Es gibt wenig Anlass zum Lachen in diesen Tagen. Und viel Anlass zum Schimpfen. Wenn nicht gar zum Fluchen. Deshalb will ich heute beides kombinieren: Ihnen etwas zum Lachen bieten – und auch Stoff zum Fluchen. Hier ein Know-how-Bericht aus Russland, das bei Flüchen mindestens genauso Weltklasse ist wie bei Wodka und Ballett. Weil die russischen Flüche deutlich deftiger sind als der deutsche Durchschnittsfluch, warne ich explizit vor den Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen: Akutes Naserümpfen beim Lesen droht ebenso wie unvorhersehbare Reaktionen bei lautem Vorlesen oder Wiederverwertung der zitieren Flüche. Anwendung auf eigene Gefahr, vor allem in der „Partyszene“: Von einem blauen Auge bis zu höchstem Respekt sind dort diverse Reaktionen denkbar.
Die Bitte war so eindringlich, dass ich nicht widerstehen konnte. „Aussteigen, ich vögle Deine Mutter, sage ich, Hure!“ Gut, dem Mann in Uniform fehlte es an Höflichkeit. Doch man muss ihm zugute halten, dass er schlicht zu jener Minderheit von etwa drei Vierteln der russischen Männer gehört, die ihre Sätze zuweilen mit Kraftausdrücken schmücken: dem „Mat“, zu deutsch Mutterflüchen. Nicht etwa aus bösem Willen, sondern der Ausdrucksstärke zuliebe werden die deutlichen Worte zuweilen sehr hoch dosiert.
Ihre Wirkung verfehlen die Mutterflüche selten. Hartnäckig hatte ich mich bei der Führerschein-Kontrolle geweigert, auszusteigen – was ich laut Gesetz auch nicht muss. Doch nun wusste ich, dass es der Verkehrspolizist ernst meinte – und es ein Fehler war, auf das Gesetz zu pochen. Er war ein Baum von einem Mann, auch wenn der Wodka offenbar kurz davor war, ihn zu fällen. Zumindest an diesem Abend. Ich machte eine freundliche Miene zu den rohen Ausdrücken und stieg brav aus meinem Wagen. „Na, es geht doch, Hure, warum nicht gleich so, auf den Schwanz?“, kommentierte der Ordnungshüter schon weitaus freundlicher mein Nachgeben – und ließ mich fahren.
Ein Schelm, wer bei den groben Worten Böses denkt. Die Mutterflüche sind so populär, dass Spötter behaupten, es gebe zwei Sprachen zwischen Kaliningrad und Wladiwostok: Die Russische und die der Mutterflüche. „Viele Leute beginnen erst, einem zuzuhören, wenn man mit Mat auf sie schimpft“, erklärte mir ein Moskauer Freund.
Fluchen aus Freude
Oft sagt ein Fluch mehr als 1000 Worte: Der Russe könne seine gesamte Gefühlswelt mit einem einzigen unanständigen Wort ausdrücken, schrieb schon Dostojewskij. Auch positive Gefühle decken die Mutterflüche ab: Was dem Bayern ein freudiges „Leck mich doch…“, ist dem Russen sein „Ich habe Deine Mutter…“.
Manche Männer scheinen geradezu eine moralische Verpflichtung zu spüren, in jeder dritten Silbe auf den Alternativ-Wortschatz zurückzugreifen. Die Grammatik des „Mat“ ist für den Ausländer nur schwer zu verstehen. Eine ungeschriebene Regel scheint zu sein, dass die Wörter nie einen Sinn ergeben sollten. Um die Anschaulichkeit zu wahren, beschränkt sich der durchschnittliche Mat-Flucher – auf russisch „Materschinik“ – meist auf die bekanntesten Mat-Ausdrücke: „Ich habe Deine Mutter gevögelt“, „Auf den Schwanz“ und „Hure“.
Einem Ausländer reicht zuweilen schon eine einzige Taxifahrt, um diesen Grundwortschatz zu verinnerlichen. Und allein die Kenntnis dieser drei russischen Ausdrücke befähigt den Besucher zumindest theoretisch, in bestimmten Kreisen eine abendfüllende Unterhaltung zu führen. Zumal der Anteil an „sauberen“, also anständigen Wörtern, mit steigendem Alkoholkonsum schlagartig nachlässt.
Was der Deutsche in der Kneipe im Idealfall mit einem einfachen „NBier“ ausdrückt, kann beim Russen eine geradezu literarische Abhandlung werden: „Ich hab Deine Mutter gevögelt, Hure, bring mir noch ein Bier, auf den Schwanz, Hure, Deine Mutter!“
Manche besonders erfahrene „Materschiniki“ können nicht einmal „Guten Tag“ sagen, ohne mindestens drei Mat-Wörter zu verwenden. Selbst vor den heiligen Hallen des Kremls macht der Ergänzungswortschatz nicht halt – obwohl er als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 15 Tagen Arrest geahndet und im Fernsehen stets schamhaft mit Pieps-Tönen überdeckt wird.
Böse Zungen behaupten gar, ausgefeilte Mat-Kenntnisse seien seit Urzeiten Voraussetzung für höhere Regierungsämter. So soll nach einer Anekdote selbst Zar Peter der Große auf die Frage, um wie viele Zentimeter die russischen Eisenbahn-Gleise breiter sein sollten als die europäischen, mit eindeutigem Fingerzeig und einem der Mat-Ausdrücke angegeben haben. Zwar gab es zu Peters Zeiten noch gar keine Eisenbahn – was einen „wahren Kern“ der Anekdote aber nicht ausschließt.
Auch Michail Gorbatschow und Wladimir Putin sollen zuweilen Wert auf klare Ausdrucksweise legen; nur Boris Jelzin duldete in seiner Gegenwart kein Mat – obwohl man eigentlich gerade ihm so viel Nüchternheit gar nicht zugetraut hätte.
Doch nicht nur wegen ihrer Derbheit sind die Mutterflüche politisch unkorrekt. Das Nachsehen haben nämlich stets die Frauen – eine regelrechte Ohrfeige auf die Emanzipation. In Gegenwart von Damen wird der russische Mann, der etwas auf sich hält, nie ein Mat-Wort über die Lippen bringen. Vor Frauen gehört sich so etwas nicht, und eine anständige Dame hat rot anzulaufen und empört zur Seite zu blicken, sollte sie einmal durch einen Zufall einen solchen Wortfetzen aufschnappen.
Das Versteckspiel vor den Damen scheint den Spaß an der Sache auszumachen; ohne diesen Kitzel wären die Mutterflüche vielleicht längst zu etwas harmlosem verkommen wie der deutsche Allerweltsausdruck „Scheiße“, der selbst der vornehmsten Rentnerin kaum noch ein Kopfschütteln entlockt (wobei es wohl Thema für eine Doktorarbeit wäre, warum sich die deutschen Schimpfwörter vorrangig um Fäkalien, die russischen indes um Sexuelles drehen).
Dringende Bedürfnisse
Vor allem bei Ausländerinnen führt das Damen-Tabu gelegentlich zu Missverständnissen. Wenn etwa ein russischer Mann in angeregter Runde mit weiblicher Beteiligung nach heftiger Diskussion plötzlich meint, er müsse wegen eines dringenden Bedürfnisses sofort nach draußen, so ist das „Bedürfnis“ oft ganz anderer Art, als Nicht-Russinnen annehmen: nicht der Körper, sondern die Zunge verlangt Erleichterung. Auch der umgekehrte Fall ist überliefert: Auf den Einwand „dann flüstere doch, wenn Du es nicht mehr halten kannst“, hat schon so mancher Russe gereizt geantwortet, er wolle nicht etwa zum Fluchen nach draußen, sondern weil er tatsächlich auf die Toilette müsse.
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