Ein Gastbeitrag von Roger Schelske
Zuletzt hat es den Herrn Vaatz erwischt. Der Mann – ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und CDU-Bundestagsabgeordneter – hatte es gewagt, Medien und Politik für ihre doppelten Standards im Umgang mit Demonstranten zu kritisieren und einen Vergleich mit den Zuständen in der DDR zu ziehen, wo jede Regung von Protest mit abstrusem Framing und geballter staatlicher Propaganda im Keim erstickt wurde. Seine Kritik war pointiert, aber im Grunde harmlos. Trotzdem wurde aus allen Rohren auf den armen Mann geschossen. Michael Kellner, der politische Geschäftsführer der GRÜNEN, warf Vaatz tatsächlich einen Angriff auf Rechtsstaat und freie Presse vor, womit er die wohl dümmste Wortmeldung zustande brachte, aber andere schlugen mit ihren Bekundungen von „Kritik und Entsetzen“ (O-Ton ARD) in eine ähnliche Kerbe. Nun boykottierten SPD, Grüne und LINKE sogar eine Feierstunde im sächsischen Landtag, um ihr Missfallen über den eingeladenen Festredner Vaatz zum Ausdruck zu bringen. Maximale Vergeltung lautet das Motto, wieder einmal.
Kein Wort gegen Mutti!
Das Muster kennt man inzwischen: Wer aus der Reihe tanzt, bekommt die ganze Wucht der Vernichtungsmaschinerie aus linksgrünen Blockparteien, ÖR-Medien und quasi-staatlichen NGOs zu spüren. Vor allem Merkelkritiker werden schonungslos sanktioniert, was selbst Armin Laschet und vor ihm bereits Horst Seehofer schon erfahren mussten. Letzterer wurde nach seinem Affront gegenüber Merkel in Wildbad-Kreuth so lange durch den Dreck gezogen, bis er auf das Format eines kleinlauten Bettvorlegers zurückgestutzt war. Seine Lektion hat er gelernt: Kein Wort gegen Mutti. Schlimmer noch trifft es Leute, die den medialen Tugendwächtern ohnehin verdächtig sind, wie die Mitglieder von Polizei und Bundeswehr, die bei geringfügigsten Anlässen vor das linke Gesinnungstribunal gezerrt werden. Für Abweichler gibt es keine Gnade, da wird sogar noch rigoroser draufgehauen als auf die erklärten Gegner von rechts. Wer sich nicht eindeutig bekennt, wird konsequent diszipliniert, ganz nach dem maoistischen Prinzip „Bestrafe einen, erziehe hundert“. Besonders hart traf es die FDP, als sie in Thüringen vom offizialistischen Dogma der unbedingten AfD-Ächtung abwich, und sei es auch nur unwillentlich und indirekt. In dem Fall beließ man es nicht bei medialem Trommelfeuer, sondern schickte den linken Mob los, um den renitenten Thomas Kemmerich zur Räson zu bringen. Wie konnte es zu solchen Zuständen kommen?
Man könnte auf sozialpsychologische Befunde zu Ingroup/Outgroup-Dynamiken verweisen oder Carl Schmitts berühmt-berüchtigtes Freund-Feind-Schema bemühen. Tatsächlich ist die Sache aber trivialer: Im Kern geht es um billiges, opportunistisches Machtkalkül, wie immer im System Merkel. Dieses Kalkül besteht darin, durch die aggressive Ausgrenzung des konservativen Spektrums das gesamte linke Lager als merkelistische Machtbasis zu erschließen, die SPD zu kannibalisieren und die Opposition weitgehend auszuschalten.
Dass als Folge dieser Machtstrategie die politische Kultur zerstört wird, ist hinreichend bekannt. Noch schwerer wiegt aber, dass damit auch der antitotalitäre Konsens der alten Bundesrepublik aufgekündigt wurde, dessen tragende Säulen die beiden inzwischen nur noch „sogenannten“ Volksparteien waren. Union und SPD verkörperten alternative politische Entwürfe und teilten zugleich das Bekenntnis zu den Grundsätzen von Pluralismus, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und liberal-repräsentativer Demokratie. Dazu gehörte die Errichtung fester Brandmauern gegenüber dem politischen Narrensaum zur Linken und zur Rechten. Getreu dem Motto von Franz Josef Strauß „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“ blieb vor allem der rechte Rand isoliert. Dank der integrierenden Rolle der Union musste nur ein kleiner, sektiererischer Rest extremistischen Splitterparteien überlassen werden, die mit Hilfe der 5%-Hürde problemlos aus dem System herausgehalten werden konnten.
Die Populisten sind längst an der Regierung
Allerdings litt der antitotalitäre Konsens bereits seit längerem an einer ungesunden Asymmetrie. Während sich nämlich gegenüber dem rechten Rand eine historisch begründete Immunabwehr entwickelte, die sich im Laufe der Zeit noch verstärkte, wurden die Abwehrmechanismen gegenüber dem Linksextremismus im Zeitverlauf schwächer, wozu auch die massive Stasi-Unterwanderung der westdeutschen Linken, der sozialen Bewegungen und der GRÜNEN beitrug. Bereits unter Schröder machte sich diese Asymmetrie bemerkbar, als sich infolge der Agenda 2010 der organisierte Linksextremismus im Parteiensystem festsetzte. Für die Union ergab sich damit zwar kurzfristig eine komfortable Lage, da sich das Potential für linke Mehrheiten deutlich reduzierte, zumindest solange sich die SPD nicht mit der LINKEN einließ. Allerdings bröckelte infolge der generell nachlassenden Integrationskraft der Volksparteien auch die bürgerliche Mehrheit aus Union und FDP.
Merkels Lösung in dieser Lage bestand darin, das Parteiensystem komplett auf den Kopf zu stellen und an die Stelle der gewohnten Lagerstruktur ein populistisches Mobilisierungsmuster zu setzen. Mit der Vergrünung der CDU schuf sie eine neue, breite Machtbasis, die von der öko-urbanen linken Mitte über links bis ganz links reichte. Allerdings verschob sie nicht lediglich die Schwerpunkte im politischen Koordinatensystem, sondern sie ersetzte, wie das typisch für Populisten ist, politische Kategorien durch moralische, indem sie die neue Mehrheit als einzig legitime, moralisch reine politische Kraft gegen die unreinen, unmoralischen Außenseiter von rechts in Stellung brachte. Indem sie den Kampf gegen den vorgeblichen Rechtspopulismus für ihre Machtinteressen instrumentalisierte, wurde Merkel selbst zu einer Populistin und etablierte eben jene Politikformen, die zu bekämpfen sie vorgab. Die Entstehung einer neuen Rechtspartei wurde dabei nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sie war Teil des Kalküls, wie ein Artikel des CDU-Wahlstrategen Matthias Jung aus dem Jahr 2015 („Die AfD als Chance für die Union“) belegt. „Die CDU/CSU ist durch die bloße Existenz der AfD vom latenten Vorwurf befreit, rechts zu sein“, schrieb Jung, womit sie sich als glaubwürdige Option für die politische Mitte positionieren könne, womit er wohl die linksgrüne Mitte meinte.
Eine von Jung nicht bedachte Folge dieser Strategie war aber, dass endgültig das Einfallstor für das Eindringen der politischen Ränder geöffnet wurde. Der linke Rand wurde als Teil von Merkels moralischer Einheitsfront salonfähig, während auf der rechten Seite die Trennung zwischen konservativ und rechtsextrem aufgehoben wurde. Mit der Substituierung von mitte-links vs. mitte-rechts durch „gut“ (linksgrün und linksradikal) vs. „böse“ (rechts/konservativ/rechtsradikal) wurde der rechte Rand zum Teil der Opposition aufgewertet. So lieferte er den willkommenen Vorwand, um den „Kampf gegen Rechts“ zur neuen Staatsdoktrin zu erheben, die Opposition zu diskreditieren und das „Volatilitätspublikum in der politischen Mitte“ (Matthias Jung) mit dem „faschistischen“ Schreckgespenst auf Linie zu halten.
Ein roter Teppich für den Linksradikalismus!
Für Merkel diente diese Strategie vor allem dazu, von ihrem Flüchtlingsdebakel abzulenken und sich so lange wie möglich an der Kanzlerschaft festzuklammern. Für die Linke aber war sie ein Gottesgeschenk. Die umbenannte SED kann sich nun ungestraft in Gewalt- und Enteignungsphantasien ergehen, der Schwarze Block darf sich auf der Straße austoben und Stasi-geschulte Denunzianten kommen in den Genuss staatlicher Fördermillionen. Mehr noch, das ahistorische, ideologisch verzerrte Faschismus-Motiv, das im Zuge der Studentenbewegung vom Nationalsozialismus abgelöst und gegen das Verfassungssystem der Bundesrepublik selbst in Anschlag gebracht wurde, fand Eingang in den offiziellen Diskurs der Bundesregierung. In anderen Worten: Die Bundesregierung übernahm Teile des Diskurses, mit dem die RAF einst die bundesrepublikanische Verfassungsordnung bekämpfte – eine Farce, die man sich beim besten Willen nicht ausdenken kann. Und schließlich wurde sogar eine erklärte Linksradikale und Mauermörder-Versteherin mit Hilfe der CDU in ein Landesverfassungsgericht gewählt. Keine Frage, die Linksradikalen, die jahrzehntelang verbissen um jeden Meter Terrain kämpfen mussten, marschieren nun auf dem roten Teppich geradewegs ins System hinein. Klar, dass sie Merkel dafür auf Händen tragen und sich durch die Terrorisierung von Regierungskritikern erkenntlich zeigen.
Die größte Genugtuung der Linken ist es aber, das konservative Lager vollständig in Geiselhaft zu halten. All die gediegenen bürgerlichen Herren, die früher ihre besetzten Häuser räumen ließen, die ihnen den Zugang zu staatlichen Posten verbauten und ihren Ideologiemüll schmähten, können nun am Nasenring des AfD-Verdachts durch die Manege gezogen werden. Da Merkel die Grenze zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus gezielt aufgehoben hat, lässt sich jede konservative Position als potentiell AfD-nah denunzieren und damit ohne weitere argumentative Bemühungen erledigen. Das funktioniert, solange die AfD als das absolute Böse stigmatisiert wird und damit die von Jung beschriebene Funktion einer Kanzlerschaftsgarantie für die Union erfüllt. Die Machtstrategien von Union und Linksradikalen konvergieren also in der Verteufelung der AfD.
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Eben deshalb wird jeder Ansatz eines differenzierten Umgangs mit der Partei im Keim erstickt, ungeachtet der Tatsache, dass nicht wenige AfDler jahrelang treue und geschätzte CDU-Mitglieder waren. Deshalb wird eine Moderatorin rundgemacht, die versehentlich das Attribut „bürgerlich“ im Zusammenhang mit der AfD in den Mund genommen hat. Deshalb wird gegen den Anspruch der Partei, das bürgerliche Spektrum zu repräsentieren, das komplette ÖR-Arsenal an „Fakten-Checkern“ und linken „Experten“ aufgeboten. Deshalb war die Wahl Kemmerichs in Thüringen ein Super-GAU für den Merkelismus, der um jeden Preis und mit allen Mitteln korrigiert werden musste, auch unter Zuhilfenahme des Antifa-Mobs.
Konservative im Niemandsland
Das Deprimierende bei alledem ist, dass auch Liberale und Konservative das Spiel mitspielen. Die Werteunion betont bei jeder Gelegenheit, dass sie jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt und bestätigt so die merkelistische Machtstrategie. Sie fügt sich in die Rolle des „Beobachtungsfalls“, der sich mit besonderem Eifer von jedem Verdacht der Rechtsabweichung reinwaschen muss. Aber der Einfluss der Wertunion hält sich ohnehin in Grenzen. Ihre Vertreter werden parteiintern bei Wahlen und Nominierungen regelmäßig von den Merkel-hörigen Konformisten und Opportunisten abgestraft. Rückgrat ist in der CDU lange schon Mangelware; auf eine Rückkehr zur Vernunft braucht man da nicht zu hoffen.
Spannender ist die Rolle der FDP, die in dieser ganzen Konstellation ebenfalls eine höchst ungemütliche Zwischenposition einnimmt. Bisher haben sich auch die Liberalen vorbildlich in die merkelistische Strategie eingefügt, nämlich in der Rolle des unzuverlässigen Kantonisten, der periodisch Prügel bezieht, um anschließend reumütig zu Kreuze zu kriechen und damit zu demonstrieren, dass die neue Staatsdoktrin nicht zur Disposition steht. Niemand hat die Rolle des geprügelten Hundes besser gespielt als Christian Lindner nach der Thüringen-Episode. Genau so sieht eine FDP aus, wie sie sich die Regierung wünscht – als Prügelknabe, an dem von Zeit zu Zeit ein Exempel statuiert werden kann.
Prekär ist die Lage nicht nur für die FDP, sondern für alle, die sich nicht zur linksgrünen Staatsdoktrin bekennen und sich nicht mit dem Vormarsch des Linksradikalismus abfinden wollen, zugleich aber auch nicht zu rechten Parias werden wollen. Sie befinden sich im politischen Niemandsland zwischen den politischen Extremen und leben unter dem Damoklesschwert der Denunziation durch die journalistischen Kettenhunde der Regierung. Zwar sollte man die Lage nicht hoffnungslos nennen, denn immerhin sind die rechtsstaatlichen Strukturen noch halbwegs intakt und ein vitales alternatives Mediensystem etabliert sich zunehmend als Gegengewicht zu den linksgrünen Ideologieschleudern. Was allerdings fehlt, ist eine strategische Perspektive.
Wie bekommt man die Volksparteien wieder in ihre angestammte Rolle und die Linksradikalen zurück in ihre Löcher? Die Türen auch für den Rechtsextremismus zu öffnen, quasi als Gegengewicht zu Merkels linken Schlägerbanden, scheidet aus. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, ist keine Option und würde endgültig zu Weimarer Verhältnissen führen. Schließlich geht es ja gerade darum, den antitotalitären Konsens der alten Bundesrepublik wiederherzustellen, was sicher nicht funktioniert, wenn man auch noch die Radikalen von der anderen Seite ins System holt. Allerdings bringt uns jeder weitere Tag, an dem sich der Linksradikalismus ungehindert ausbreitet, dem Weimarer Szenario ein Stück näher.
Die GRÜNEN als Role-Model für die AfD?
Für ein alternatives Szenario lohnt ein Blick der Geschichte der GRÜNEN, die in ihren ersten Jahren der AfD gar nicht so unähnlich waren, wie ein Autor des Cicero vor einer Weile schon treffend festgestellt hat. Auch bei den GRÜNEN fanden sich zunächst haufenweise systemfeindliche Extremisten – vermutlich sogar deutlich mehr als in der heutigen AfD. Zur Erinnerung: Bei der Gründung der Partei spielten die Maoisten des Kommunistischen Bunds (KB), dem unter anderen Jürgen Trittin angehörte, eine führende Rolle. Nachdem sich ihre revolutionären Phantasmen in den Tränengasschwaden von Kalkar und Grohnde aufgelöst hatten, befanden sich die militanten linken Sekten (K-Gruppen) in einer Sinnkrise. Die Gründung der GRÜNEN versprach einen Ausweg aus der Sackgasse, weshalb sich vor allem KB-Mitglieder rechtzeitig vor dem Gründungsparteitag in Karlsruhe massenhaft in der SPV, der Vorläuferorganisation der GRÜNEN, einschrieben und so dafür sorgten, dass aus dem ursprünglich ökologisch-konservativen Parteiprojekt ein trojanisches Pferd der Linksradikalen wurde. Bereits früh kam es deshalb zu einer ersten Spaltung und zur Gründung der ÖDP, worin man eine Parallele zum Ausscheiden des Lucke-Flügels aus der AfD im Jahr 2015 erkennen kann.
Allerdings ging die Rechnung der Linken nicht auf, denn im Laufe der 1980er Jahre setzten sich bei den GRÜNEN die Realos durch, denen die Ideologie herzlich egal war und die es stattdessen auf Posten und Einfluss abgesehen hatten. Den Ausschlag für diese Entwicklung gab die Machtperspektive, die sich für die GRÜNEN relativ früh bot, zunächst in Hessen, aber mit Willi Brandts Diktum von einer Mehrheit links der Union perspektivisch auch im Bund. Für den Frankfurter Taxifahrer Joschka Fischer und andere Spontis bot sich damit die Chance, der eigenen verkorksten Biographie doch noch eine positive Wendung zu geben.
Dafür mussten sie aber die Fundi-Ideologen kleinkriegen, mit denen in der breiteren Wählerschaft kein Blumentopf zu gewinnen war und die jede Chance auf eine Regierungsbeteiligung sabotierten. Den Realos kam dabei vor allem ihr größerer Rückhalt in den Medien und in der Öffentlichkeit zugute. Als sich schließlich auch die SPD mit der neuen Machtoption anfreundete, warfen die Radikalen bei den GRÜNEN nach und nach das Handtuch. Einige wechselten zur SED, pardon, PDS, andere wie Jutta Ditfurth versuchten sich mit eigenen Parteiprojekten. So wurde aus den GRÜNEN eine Systempartei. Fischer wurde Vizekanzler und Außenminister, während Ditfurth bis heute um Spenden bettelt, um die Miete für ihr Parteibüro bezahlen zu können.
Holt die AfD ins System!
Diese Geschichte muss man sich vor Augen halten, um das Ausmaß an Verlogenheit und Heuchelei der heutigen GRÜNEN ermessen zu können. Vor allem aber lassen sich daraus einige Lehren für den Umgang mit der AfD ziehen. Eine Lehre besagt, dass sich die Zukunft des Konservatismus innerhalb der AfD entscheidet. Alternative Parteiprojekte sind keine ernsthafte Option. Trotz interner Grabenkämpfe, eines organisatorischen Chaos und ideologischer Heterogenität blieben die GRÜNEN die Partei der sozialen Bewegungen und des alternativen Sektors. Weder die ÖDP, noch Ditfurths Ökologische Linke brachten je ein Bein auf den Boden, was analog auch für Luckes ALFA und Petrys Blaue gilt. Ist eine Partei einmal in den Bundestag eingezogen, besetzt sie eine Nische im politischen Ökosystem, aus dem sie nur noch schwer wieder zu verdrängen ist. Das heißt, die Repräsentation des rechten Spektrums liegt, allen Konflikten und Widersprüchen zum Trotz, auf absehbare Zeit bei der AfD, jedenfalls solange die Union nicht radikal mit dem System Merkel bricht und sich auf ihre konservative Identität besinnt. Die entscheidende Frage lautet deshalb, wie sich die AfD von den Extremisten befreien und als rechtsliberale Kraft etablieren kann.
Die entsprechende Lehre aus der Geschichte der GRÜNEN lautet, dass eine Machtperspektive den entscheidenden Faktor darstellt, weil sie die parteiinterne Dynamik verändern und den Moderaten in der AfD einen strategischen Vorteil verschaffen würde. Die völkischen Extremisten wären plötzlich in der Defensive und stünden unter Rechtfertigungsdruck. Im Idealfall würden die hartnäckigsten Ideologen irgendwann resignieren und der Rest würde sich mäßigen, um die Annehmlichkeiten des parlamentarischen Betriebs nicht in Gefahr zu bringen. Würde also aus dem etablierten Parteienspektrum heraus dem bürgerlichen Teil der AfD die Hand gereicht, dann würde das sehr wahrscheinlich zu einer Entwicklung führen, wie sie die GRÜNEN in den 1980er Jahren durchlaufen haben. Die extremistischen Teile der Partei würden verdrängt und die Grenze zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus könnte wieder klar markiert werden, womit der Status quo ante des bundesrepublikanischen Konsenses zumindest ein Stückweit wiederhergestellt wäre. Ein Signal analog zu Brandts Diktum von der Mehrheit links der Union wäre der Gamechanger, der diese Dynamik in Gang setzen könnte.
Allerdings ist die Sache dann doch nicht ganz so einfach. Zunächst einmal ist auf konservativer Seite kein Elder Statesman in Sicht ist, der Brandts Part übernehmen und das entscheidende Signal senden könnte. Ein weiterer Unterschied gegenüber der Geschichte der GRÜNEN besteht darin, dass die Regierung zusammen mit ihren linksradikalen Verbündeten alles daransetzt, die AfD weiter in die Radikalisierung zu treiben, weil genau darauf ihre Machtstrategie beruht. Eine vergleichbare Motivlage bestand bei der SPD der 1980er Jahre nicht. Auch die Linksradikalen werden sich, nachdem sie sich in der guten Stube breitgemacht haben, nicht so einfach wieder vor die Tür setzen lassen. Und: Die Immunabwehr gegen Rechtsextremismus schafft eine veränderte Ausgangslage. Sich gegenüber einer Partei zu öffnen, deren Abgrenzung gegenüber dem Rechtsextremismus zumindest zweifelhaft ist, provoziert andere Widerstände als die Annäherung der SPD an die grünen Schrate und Esoteriker der 1980er Jahre.
Die Schlüsselrolle der FDP
Zugleich kann aber eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht kategorisch von einer Abgrenzung gegenüber den Radikalen abhängig gemacht werden, weil die Perspektive, einen Fuß ins System zu bekommen, dafür ja gerade die Voraussetzung bildet. Das heißt, der erste Schritt muss aus dem System heraus kommen. An der Stelle kommt die entscheidende Variable dieser Gleichung ins Spiel, die FDP. Anders als etwa die Werteunion könnte die FDP eine Öffnung gegenüber der AfD aus dem System heraus betreiben, ohne sogleich selbst in die Verbannung geschickt zu werden, schon deshalb, weil sie fest institutionell verankert ist. Insofern kommt der FDP eine Schlüsselrolle zu, was wohl der Grund dafür ist, dass sie von den Merkelmedien so misstrauisch beäugt wird. Der Preis allerdings ist hoch. Die Thüringen-Episode war ein Vorgeschmack darauf, worauf man sich einstellen müsste: Empörungstaumel, „Nazi“-Geschrei, marodierende Antifa-Horden, hyperventilierende ÖR-Kommentatoren und Steinmeier mit seiner dämlichsten Betroffenheitsmiene. Aber was wäre die Alternative? Die Marginalisierung des gesamten konservativen Lagers, die weitere Zerstörung der politischen Kultur, die ungehinderte Ausbreitung des Linksradikalismus und eine prekäre Existenz der FDP als Punchingball linksgrüner Agitatoren.
Das Spiel mitzuspielen wahrt der FDP zwar immerhin die Chance auf ein paar Krümel vom Tisch des merkelistischen Linkskartells. An die gehätschelten GRÜNEN mit dem ebenso eitel wie ahnungslos schwadronierenden Robert Habeck wird sie aber nie herankommen, egal wie vernünftig, kompetent, modern und gesinnungsfest sie sich präsentiert. Momentan sieht es dennoch danach aus, als würde man sich mit den Krümeln zufriedengeben. Wie verkündete soeben der designierte FDP-Generalsekretär? „Die klare Haltung der FDP zur AfD darf nicht infrage gestellt werden“. Merkel lacht sich gerade tot.
Roger Schelske ist Politikwissenschaftler
Bild: Jim Lambert/Shutterstock, Matyas Rehak/Shutterstock
Text: gast