Die Pressekonferenz von Stadt und Polizei in Stuttgart war ein Lehrbeispiel dafür, wie man durch geradezu akrobatische, sprachliche und semantische Verrenkungen vermeidet, Ross und Reiter zu nennen. Man hat den Herren das Unwohlsein angesehen. Erst war es die Party- und Eventszene (Party- und Eventveranstalter rund um Stuttgart werden sich bedanken), dann bestimmte „Erlebnisstrukturen“ (was ist das?). Und dann wurden, auf Nachfrage, ganz im Schnelldurchlauf mal eben ein paar Nationalitäten genannt: Ja praktisch „rund um den Globus“ kommen die her. Das klingt wie eine lustige Reisetruppe, die sich da eben mal versammelt hat.
Wenn die Gewaltbereitschaft und Kriminalitätsneigung von migrantischen jungen Männern weiter so verharmlost wird, ist das die Aufforderung zu weiteren nächtlichen Raubzügen. Die Politik sagt: Wir decken Euch!
Der zeitliche Zusammenhang mag Zufall sein, doch es macht ihn nicht weniger bedrückend. Nur wenige Tage, nachdem Hengameh Yaghoobifarah in der „tageszeitung“ dazu aufgerufen hat, Polizisten auf der Müllhalde zu entsorgen, und ein breiter öffentlicher Aufschrei deswegen aufblieb, nachdem SPD-Chefin Saskia Esken die Polizei generell unter Rassismus-Verdacht stellte, kam es in Stuttgart zu Gewalt gegen Polizisten, wie man sie in Deutschland bisher nicht kannte. Der Polizeipräsident der Landeshauptstadt, Frank Lutz, rang auf der Pressekonferenz um Fassung: „Es sind unglaubliche Geschehnisse, die mich fassungslos gemacht haben, und die ich in den 46 Jahren im Polizeidienst noch nicht erlebt habe. Es war heute Nacht eine nie dagewesene Dimension von offener Gewalt gegen Polizeibeamte und Sachbeschädigungen bis hin zu Plünderungen. Es ist ein trauriger Tag für Stuttgart und auch die Polizei.“ (Hier hören Sie einen erschütternden Audio-Hilferuf eines Polizisten aus der Nacht).
Sein Stellvertreter Thomas Berger, der in der Nacht den Einsatz geleitet hatte, war ähnlich entsetzt: „Ich bin seit 30 Jahren Polizeibeamter und habe schon einiges erlebt, ich kann Ihnen sagen, solche Szenen hat es in Stuttgart sicher noch nie gegeben, vor allem auch was das Erleben der Kolleginnen und Kollegen angeht, wie die Gewalt gegen sie hier ausgeübt wurde, allein aufgrund der Tatsache, dass sie Polizeibeamten sind und hier eingeschritten sind.“
Die Pressekonferenz hatte etwas Gespenstisches. Auf der einen Seite war den Polizisten ihr Schock anzumerken, nach den Krawallen, bei denen 19 Polizisten verletzt, 40 Geschäfte beschädigt, neun geplündert und 24 Tatverdächtige festgenommen wurden. Auf der anderen Seite verpackten sie ihre Diagnose in Watte. Wie in einem Eierlauf vermeiden sie Klartext um jeden Preis. Dass sie nach so massiver Gewalt, ja so einem Horror die Täter als „Party und Samstag-Abend-Szene“ verharmlosten, ist geradezu absurd. Hier spricht viel dafür, dass die politisch Verantwortlichen der Polizeiführung eine Sprachregelung auferlegten oder sie sich in vorauseilendem Gehorsam selbst zensierte. Anders ist die Diskrepanz in ihren Aussagen, die Mischung aus Alarmglocken und Verharmlosung, nicht zu erklären. Nach der Logik von Stuttgart wären auch die Verantwortlichen für die massive Gewalt gegen die Polizei in Göttingen von diesen Wochenenden die „Quarantäne-Szene“.
Die Krone setzte allem Stuttgarts Grünen-Oberbürgermeister Fritz Kuhn auf: „Ich will deutlich sagen, was da in der Nacht passiert ist, geht nicht. Da ist klar eine Grenze überschritten.“ Man muss sich das vorstellen: 19 Beamte verletzt, Verwüstungen in der Innenstadt, und der Oberbürgermeister redet wie ein Lehrer von Schülern, die einen bösen, aber eher harmlosen Streich verübt haben. „Das geht nicht!“
Kuhn weiter: „Es kann nicht sein, dass man die Polizei angreift und plündert. Dieses ist nicht möglich.“ Doch, Herr Kuhn! Es war möglich, und zwar gerade eben. Was ist das für ein Umgang mit Realitäten, sie einfach für „nicht möglich“ zu erklären? Weiter lobte Kuhn das Stadtklima, und Stuttgart als Tourismusziel – als handle es sich um eine Fremdenverkehrs-Werbe-Veranstaltung. Der Grünen-Politiker erklärte dann, er habe sich sehr gefreut, dass die Polizei erklärt habe, dass sie solche Ausschreitungen in Zukunft in Stuttgart zu verhindern versuche. Eine Mischung aus Kindergarten und Satire.
Interessant auch die Fragen der Journalisten – bei denen man teilweise den Eindruck hatte, ihre größte Sorge sei, dass „bestimmte politische Kreise“ die falschen Schlüsse aus den Krawallen zögen. Auf die Frage, ob es Anhaltspunkte dafür gebe, dass die linke Szene mit den Gewalttaten zu tun habe („gewisse politische Kreise haben das genutzt“), sagte Polizeipräsident Lutz: „Ich kann eine politische Motivation ausschließen.“ Als nach mehr als 23 Minuten die Frage nach den Staatsangehörigkeiten der Tatverdächtigen gestellt wurde („es wird ja sofort diskutiert, ob das Menschen aus dem Flüchtlingsmilieu waren“), sagte Vize-Polizeipräsident Berger: „Es ist nicht ausschließlich das Flüchtlingsmilieu, das Sie angesprochen haben. Die Tatverdächtigen waren aus allen möglichen Ländern, Bosnien, Portugal, Irak, Iran, Kroaten, Somalia, Afghanistan. Das kann man nicht verifizieren, dass es nur allein ein Flüchtlingsthema ist. Aber klar ist natürlich schon, dass auch von den Deutschen drei einen Migrationshintergrund haben. Das gehört zur Wahrheit hinzu. Es war ein bunter Mix über den Globus, was sich gestern versammelt hat.“ Zwischen den Zeilen hat Berger damit zwar alles gesagt. Aber es geschickt versteckt, so dass es alle, die es nicht sehen wollen, schön verdrängen können.
Und viele Medien helfen beim Verstecken. Beispiel: Die Frankfurter Allgemeine. Sie vermeidet in einem Bericht über Stuttgart unter der Überschrift „Die Zerstörungswut einer Partymeute“ den Begriff „Migranten“. Und alles, worin der Wortstramm vorkommt. Lediglich im drittletzten Absatz des langen Artikels wird kurz erwähnt, dass die Täter einen „bunten Mix rund um den Globus“ darstellen.
Auch für ntv war der Hinweis auf den Migrationshintergrund bei der Pressekonferenz offenbar zu viel. Ob Zufall oder nicht – der Sender brach genau, als dieses Thema angeschnitten wurde, schnell seine Liveübertragung ab. Und bei WELT-TV führte Alexander Siemon seine Zuschauer in seiner Zusammenfassung in die Irre: „Zwölf Deutsche festgenommen und zwölf mit Migrationshintergrund“, sagt er etwas kleinlaut. Eine Fehlinformation, denn laut Berger haben ja von den zwölf Deutschen auch drei einen Migrationshintergrund.“
Zuvor hatte Polizei-Vizepräsident Berger Details des Geschehens berichtet: „Um 23.30 Uhr sollte es im Rahmen einer ganz normalen Polizeikontrolle zur Kontrolle einer Person kommen. Diese Person, um gleich Ihre Frage vorweg zu nehmen, ist ein 17-jähriger deutscher Staatsbürger mit weißer Hautfarbe, der im Bereich obere Schlossgarten-Anlagen offenbar ein Rauschgiftdelikt begangen hat. Sofort haben sich 100 bis 200 anwesende Personen dort, ich sage mal die Partyszene oder Samstag-Abend-Szene dort, solidarisiert und sofort die Polizeibeamten angegriffen mit Steinen- und Flaschenwürfen.“
Erstaunlich, dass hier gleich die Staatsangehörigkeit und die Hautfarbe einer Person genannt werden. Ob das auch in einer anderen Konstellation der Fall gewesen wäre? Erstaunlich auch, dass Berger zu den Nationalitäten der Festgenommenen von sich aus fast nichts sagte – erst auf Nachfrage äußerte er sich dazu später.
Weiter berichtete Berger: „Die Kollegen konnten dann unter massiver Verstärkung erreichen, dass die Personen ein Stück weit zurückgedrängt wurden. Die Gruppe wuchs dann aber ständig an und hat sich dann auf dem Schlossplatz auf 400 bis 500 Personen erhöht. Von da an wurden die Beamten massiv mit Steinen und Flaschen beworfen. Es kam zu einem medizinischen Notfall, auch der Rettungsdienst wurde an der Behandlung des Patienten ebenfalls durch Flaschenwürfe und direkte Angriffe gehindert.“
Umso erstaunlicher ist, wie Berger nun im nächsten Satz alles zuvor gesagte auf erstaunliche Weise verharmloste: „Die Gruppe setzt sich zusammen augenscheinlich aus einer Gruppierung, die wir als „Eventszene“ bezeichnen, die sich Samstagabends in der Stadt aufhält. Wir haben es nicht geschafft trotz erheblichem Kräfteaufgebots, die Situation in der ersten Phase in den Griff zu bekommen. Sie war auch sehr unübersichtlich. Es haben sich Kleingruppen gebildet, die durch die Innenstadt gezogen sind und dort diverse Straftaten begangen haben. Es gelang uns gegen 4.30 Uhr die Lage so weit zu beruhigen, dass wir einen einigermaßen überschaubaren Zustand in der Stadt hatten.“
Frank Lutz klagte, dass der Dienst seiner Beamten in den letzten Wochen viel schwieriger geworden sei, dass es immer öfter zu Aggressionen gegen Uniformierte käme, wenn sie in Einsätzen seien. Insbesondere treffe das auch auf die „Party- und Eventszene“ zu. Lutz. „Das ist nie da gewesen, und doch auch ein Einzelfall.“
Ist es das wirklich? Die Randale in Göttingen am Wochenende oder auch die Angriffe auf Polizisten bei den Antirassismus-Demonstrationen in Berlin vor zwei Wochen mit fast dreißig verletzten Beamten deuten in eine andere Richtung. Vor diesem Hintergrund ist interessant, was für ein Klima der Aggression in Deutschland gegenüber der Polizei entstanden ist, vor allem in den vergangenen Wochen. Nicht nur SPD-Chefin Saskia Esken hatte pauschale Rassismus-Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Bei der Bundestagsdebatte am Donnerstag wurden die Beamten „pauschal zum Freiwild erklärt und zum Angriff auf sie geblasen“ wird, wie der parteilose Bundestagsabgeordnete Mario Mieruch im Plenum beklagte. Man stelle sich einmal vor, Zuwanderer würden ähnlich pauschal abgeurteilt – etwa in Sachen Gewaltbereitschaft.
Auf die Frage einer Journalistin, ob SPD-Chefin Esken eine Mitverantwortung an der Entwicklung trage, sagte Polizeivizepräsident Berger bitter: „Das wäre eine politische Wertung, das steht mir nicht zu.“ Sodann ging er in die Verteidigung über – und beteuerte, wie stark sich die Polizei mit Rassismus in den eigenen Reihen beschäftige. Die Angst, Klartext zu sprechen, scheint stärker zu sein als der Schmerz über die Pauschalurteile. Auf Dauer kann das kaum gutgehen.
Eine Journalistin vom öffentlich-rechtlichen SWR setzte noch einen drauf: Sie fragte, ob die Krawalle nicht vorhersehbar gewesen wären. Ob die Polizei die Entwicklung nicht hätte ahnen und sich besser vorbereiten hätte müssen. Die SWR-Journalistin hatte Glück, dass die Beamten höflich antworteten – und nicht etwa konterten, dass laut Medien wie dem SWR doch alles bestens sei. Oder nach den Aussagen von der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die im Zuge der so genannten „Flüchtlingskrise“ sagte: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf!“ Wie Recht sie doch hatte – mit den Veränderungen.
Eine weitere Journalistin von der „Stuttgarter Zeitung und Nachrichten“ fragte: „Das Ganze wird ja jetzt auch wahrscheinlich in einigen Kreisen wieder Ressentiments gegen Ausländer, Migranten, Geflüchtete schüren. Das wird eine große Aufgabe sein, aber haben Sie da schon erste Ideen, wie man da versöhnend, eindämmend wirken kann politisch?“
Ihre Frage steht für die kollektive Verdrängung des Problems des Gewalt-Imports in weiten Kreisen von Politik und Medien. Mittelfristig wird diese die Probleme noch verschärfen – und in eine Katastrophe führen.