In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ), in dem die Journalisten-Kollegen eher als Stichwortgeber denn als kritische Journalisten agieren und das hinter einer Bezahlschranke steht, behauptet der Virologe Christian Drosten, keine Ahnung von der gefährlichen „Gain of Function“-Forschung am Institut für Virologie in Wuhan gehabt zu haben. Dabei war der Wissenschaftler 2017 Redakteur bei einer Arbeit, die sich nach Ansicht von Kritikern genau damit befasste.
Bei der „Gain of Function“-Forschung werden Viren künstlich von Forschern verändert, unter anderem so, dass sie leichter auf den Menschen übertragbar sind (siehe mein Interview mit Prof. Dr. Wiesendanger dazu). Der Hamburger Professor und 19 weitere Kollegen haben zur Olympia-Eröffnung eine Liste von Forderungen an die chinesische Regierung und die internationale Gemeinschaft veröffentlicht, um die Herkunft der Corona-Pandemie aufzuklären. In dem Laboratorium in Wuhan, der Stadt, aus der das Corona-Virus stammen soll, wurden genau solche Experimente durchgeführt. Wiesendanger behauptet, dass eine Gruppe von Virologen um Anthony Fauci, also dem Gesundheitsberater in den USA, Leiter einer Unterabteilung des National Institutes of Health, diesen Aspekt vertuschen wollte. Zu der Gruppe gehörte auch Drosten.
Im Interview fragt die SZ: „Herr Drosten, der Physiker Roland Wiesendanger behauptet öffentlich, dass Sie bewusst Medien und Politik in die Irre führen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie das hören?“
Die Antwort Drostens: „Ach, ich habe mich an allerhand Dinge gewöhnt, die in der Öffentlichkeit passieren. Aber diese haltlosen Anschuldigungen sind schon ungewöhnlich. Mit Büchern zu diesen Spekulationen wird eben auch Geld verdient. Und so werden sie weiter befeuert. Ich vermute, dass die Angriffe auch deshalb immer persönlicher werden.“
Hier unterstellt der Virologe also generell Kritikern, auf Geld aus zu sein, und beim unbedarften Leser könnte der Eindruck entstehen, Wiesendanger mache Geschäfte mit Büchern. Mir ist über ein Buch Wiesendangers zu dem Thema aber nichts bekannt. Insofern stellt sich hier die Frage, ob so eine Antwort eine gezielte Diskreditierung ist, die geschickt so formuliert wurde, dass sie juristisch nicht belastbar ist.
Weiter fragt die Süddeutsche: „In der Telefonkonferenz mit Fauci und anderen Experten zu Beginn der Pandemie, so behaupten Anhänger von Verschwörungsideen, sei die Labor-Hypothese politisch gewollt ausgeschlossen worden.“
Schon die Frage enthält Framing („Anhänger von Verschwörungsideen“) und ist damit manipulativ. Drosten antwortet: „Das stimmt einfach nicht. Die Personen, die das Gegenteil behaupten, haben dafür keinen einzigen Beleg vorgelegt. Es gibt auch keinen.“ Das ist erstaunlich, denn weiter im Interview sagt Drosten dann freimütig, man habe einen Kollegen, der von der Labortheorie ausging, vom Gegenteil überzeugt. Natürlich kann das rein fachliche Gründe haben – aber zumindest könnte man es auch als Indiz werten, dass man die Labortheorie bekämpfte.
Sodann gibt sich Drosten in dem Interview als Wendehals: „Und was mich betrifft: Man kann in allen öffentlichen Äußerungen von mir sehen, dass ich immer offen war für beide Möglichkeiten. Ich habe nur immer auch dazugesagt, weshalb ich einen natürlichen Ursprung des Virus aus dem Tierreich aus belegbaren Gründen für wahrscheinlicher halte.“
Formell mag das richtig sein und Drosten mag das im Kleingedruckten so formuliert haben – die Botschaft, die bei den meisten Menschen ankam, und wohl kaum zufällig, war aber, dass Drosten die Labortheorie ablehnt. Jetzt plötzlich kommt das ganz anders rüber. Besonders pikant: Die aktuelle Diskussion in Sachen #Drostengate dreht sich ja um den »Lancet«-Artikel vom 19.2.2020, in dem Drosten und Kollegen den Laborursprung eine „Verschwörungstheorie“ nannten. Und jetzt will der Professor immer für alle Möglichkeiten offen gewesen sein? Wie passt das zusammen?
Mehr noch: „Es ist schwierig für einen aktiven Wissenschaftler in der Virologie zu sagen, dass ein Nobelpreisträger im Fach Virologie Unsinn verbreitet“, sagte Drosten in seinem NDR-Podcast vom 13.5.2020 über Prof. Luc Montagnier und dessen Aussagen, das Virus könne nicht natürlichen Ursprungs sein, „aber das ist kompletter Unsinn. Dieses Thema ist einfach erledigt, auch wenn ein im Ruhestand befindlicher Nobelpreisträger in einer Talkshow darüber redet.“
Weiter sagt Drosten in dem Interview: „Eine andere Sache hat mich aber auch überrascht: Es wurden Projektberichte öffentlich, aus denen hervorgeht, dass das Institut für Virologie in Wuhan tatsächlich in einem Projekt der US-amerikanischen NGO Ecohealth Alliance sogenannte Gain-of-Function-Experimente gemacht hat. Dabei wurden Fledermausviren mittels Gentechnik neue Spikeproteine eingebaut. Es zeigte sich, dass die so konstruierten Viren sich besser vermehren konnten. Es wurde auch bekannt, dass Pläne zum Einbau von Furinspaltstellen bestanden, aber das sollte in einem amerikanischen Labor gemacht werden, und das Projekt wurde nicht finanziert.“
Auf die Frage „Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal von den Experimenten in Wuhan hörten?“ antwortet der Professor: „Das hätte echt nicht sein müssen. Vor allem wussten ja einige Leute in den USA von diesen Versuchen. Man hätte schon am Anfang, als diese öffentlichen Vorwürfe kamen, offensiv und proaktiv kommunizieren müssen, was dort im Labor gemacht wurde. Viele Wissenschaftler, auch ich, haben damals in einem Statement im Medizinjournal The Lancet für die Kollegen aus Wuhan die Hand ins Feuer gelegt, wurden aber über diese Projekte nicht informiert. Hätte ich davon gewusst, hätte ich zumindest Rückfragen gehabt, bevor ich meine Unterschrift leistete.“
Aber war Drosten wirklich so unwissend, wie er sich hier gibt? Er sei 2017 selbst Redakteur gewesen von einer der wichtigsten, in „Nature Medicine“ veröffentlichten Studien der „Fledermausfrau“ Dr. Shi Zhengli („Discovery of a Rich Gene Pool of Bat SARS-Related Corona Viruses von Shi, Peter Daszak vom Eco Health Alliance und anderen), schreibt jetzt die Internetzeitung „Freie Welt“: „Bei der Studie ging es um die 5-jährige Arbeit von Shi Zhengli an Coronavirenproben aus einer Fledermaushöhle in der Provinz Yunnan, die von vielen heute als Ursprung der Corona-Pandemie vermutet wird. Die Studie wurde finanziert vom NIAID von Dr. Anthony Fauci.“
Diese 5-jährige Arbeit werde heute „als wichtiger Beleg für die ‘Gain of Function‘-Forschung am Wuhan-Institut und für deren Finanzierung durch die US-Regierung gesehen“, schreibt die „Freie Welt“: „Laut Dr. Richard Ebright von Rutgers U. handelt es sich bei dieser Studie eindeutig um ‘Gain of Function‘-Forschung, nämlich die Herbeiführung vermehrter Ansteckungsfähigkeit und Erzeugung eines ‘potenziell pandemischen Pathogens‘. Zwischen 2015 und 2019 erhielt das Wuhan-Institut 219 010 € von der EU über das Europäische Virusarchiv EVAg, das von Drosten mitbegründet wurde.“ Auf eine Anfrage des Mediums von Anfang Januar mit der Bitte, seine Tätigkeit als Redakteur dieser Studie einzuordnen, antwortete Drosten bisher nicht. Die Süddeutsche Zeitung stellte leider in dem Interview keine entsprechenden kritischen Fragen.
Auf die Frage der Süddeutschen, ob die Viren durch den Eingriff gefährlicher geworden seien, antwortet Drosten: „Das kann sein. So sah es laut den Projektberichten zumindest in Versuchen an Mäusen aus.“ Auf den Einwurf des Blattes, das Institut für Virologie in Wuhan liege „nur ein paar Kilometer von jenem Markt entfernt, auf dem die Pandemie 2020 begonnen haben soll“, entgegnet der Virologe: „Ich habe mir diese Berichte genau angeschaut und ziehe zwei Schlussfolgerungen daraus: Ich finde, dass man solche Experimente nur dann machen sollte, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Das fängt damit an, dass man so etwas nur in einem Hochsicherheitslabor machen sollte, aus dem ein Virus praktisch nicht entkommen kann. Und man sollte zusätzlich biologische Sicherheitsmaßnahmen einbauen. Etwa bestimmte Gene aus dem Erbgut des Virus entfernen, die für gute Übertragbarkeit notwendig sind.“
Ob in Wuhan so ein abgesichertes Virus verwendet wurde, könne er nicht sagen, so Drosten. Sein Fazit: „Es wurden in Wuhan durchaus Sachen gemacht, die man als gefährlich bezeichnen könnte.“ Sodann fügt er hinzu: „Aber dabei hätte nicht das SARS-CoV-2-Virus herauskommen können. Die haben zwar Fledermausviren neue Eigenschaften eingebaut, aber nicht solchen, die als Vorgänger von SARS-CoV-2 infrage kommen.“ Auch das ist erstaunlich – sagt er doch zuvor im gleichen Interview, er habe die Laborthese nie ausgeschlossen. Gut, ein Nicht-Ausschluss der Laborthese bedeutet im Umkehrschluss nicht zwangsweise, dass er die „Gain of Function“-Forschung als mögliche Ursache sieht – aber dennoch klingen seine Aussagen hier etwas sehr wendig.
Am Ende des Interviews fragt die Süddeutsche den Virologen, ob er mal mit seinem Opponenten gesprochen habe. „Nein“, antwortet Drosten: „Ich habe ihn bisher kaum wahrgenommen. Ich frage mich natürlich: Wenn er wirklich dachte, ich verfüge über Insiderwissen, das ihn mit seinen Ideen weiterbringt – warum hat er mich nicht einfach mal angerufen?“ Gute Frage. Aber auch hier – merkwürdig: Im Januar 2021 fragte ich Drosten persönlich auf der Bundespressekonferenz, warum er nicht zum Dialog mit seinen Kritikern bereit sei. Er tat so, als habe er die Frage überhört, und beantwortete sie nicht.
Bild: Boris Reitschuster
Text: br