Kanzlerin kritische Fragen stellen zu können. Bei den Referenzen verwies ich auf meine Seite, die bis zu einer halben Millionen Besucher und eine Million Abrufe im Monat hat, und gerade erst beim Tagesranking der relevantesten Nachrichten in Deutschland von „10.0000 flies“ auf den zweiten Platz kam – in einer Liga mit den ganzen Großen. Hauptthema auf meiner Seite ist Politik, und ich selbst schreibe weit überwiegend über bundespolitische Themen.
Umso überraschter war ich, als jetzt ein Brief von der Bundespressekonferenz kam, in dem es hieß, man könne meinem Aufnahmeantrag nicht entsprechen. Wörtlich steht in dem Schreiben: „Der Mitgliederausschuss der Bundespressekonferenz hat über Ihren Antrag auf Mitgliedschaft beraten. Die Satzung schreibt vor, dass nur Mitglied werden kann, wer ständig und weit überwiegend über Bundespolitik berichtet. Dies können wir anhand der von Ihnen angegebenen Quellen nicht eindeutig erkennen.“
Jeder kann sich auf meiner Seite hier, die ich als Quelle angegeben hatte, selbst ein Bild machen, was hier eindeutig zu erkennen ist und was nicht.
Weiter heißt es in dem Schreiben: „Daher komme ich leider nicht umhin, Sie um aktuelle Arbeitsproben der letzten Wochen mit Erscheinungsdatum und Redaktion zu bitten.“
Das finde ich bemerkenswert. Und ich formuliere jetzt bewußt ganz vorsichtig: Die Reaktion der Bundespressekonferenz wirft für mich und Kollegen, denen ich das Schreiben gezeigt habe, die Frage auf, ob es sich hier um einen Versuch handelt, einen unliebsamen Kollegen, der gerne kritische Fragen stellen möchte, genau davon abzuhalten.
Noch bemerkenswerter wird die Reaktion, wenn man betrachtet, dass etwa selbst ein YouTuber wie Thilo Jung von „Jung und naiv“ in die Bundespressekonferenz aufgenommen wurde.
Kollegen reagierten auf meine Nachricht mit Sarkasmus. „Du solltest in die SPD, in die Grünen oder in die Linke eintreten, dann würde dein Antrag im Handumdrehen durchgewunken“, schrieb mir eine Kollegin. Ein anderer meinte: „Schreib doch fürs Neue Deutschland, dann gibt es sicher kein Problem.“
Tatsächlich ist die Sache nicht witzig und auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Die Regierung ist der Presse Rede und Antwort schuldig. Wenn sie ihre Pressekonferenzen faktisch auslagert, an einen Verein, der die Zugangskontrolle hat, wird damit, wenn der Verein die Zugangskontrolle restriktiv ausübt, die Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Auf diese Weise kann faktisch ein „Ausfiltern“ von Journalisten stattfinden, die Fragen stellen dürfen.
Wie absurd das Ganze ist, veranschaulicht die Erklärung eines Kollegen: Er sagte, ich dürfe weniger über Berliner und andere Themen schreiben, damit ich nachweisen könne, dass ich „weit überwiegend über Bundespolitik“ berichte. In der Realität hieße das, dass ich mich selbst zensieren muss bei anderen Themen, um als Journalist der Bundesregierung kritische Fragen stellen zu dürfen. So eine Regelung wirkt wie aus dem Zunftrecht aus dem Mittelalter und wird der modernen Medienrealität absolut nicht gerecht. Ja sie konterkariert die Aufgaben der Presse.
Ich denke, die Mitglieder der Bundespressekonferenz sollten sich hier dringend Gedanken machen und dem Reformbedarf stellen.
Faktisch besteht die Gefahr – und ich formuliere erneut bewußt vorsichtig – dass genau das pervertiert wird, was auf Wikipedia über die Bundespressekonferenz steht: „Im Gegensatz zur Praxis in vielen anderen Staaten sind die „Hausherren“ der Bundespressekonferenzen die Journalisten selbst und nicht die Regierung, Ministerien, Parteien, Verbände, Weltanschauungsgemeinschaften oder einzelne Politiker. Dadurch kommen auch Journalisten, die für ihre kritischen Fragen bekannt sind, stets zu Wort, während in vergleichbaren Veranstaltungen in anderen Staaten diese Journalisten vielfach keine Fragen stellen können.“
Rein vorsorglich weise ich hier selbstverständlich darauf hin, dass auf meiner Seite im Wesentlichen nur die Beiträge über die Bundespolitik Namensartikel im klassischen Sinne aus meiner Feder sind, während die anderen zu einem großen Teil redaktionelle Beiträge sind.
Entsprechende „Arbeitsproben“ lasse ich der Bundespressekonferenz gerne zukommen und nehme ihr damit die Arbeit ab, auf meine Seite zu sehen, denn die Kollegen in der Aufnahmekommission sind, wie sich herausstellt, offenbar sehr beschäftigt. Wenn auch diese „Arbeitsproben“ nicht ausreichen, solle ich mich einklagen, riet mir ein prominenter Jurist (deshalb auch die vorsichtigen Formulierungen in diesem Beitrag). Auf jeden Fall werde ich alles tun, was ich kann, um der Regierung kritische Fragen zu stellen. Es ist schlimm genug, dass andere das heute so selten tun.
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