Von Alexander Wallasch
Eine interessante Frage: Wie solidarisch sind Deutsche, die Corona-Impfungen skeptisch gegenüberstehen, mit Migranten in Unterkünften, die Impfungen ebenfalls skeptisch betrachten oder gleich ganz ablehnen? Sind die Motivation und die Informationslage bei beiden Gruppen überhaupt gleich?
Solange es in Deutschland noch keine Zwangsimpfungen gibt, bleibt es eine zulässige Alternative, „Nein“ zur Impfung zu sagen. Überdurchschnittlich viele Migranten, die nach 2015 Asylantrag in Deutschland gestellt haben, sagen „Nein!“.
Der Staat, aber auch die Kommunen selbst, versuchen es daher seit einiger Zeit mit Plakatkampagnen. In der Stadt Worms beispielsweise haben die Beauftragten für Migration und Integration ein Plakat gestalten lassen, auf dem bekannte Wormser Persönlichkeiten aus verschiedenen Kulturkreisen für die Corona-Impfung werben. Abgebildet sind neben dem Bürgermeister eine ganze Reihe von Bürgern mit Migrationshintergrund, hauptsächlich aus dem religiösen Umfeld wie Enver Erdal von der DITIB Moschee und Aydin Gecgel von der IGMG Moschee in Worms, aber auch die christlichen Kirchenvertreter sind mit dabei.
Werbung für das Impfen prallt an Migranten ab
Mit Erfolg? Führt so eine Informationskampagne wirklich dazu, dass sich mehr Migranten impfen lassen? Hier wird schon eine interessante Frage vernachlässigt: Was wäre eigentlich, wenn die zur Verfügung stehenden Informationen am Ende zu einem Entscheidungsprozess führen, dass sich noch weniger Migranten impfen lassen würden? So betrachtet handelt es sich hier also nicht um eine Informations-, sondern um eine Werbekampagne pro Impfung.
Noch im April 2021 verweigerten beispielsweise laut niedersächsischer Landesaufnahmebehörde 70 bis 80 Prozent der Migranten (Asylantragsteller) die Impfung – demgegenüber wünschen über 90 Prozent des Personals der Aufnahmestellen einen Impfschutz. Mal abgesehen von wenigen markanten Aufrufen gegen das Impfen von einigen muslimischen Religionsvertretern international, hätten die Impfskeptiker und -gegner unter den Migranten ähnliche Argumente wie einheimische Skeptiker, sagte eine Sprecherin der Landesaufnahmebehörde in Niedersachsen.
Auch das Robert Koch-Institut (RKI) hat sich längst Gedanken gemacht über die Gruppe der Migranten und deren unterdurchschnittliche Impfbereitschaft. Unter einer Abbildung vieler bunter Figuren, die wohl Vielfalt ausdrücken soll, schreibt das RKI (hier allerdings im Zusammenhang mit Impfungen gegen Kinderkrankheiten):
„Die gute Akzeptanz von Schutzimpfungen zeigt sich an den bundesweit hohen Impfquoten bei Kindern. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) zeigen allerdings, dass beispielsweise nach der Geburt zugewanderte Kinder und Jugendliche Impflücken aufweisen.“
Das RKI fordert daher Migranten behandelnde Hausärzte auf, hier jeden Arztkontakt zu nutzen, „um den Impfstatus zu überprüfen“, dies gelte „besonders für neu zugewanderte Personen“. Weiter heißt es da: „Maßgeblich für die zu verabreichenden Impfungen sind die Empfehlungen der STIKO.“
Da allerdings lauert nun schon der erste größere Dissens: Wie soll denn ein neu zugewanderter Asylantragsteller mit Kindern begreifen – so es ihm überhaupt übersetzt wird –, warum der deutsche Staat die Impfung von Kindern will, sich eine ebenfalls staatliche Ständige Impfkommission allerdings nicht dafür ausgesprochen hat? Hier werden Abwägungs- und Entscheidungsprozesse verlangt, die selbst einem mit der Sprache und den Gepflogenheiten vertrauten Bürger schwerfallen.
Religionsgemeinschaften sollen für das Impfen werben
Die Zeit titelte heute früh: „Rat: Migranten brauchen mehr persönliche Impfberatung“.
Gemeint ist hier allerdings nicht der Rat im Sinne von Ratschlag, sondern der Flüchtlingsrat Thüringen. Was staatstragend klingt, ist allerdings – wie in anderen Bundesländern auch – ein privater Verein, eine Nichtregierungsorganisation (NGO). Dieser Rat kritisiert die Bemühungen des Landes Thüringen als nicht ausreichend, die „im Freistaat lebenden Geflüchteten für die Corona-Schutzimpfung zu gewinnen.“
Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte ein Vertreter dieses Flüchtlingsrates: „Die persönliche Ansprache von Geflüchteten zum Thema Impfungen ist bisher vernachlässigt worden.“ Die Wirksamkeit bisheriger Plakat- oder Flyeraktionen wird angezweifelt: „In den Flüchtlingsunterkünften gibt es für alles mögliche Flyer oder Plakate – da drohen die zur Impfung übersehen zu werden.“
Aber was tun? Merkwürdig klingt da der Vorschlag des privaten Rates, Menschen aus den jeweiligen Sprach- und Kulturkreisen als Mittler einzusetzen. Merkwürdig deshalb, weil es da weiter heißt, für diese Mittlerfunktion würden sich etwa Religionsgemeinschaften anbieten. Sind beispielsweise die Vertreter der Moscheen hier wirklich gute Mittler? Und woran halten diese sich, wenn es um die Kinder geht? An das Gesundheitsministerium oder die STIKO? Zwei staatliche Institutionen – zwei Meinungen.
Die Zeitung befragte auch die Kassenärztliche Vereinigung. Die konnte allerdings bisher lediglich die Impfung von 1.000 Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften in Thüringen bestätigen – geimpft von mobilen Teams. Diese Teams hätten 25 Einrichtungen in Thüringen angefahren, manche davon sogar mehrfach. Im Einsatz waren 15 Impfteams. Impfen ließen sich also durchschnittlich 40 Personen pro Unterkunft bei insgesamt 22.000 sogenannten „Schutzsuchenden“ im Freistaat.
1.000 Geimpfte auf 22.000 Personen, das sind weniger als fünf Prozent.
Der Flüchtlingsrat in Thüringen ist jetzt über die wirkungslosen Plakate und Flyer hinaus tätig geworden: Unter anderem wurden Online-Videos erstellt und per QR-Code verfügbar gemacht, in denen Landsleute der Migranten diesen die Impfung erklären. Ein Hauptziel sei es hier „Impfmythen und Falschinformationen, die in Migrantenkreisen teilweise verbreitet seien, entgegenzuwirken.“
Während also die Impfbereitschaft gerade bei neu Zugewanderten immer noch besonders niedrig ist, sollen demgegenüber in Hausarztpraxen bereits fast eine Million Kinder und Jugendliche von 12 bis 17 Jahren geimpft worden sein.
Parallel dazu pflegt eine prominente Stimme der „Welt“, nämlich ihr Chefredakteur Ulf Poschardt selbst, einen immer kritischeren Ton rund ums Impfen und Testen. Aktuell titelt Poschardt gerade: „Auf dem Weg in den autoritären Staat fällt das nächste Tabu“.
Poschardt schreibt: „2015, in der Flüchtlingskrise, hat man den Bürgern erklärt, die Grenzen seien sowieso nicht wirksam zu kontrollieren. Nun müssen sich dieselben Bürger nach dem Urlaub Personenkontrollen gefallen lassen, zur Durchsetzung der Corona-Testpflicht. Das Gefühl von Willkür wächst.“
Für den Chefredakteur ist das Vertrauen in den Rechtsstaat gebrochen und heile nur schwer. „Das Misstrauen bleibt.“ Poschardt spricht von „Kontroll- und Restriktionspartys der deutschen Politik“. Diese würden „als sogenannte Corona-Maßnahmen“ weitergehen. Hier könnte also die „Welt“ in ihrer Ausrichtung die letztlich verbotene Demonstration am 1. August mitorganisiert haben. In Wahrheit natürlich nicht, aber inhaltlich ist Poschardt nah dran.
Wie aber soll sich hier ein Zugewanderter eine Meinung bilden, der möglicherweise aus einem autoritären Land kommt, in dem ein Wettstreit der Haltungen und Meinungen nicht gepflegt wird? Ach so: Deutschland ist ja laut Ulf Poschardt ebenfalls schon auf dem Weg, ein autoritärer Staat zu werden. Vielleicht muss sich der Zugewanderte demnächst gar keine Meinung mehr bilden, dann wird er einfach geimpft oder erfährt bei Verweigerung, wie restriktiv man auch in seinem Traumland Deutschland gegen ihn vorgeht.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Leonce49/Hans Weingartz/Wikicommons/CC BY 3.0Text: Gast