In den Zeiten, die wir heute finster nennen, war für die Bekämpfung von Andersdenkenden und Abweichlern vom wahren Glauben die Inquisition zuständig, also die Ketzerverfolgung. Heutzutage übernimmt zumindest in Deutschland zunehmend eine andere Organisation diese Aufgabe: Die Presse. Genauer gesagt: Teile von ihr. Die gute Nachricht: Es wird niemand mehr verbrannt. Die schlechte: Die Scheiterhaufen sind wieder da, nur sind sie virtuell.
Die jüngsten Opfer der neudeutschen medialen Hexenverfolgung, nachdem erst kürzlich ARD-Chefredakteur Rainald Becker „Corona-Zweifler“ als „Wirrköpfe“ und „Spinner“ diffamiert hatte (siehe hier): Mehrere katholische Bischöfe, die sich in einem Schreiben kritisch mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie auseinandersetzen.
Liest man die Berichte diverser deutscher Leitmedien zu dem Schriftstück, kommt man fast zu dem Eindruck, die kirchlichen Hirten seien vom Teufel befallen. „Bischöfe verbreiten Verschwörungstheorien“, titelt tagesschau.de. Der ARD-Beitrag ist ein Musterbeispiel dafür, wie unter dem Deckmantel des Journalismus mit unser aller Gebühren dumpfe Propaganda betrieben wird. Es fällt mir schwer, diesen Vorwurf zu erheben, ich tue es nicht leichtfertig – aber es geht nicht anders in diesem Fall. Da steht etwa: „Die Unterzeichner äußern überdies ´Zweifel an der tatsächlichen Ansteckungsgefahr´ des Coronavirus.“ Das ist Irreführung des Gebührenzahlers. Aber das kann niemand so leicht herausfinden, denn die Tagesschau hat nicht mal das gemacht, was das Minimum an journalistischem Anstand gebieten würde: Die Originalquelle verlinken.
In der schreiben die Bischöfe nämlich: „je mehr Zweifel von verschiedenen Seiten an der tatsächlichen Ansteckungsgefahr…laut werden…“ Sie äußern diese Zweifel also nicht selbst, wie die Tagesschau zwar rein formal vielleicht gerade noch korrekt, aber doch manipulativ unterstellt, sondern machen darauf aufmerksam, dass es diese Zweifel gibt. Ich kann auch auf Zweifel an der Evolutionstheorie aufmerksam machen, ohne mir diese zu eigen zu machen.
Liest man den Originaltext der Bischöfe (zu finden hier), kommt man zu dem Schluss, dass es ein durchaus nüchternes, interessantes Schreiben ist – über das man sicher diskutieren kann, und mit dem man sicher nicht in allem einverstanden zu sein braucht. Die Kirchenfürsten warnen vor „dauerhaften Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung und der damit verbundenen Kontrolle über Personen und der Verfolgung all ihrer Bewegungen“ und folgern: „Diese illiberalen Steuerungsversuche sind der beunruhigende Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“ Mit dem Reizwort „Weltregierung“ haben sie hier überzogen (auch wenn, wie die folgende Übersicht von Schlagzeilen zeigt, nicht nur die Bischöfe darüber reden). Die grundsätzliche Sorge, die sie hier äußern, ist zumindest legitim und nicht abwegig. Und durchaus eine inhaltliche Auseinandersetzung wert.
Diese vermeidet die Tagesschau wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen schreibt sie etwa unmittelbar nach dem Vorwurf, die Bischöfe würden sich Verschwörungstheorien zu eigen machen: „Es gebe Grund zur Annahme, ,dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen´, heißt es in dem gut dreiseitigen Schreiben.“ Wieder eine Manipulation: Denn diese Annahme kann man zumindest nicht leichtfertig als Verschwörungstheorie abtun. Man braucht nur das interne Papier des Innenministeriums zur Hand zu nehmen, um zu sehen, dass dort genau darüber nachgedacht wurde – Urängste zu wecken bei den Bürgern, vor dem Ersticken (nachzulesen hier).
Aber statt solcher inhaltlichen Auseinandersetzungen mit dem Schreiben der Bischöfe wird der Eindruck erweckt, einer der Unterzeichner unterstütze die Schuldigen von Missbrauchsfällen. Diskreditierung statt Diskussion. Sodann werden andere kirchliche Würdenträger erwähnt, die Abbitte von den Abgefallenen leisten und sich von dem ketzerischen Schreiben distanzierten. Wenn schon Hexenverfolgung, dann mit allem Drum und Dran – Vorwurf des Abfalls von Gott inklusive.
Während es die Tagesschau nicht für nötig hält, einen der Unterzeichner zu kontaktieren, die sie so massiv angreift (eines der heiligsten Grundprinzipien im Journalismus, den Angegriffenen zu Wort kommen zu lassen) zitiert sie einen Generalvikar mit einer Aussage auf facebook (der nächste Schritt wäre dann vielleicht, Messdiener zu befragen), der dort die passende Schlammschlacht entfesselt hat: Der Vikar sei „einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: Krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampfrhetorik, die beängstigend klingt“. Hat der Vikar den Brief wirklich gelesen?
Weiter wird der Kronzeuge der Inquisition bzw. Vikar wie folgt zitiert: „Mit Jesus Christus, auf den sich die Unterzeichner berufen, haben derart wirre Thesen, die Ängste schüren, Schwarz-Weiß-Denken verfolgen, üble Feindbilder zeichnen und das Miteinander in unseren Gesellschaften vergiften, nichts zu tun.“ Das ist Spiegelung (unter Berufung auf einen Vikar, der sich wiederum auf Jesus beruft): Denn „wirr“ ist der ARD-Artikel. Ängste schüren nicht die Unterzeichner des Briefes – eher im Gegenteil. Und Schwarz-Weiß-Denken verfolgt die Tagesschau – im Umgang mit dem Brief.
Weiter ist in dem Artikel dann ausführlich von einem „weltweiten Informationskampf“ und „Verschwörungstheorien“ die Rede. Und der Vorsitzende der Innenministerkonferenz aus der „Linken“-geführten Thüringischen Landesregierung wird zitiert mit den Worten: „Wenn Menschen Kritik üben, ist das selbstverständlich in Ordnung. Was uns alarmiert, ist der Versuch von Extremisten, die Proteste zu kapern.“
Was für eine dreiste Quadratur des Kreises: Die Bischöfe üben ja Kritik – und sie sind keine Extremisten, die versuchen, den Protest zu kapern. Würde die Tagesschau dem Leser nicht das Originaldokument vorenthalten, könnte sich jeder davon überzeugen. Nicht einmal ansatzweise wird die Position der Bischöfe fair wiedergegeben. Statt dieser wird das Schreiben diffamiert, ja verteufelt. Den Bischöfen wird mit Hilfe eines Kronzeugen „Rechtspopulismus“ vorgeworfen, was im linken Neudeutsch gleichbedeutend ist mit „rechts“, „rechtsextrem“ und „Nazi.“ Schlimm genug, dass viele Journalisten selbst nicht mehr den Mumm haben, Kritik und Zweifel an der Regierung zu üben, wie es ihre Pflicht wäre. Dass sie stattdessen diejenigen, die das noch tun, unter der Gürtellinie attackieren, ist ein völliger Verrat an ihrem Beruf.
Andere Medien halten es nicht anders. Die „Süddeutsche Zeitung“, von Kritikern „Alpen-Prawda“ genannt, stößt ins gleiche Horn wie die Tagesschau. Artikelüberschrift: „Kirchlicher Aufruf mit Verschwörungstheorien.“ Und weiter die gleichen Manipulationen wie bei der Tagesschau. Auch da steht wieder, die Bischöfe würden „die Ansteckungsgefahr von Covid-19“ anzweifeln. Weiter heißt es in der SZ: „Im Stile von Verschwörungstheoretikern unken sie von Kräften, die daran interessiert seien, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen“. Die Bischöfe unken eben nicht, sondern schreiben sachlich, und auch nicht im Stile von Verschwörungstheoretikern. Es gehört schon viel Chuzpe dazu, ein Schreiben, das die katholische „Tagespost“ als einen „Appell gegen Panikmache“ bezeichnet, als „Panikmache“ zu diffamieren. Interessant ist, dass der SZ-Artikel teilweise wortgleich dem der Tagesschau gleicht – obwohl er als Autorenstück gekennzeichnet ist. Unter dem Agitations-Geist leidet auch das Handwerk.
Wie man den Brief ganz anders bewerten kann, zeigt die Bild-Zeitung. Überschrift dort: „BRANDBRIEF AUS ROM – Bischöfe warnen vor systematischer Überwachung“. Und sodann macht ausgerechnet die Bild im Vorspann vor, wie echter Journalismus geht: „Rom – Dieser Brandbrief wird die Debatte um die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen heftig befeuern.“ (womit sich die Kollegen leider irren, weil in deutschen Leitmedien statt Debatte Debattenvermeidung durch Diffamierung angesagt ist). Und weiter: „Mehrere prominente katholische Bischöfe, Mediziner und Rechtsgelehrte aus aller Welt haben sich mit einem dramatischen, in sieben Sprachen veröffentlichten Appell an die Öffentlichkeit gewandt. Darin wird die Reaktion der meisten Regierungen auf Corona attackiert, vor Zwangsimpfungen und vor digitaler Überwachung gewarnt.“
Sodann zeigt „Bild“ auch, wie man sich durchaus kritisch, aber eben fair mit dem Thema auseinandersetzen und den Leser redlich informieren kann: „Für Sprengstoff und Kopfschütteln sorgt eine Passage, in der verklausuliert vor einem globalen System systematischer Überwachung gewarnt und von ,Kräften´ gesprochen wird, die daran interessiert seien, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen: ,Auf diese Weise wollen sie dauerhaft Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung aufzwingen, die Menschen kontrollieren und ihre Bewegungen überwachen.´“
Und auch der sonst stramm linke Tagesspiegel hat vor acht Tagen erstaunlicherweise eine Lanze für Kritik gebrochen, in einem Kommentar mit der Überschrift: „Es braucht Raum für Rede und Widerrede – Zweifler an den Corona-Maßnahmen sind noch keine Verschwörungstheoretiker“.
In den großen Medien sind solche Stimmen noch eher die Ausnahme. Wie unreflektiert viele Kollegen inzwischen ihre Rolle sehen, wurde mir vor einigen Tagen klar beim Austausch mit einem bestens vernetzten Mann aus der Branche, der sich begeistert zeigte von Merkel. Auf die Frage, was die denn so toll mache, sagte er unter anderen, er habe aus sehr zuverlässigen Quellen die Information, die Kanzlerin habe die wichtigsten Chefredakteure angerufen und sie dazu gebracht, in Sachen Corona an einem Strang zu ziehen.“ Dabei strahlte er regelrecht vor Begeisterung über die Kanzlerin. Ich antwortete: „Du überrascht mich jetzt sehr. Nach meinem Berufsverständnis ist das das Schlimmste, was zwischen Regierung und Medien passieren kann“.
Sein Lächeln fror regelrecht ein, man sah förmlich, wie es ratterte in seinem Kopf – es schien, als seien ihm diese Zweifel vorher nicht einmal ansatzweise in den Kopf gekommen vor lauter Begeisterung für die Kanzlerin. Mich hat das zutiefst erschüttert. Noch viel mehr als die oben beschriebenen manipulativen Berichte in Leitmedien. Die sind ja leider fast schon Alltag. Wir haben es mit einer in vielen Fällen freiwilligen Gleichtaktung zu tun, die nicht einmal als solche erkannt wird. Der Zweck heiligt die Mittel. Wieder einmal. Die Geschichte zeigt, wie das enden kann.
Bild: Wikicommons, Wikicommons