Hocus Pocus Fidibus, und fertig ist die Umfrage? Wie Meinungen gemacht werden

„Deutschlandtrend: Deutsche sind mit Regierung zufriedener als je zuvor“: Nachrichten wie diese sind allgegenwärtig in diesen Tagen: Ob im Fernsehen, im Internet oder Zeitungen – man kommt kaum herum um Umfragen, die der Bundesregierung höchste Beliebtheit bescheinigen. Laut Deutschlandtrend der ARD soll diese sogar von 35 Prozent im Vormonat auf 63 Prozent gestiegen sein. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich aber große Zweifel an solchen Meldungen – dazu etwas später mehr.

Die Kanzlerin und die Umfragen sind wie kommunizierende Röhren. Und wie bei der ewigen Frage, ob das Ei oder das Huhn zuerst da war, weiß man nie, ob die Regierungschefin oder die Meinungsforscher das erste Wort haben, und wie sie auf aufeinander einwirken. Und man darf sicher fragen, inwieweit die Hosianna-Frohlocken-Berichterstattung von ARD und Co. dazu führt, dass dieselbe ARD dann solche Umfrage-Rekordwerte präsentieren kann. Und das in Zeiten, in denen Deutschland nach wochenlangem Verharmlosen und Beschwichtigen bei der Zahl der Infizierten weltweit auf Platz vier geklettert ist und sogar China überholt hat. Zeiten, in denen Krankenhäuser Mangel an elementarstem Schutzmaterial haben und die Bevölkerung dazu aufrufen, Folien und Einweg-Regenmäntel zu spenden, um sich daraus Schutzmaterial zu basteln (siehe hier) – Aufrufe, wie man sie bisher eher aus der Dritten Welt kennt, und die in krassem Widerspruch zum Tenor bei ARD und ZDF stehen – wo nur aus anderen Ländern von schlimmen Zuständen und Regierungsfehlern berichtet wird.

Pünktlich zu den Jubel-Umfragen und Berichten wird nun via Bild-Zeitung gestreut, dass Angela Merkel über eine fünfte Amtszeit nachdenkt – die sie früher immer ausgeschlossen hatte. Offenbar ein Testballon der ewigen Kanzlerin, mit der sie den Widerstand gegen das Weiterkleben am Sessel austestet. Parallel dazu gibt es seit Tagen Gerüchte, dass auch eine Corona-bedingte Verlängerung der Legislatur-Periode um ein Jahr erwägt werde in Regierung und Bundestag – also Merkel und die Große Koalition sich selbst einfach noch ein Jahr Weiter-Regieren genehmigen würden.

Weil mir die Jubel-Umfragen spanisch vorkommen, bin ich einer nachgegangen – von der Meinungsforschungsfirma Civey. Das Start-Up wurde über die stadteigene Investitionsbank Berlin mit einem Startkapital in Höhe von 1,7 Millionen Euro sowie Mitteln des EU-Fonds für Regionalentwicklung in ungenannter Höhe von Gerrit Richter, einem früheren Mitarbeiter des SPD-Finanzministers Hans Eichel, gegründet und wird von ihm bis heute geleitet, wie Tomas Spahn auf TE schrieb: „Auch andere Mitstreiter mit SPD-Nähe finden sich bei Civey: So wird Autorin Kathy Meßmer als frühere Beraterin des SPD-Parteivorstandes und der Parteilinken Gesine Schwan ausgewiesen, den Beirat des Unternehmens leitet die ehemalige SPD-Bundesministerin Brigitte Zypries.“

Civey teilt im Gegensatz zur etablierten Konkurrenz jedem Teilnehmer einer Umfrage sofort den aktuellen Ergebniszwischenstand mit. Und dabei kann man sowohl die die Rohdaten als auch die als „repräsentativ“ ausgewiesenen Zahlen ansehen – wobei man zuerst immer die letzteren gezeigt bekommt – und nur über das Kleingedruckte und bei sehr, sehr genauem Hinsehen auf die Rohdaten kommt, was wohl nur ein ganz kleiner Prozentsatz der Leser tut.

Umso spannender ist dieser Blick ins „Kleingedruckte“, also die „Rohdaten“, bei der aktuellsten Umfrage, die etwa auf „Focus Online“ zu finden ist: „Als wie souverän nehmen Sie Bundeskanzlerin Merkel während der aktuellen Corona-Pandemie bisher wahr?“ lautet da die Frage. Sobald man abgestimmt hat, bekommt man folgendes Ergebnis zu Gesicht:

Also 55 Prozent, die Merkel als eindeutig oder eher souverän sehen, nur 26,7 Prozent, die vom Gegenteil überzeugt sind. Große Mehrheit findet Merkel toll – das ist die Botschaft, die bei der überwiegenden Zahl der Leser hängen bleiben wird. Und der Mensch orientiert sich ja bekanntlich sehr gerne an der Mehrheit. Sucht man dann allerdings nach den Rohdaten, kommt ein ganz anderes Meinungsbild zum Vorschein:

Nur noch 43 Prozent finden Merkel souverän – 44,2 Prozent dagegen nicht souverän. Also eine totale Umkehr des Meinungsbildes durch die Umrechnung/Gewichtung der Studie.

Mit welcher Alchemie hier „gewertet“ wird, ist mir ein Rätsel. Eine hoch wissenschaftliche statistische Methode? Jahrelange, untrügliche Erfahrung? Instinkt? Oder gar die Methode „Hocus Pocus Fidibus“? Für uns Gemeinsterbliche wird es wohl immer ein Rätsel bleiben, wie die „Wertung“ zustande kommt. Und nicht nur bei Civey – denn gewertet bzw. an den Rohdaten gebastelt wird bei allen namhaften Meinungsforschungsinstituten.

Die Methoden, mit denen Newcomer Civey arbeitet, sind viel kritisiert, und, weil die Erhebung via Internet stattfindet, nur bedingt mit denen anderer Meinungsforschungsinstitute zu vergleichen. Mitbewerber werfen dem Civey vor, es sei nicht seriös (Details hier und hier).  Ob dem so ist, wage ich nicht zu beurteilen – ich sehe nur, dass Civey fast allgegenwärtig ist und damit enormen Einfluss auf die Meinungsbildung in Deutschland hat. „Ob Civey sich dadurch allerdings tatsächlich maßgeblich von der Konkurrenz unterscheidet, ist damit nicht gesagt“, schreibt Tomas Spahn skeptisch.

Und insofern wirft die aktuelle Civey-Umfrage zur Zufriedenheit mit Merkel und die massive Diskrepanz zwischen Rohdaten und dem, was als Ergebnis präsentiert wird, sehr viele Fragen auf zu den ganzen Jubel-Umfragen, die dieser Tage in den Medien allgegenwärtig sind. Vielleicht sind die Deutschen ja gar nicht so obrigkeitstreu oder gar masochistisch, wie Kritiker spotten – vielleicht sind nur die Umfragen etwas „über-bearbeitet“.

Ich musste bei der Civey-Umfrage sofort an ein altes Stalin-Zitat zum Thema Wahlen denken, das in Russland fast jeder kennt – es mag frei erfunden sein, doch es ist bezeichnend, und könnte auch auf aktuelle Umfragen zutreffen: „Es ist nicht entscheidend, wer wie abstimmt, entscheidend ist, wer die Stimmen zählt.“


Bild: WIX

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