Ganz offen gestanden hielt ich es zunächst für Fake News, als mir eine Kollegin gestern per Whatsapp folgende Nachricht schickte: „Guten Abend! Ein Bekannter von mir hat heute einen neuen Dienst auf seinem Handy entdeckt: ‚Benachrichtigungen über möglichen Kontakt mit Covid19-Infizierten‘. Er hat kein Update gemacht, das ist von allein erschienen.“
Was da wieder für Horrormeldungen verbreitet werden, war mein erster Gedanke. Bis ich dann an die Nachrichten der vergangenen Woche dachte, wo so manches, was man noch vor drei Monaten als Verschwörungstheorie in Sachen Überwachungsstaat kopfschüttelnd belächelt hätte, auf einmal als ernstes Planungsspiel auftauchte. Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese aus Meschede etwa fordert den Einsatz einer Corona-App – zunächst freiwillig, möglicherweise auch verpflichtend. Lieses Partei- und Parlamentskollege Axel Voss stößt in eine ähnliche Richtung: „Wer die App hat, soll zuerst wieder ins Restaurant dürfen“, schlug er vor.So bekam ich meine Zweifel, ob die Nachricht der Kollegin wirklich Fake News ist, und bat sie um genauere Angaben. „Wenn man den Erklärungstext liest, merkt man, dass es wohl noch nichts Konkretes ist, aber es wird schonmal alles vorbereitet…“, schrieb sie mir – und sandte mir den folgenden Screenshot:
Ich war beruhigt, dass ich bei mir in meinem iPhone nichts Ähnliches fand, und erzählte einer Freundin von der Nachricht. Mein Tenor: „Da schürt wieder irgend jemand Angst.“Die Freundin sandte mir daraufhin diesen Screenshot aus ihrem Telefon:
Ich bin im Vergleich zu vielen meiner Mitbürger eher angstfrei, was Überwachung angeht, und hart im Nehmen. Aber nach dieser Nachricht wurde mir doch etwas mulmig. Sofort ging ich in die Einstellungen meines eigenen Telefons. Und siehe da, auch hier steht dieses Update an.
Der spontane Gedanke, dass im Zuge von Corona der Große Bruder kommen könnte, nach chinesischem Vorbild, hat etwas Beunruhigendes. Bei genauem Durchlesen wirkt alles zunächst einmal jedoch halb so schlimm. Dass die Progammschnittstelle (API) kommen würde, konnte man seit Wochen wissen, zumindest, wenn man aufmerksam die Nachrichten verfolgte. Und ein besseres Gedächtnis hat als ich. Wobei es vielleicht nicht mal so sehr am Gedächtnis liegt: Die Neuerung wurde in unseren Medien eher durch gewunken, wenn nicht gar begrüßt. Und sie blieb deshalb weniger hängen, als das bei kontroverseren Debatten und Schlagzeilen der Fall gewesen wäre.
Die Reaktion der Journalisten-Kollegen ist erstaunlich, wo doch viele von ihnen sonst bei jeder Gelegenheit Überwachungs-Alarm ausgelöst haben. Und jetzt das. Alles kaum noch ein Thema. Und zuweilen gar Jubel: „Das Update für iPhones bringt die weltweit sehnsüchtig erwartete Schnittstelle für Corona-Tracing-Apps“, schreibt etwa „Chip“. Selbst die sonst chronisch Besorgten wie der Chaos-Computer-Club oder netzpolitik.org schweigen; golem.de zeigt sich gar angetan.
Die Computer-Seite Techbook hält anderes für wichtiger und beginnt ihren Beitrag über das Update damit, wie die Gesichtserkennung mit Maske nach dem Aktualisieren zwar weiter nicht funktionieren, aber künftig dieses Nicht-Funktionieren komfortabler sein werde: Das iPhone könne nach erfolgloser „Face-ID“ bald rascher zur Password-Eingabe springen.
Erst nach dieser wichtigen Information ist bei Techbook über die Kontaktverfolgungs-API zu lesen, die automatisch installiert wird: „Apple und Google stellen jedoch sicher, dass nur offizielle Behörden tatsächlich Zugriff auf das Interface haben, damit sensible Daten nicht an Dritte gelangen.“ Das Wort der Kollegen in Gottes Ohr.
Eher beunruhigend fand ich indes, dass ausgerechnet die so genannten Faktenchecker, die leider allzu oft Nachrichten so hindrehen („framen“), wie sie zum linksgrünen Zeitgeist passen, sich des Themas angenommen haben und beruhigen: „Wird eine Begegnung mit einer infizierten Person festgestellt, erhält der Nutzer einen Hinweis zum Download der App einer zuständigen Behörde. Hier werden dem Nutzer dann weitere Schritte genannt“, schreiben die Nachrichtenwärter von Mimikama („Zuerst denken – dann klicken“): „Datenschutzbedenken sollen durch Bekanntgabe dieser Details aus dem Weg geräumt werden. Auch ist ohne Zustimmung der Nutzer keine Kontaktverfolgung möglich, berichtet Techcrunch.“ Na also, bei so einer Quelle – TechCrunch – wer könnte da noch Zweifel haben?
Aber Galgenhumor beiseite: Wenn man dann noch liest, dass bereits ein digitales Corona-Gesundheitszertifikat in Ausarbeitung ist, macht man sich doch so seine Gedanken. Sogar eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ist für diesen „Corona-Pass“ schon gegründet worden. Als Partner nennt diese die für Pässe zuständige Bundesdruckerei, die Lufthansa und das Gesundheitsamt der Stadt Köln. Kommt man bald nur noch mit dem digitalen Corona-Zertifikat ins Flugzeug?
Ein absurdes Horrorszenario? Einer der Mit-Gründer der Corona-Zertifikat-GbR, Stephan Noller, sprach schon darüber, dass ein verlässlicher Corona-Status in den nächsten Monaten ein ganz entscheidendes Merkmal sein werde, um wieder zur Normalität zurückkehren zu können (siehe den Beitrag „Bringt Corona den großen Bruder nach Deutschland?“). „Die Vorlage eines unanfechtbaren medizinischen Testergebnisses kann als Katalysator dienen, um das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft wieder hochzufahren“, schreibt der Behörden-Spiegel.de: „Dazu gehören etwa Kontrollen bei der Arbeit, besonders in kritischen Einrichtungen, zum Antritt internationaler Flüge oder für den Einlass bei Großveranstaltungen.“
Fürwahr keine rosigen Aussichten. Zu allem Überfluss droht die französische Regierung bereits Apple, weil der Konzern der Corona-App aus Paris den Zugriff auf die iPhones nicht so zur Verfügung stellen will, wie sich das die Behörden wünschen.
Nein, ich bin weit davon entfernt, Panik zu haben. Und ich finde, dass durchaus auch gute Argumente für die Corona-Apps sprechen. Aber sie bringen eben auch Risiken. Und die hätte ich gerne ausführlicher diskutiert. So aber erlebe selbst ich als Datenschutz-Muffel jetzt zum ersten Mal, dass ich zögere, mir ein Update auf mein Telefon zu laden. Auch wenn man ohnehin nicht darum herumkommt.
So wenig ich eine weltweite Verschwörung hinter Corona sehe – so groß ist meine Sorge, dass im Zuge der Krise ein Maß an digitaler Überwachung eingeführt und von vielen begrüßt wird, das bis vor kurzem noch die halbe Republik auf die Barrikaden gebracht hätte. Und das zu Missbrauch einlädt und heftige Nebenwirkungen haben kann.
Noch misstrauischer als die Nachricht von der „Kontaktverfolgungs-API“ macht mich die auffallend wohlwollende Begleitung der Medien. Und dass diese viel zu selten kritische Fragen zu dem Thema aufwerfen. Was aber ihr Job ist, und zwar bei allen Themen.
Zum ersten Mal kommt so etwas wie Nostalgie in mir auf beim Gedanken an alte Wählscheiben-Telefone.
Bild: Bayerisches Fernsehen/Screenshot