Hamburger Gericht beschert Drosten Etappensieg Physiker darf dem Virologen keine Täuschung vorwerfen

Von Daniel Weinmann

Woher stammt das Coronavirus? An dieser Frage scheiden sich seit mittlerweile zwei Jahren die Geister. Für Roland Wiesendanger ist der Ursprung der Pandemie eine der entscheidendsten Fragen der Menschheit der vergangenen hundert Jahre. Das Coronavirus sei am virologischen Institut in der chinesischen Stadt Wuhan entstanden, ist der Professor für Experimentelle Festkörperphysik an der Universität Hamburg überzeugt. Diese These bestätigt nicht zuletzt eine Analyse mehrerer Geheimdienste der USA. Demnach könnte das Coronavirus aus dem Tierreich, aber auch aus einem Labor stammen.

David
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27 Virologen hatten diese Theorie vor zwei Jahren in der Fachzeitschrift „The Lancet“ als Verschwörungstheorie bezeichnet, darunter auch Deutschlands oberster Corona-Erklärer Christian Drosten. Wiesendanger warf dem Charité-Virologen deshalb eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit vor. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg darf der das nun nicht mehr.

Seine Zivilkammer habe nicht darüber zu entscheiden, welche Ursprungsthese richtig sei, betonte der Vorsitzende Richter. Vielmehr gehe es darum, wer was sagen dürfe oder eben nicht. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass Drosten die Öffentlichkeit wider besseren Wissens getäuscht hatte.

»Das ist kein Interview, sondern ein Vorkommnis«

Wiesendanger hatte den Vorwurf in einem Interview des Magazins „Cicero“ erhoben, das am 2. Februar dieses Jahres unter der Überschrift „Stammt das Coronavirus aus dem Labor?“ erschienen war. „Herr Drosten hat Politik und Medien in die Irre geführt“, so der Physiker. Er forderte den Direktor des Instituts für Virologie an der Charité auf, er müsse erklären, auf welcher Grundlage er damals die Labortheorie habe ausschließen können.

Das Interview ist momentan online nicht abrufbar. „Cicero“ hat stattdessen eine Erklärung veröffentlicht, wonach man die einzelnen Punkte derzeit juristisch prüfe und die Ergebnisse der Auseinandersetzung zwischen Drosten und Wiesendanger abwarte. In einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ hatte sich Wiesendanger jedoch ähnlich geäußert, ohne gerichtlich dagegen vorzugehen.

Drosten nahm das „Cicero“-Interview zum Anlass, Wiesendanger abzumahnen und eine einstweilige Verfügung zu erwirken. „Cicero bietet einem Extremcharakter die Bühne und provoziert persönliche Angriffe gegen mich durch suggestive Fragen“, twitterte Drosten. „Antworten werden im Andeutungs- und Wertungsbereich stehengelassen, belastbaren Tatsachenbehauptungen ausgewichen. Das ist kein Interview, sondern ein Vorkommnis.“ Drostens Anwalt Gernot Lehr beteuerte, sein Mandant führe diese Diskussion in aller Breite. „Es gab zu keinem Zeitpunkt einen Ausschluss der Laborthese.“

Laut Entscheidung des Hamburger Landgerichts vom vergangenen Freitag fehlt für den Vorwurf, Drosten habe die Öffentlichkeit gezielt getäuscht, die Grundlage. Der Virologe habe erklärt, dass weder die Laborthese noch die These eines natürlichen Ursprungs widerlegt oder bewiesen werden könne. Es spreche nur mehr für die letztere Annahme, so der Vorsitzende Richter Florian Schwill.

»Hätte ich davon gewusst, hätte ich zumindest Rückfragen gehabt«

Das Urteil ist indes nur ein Teilerfolg für Drosten. Wiesendanger darf ihm zwar nicht mehr die Täuschung der Öffentlichkeit vorwerfen. Doch darf er weiterhin behaupten, dass der Virologe eine „Desinformationskampagne“ betrieben und „Unwahrheiten“ verbreitet habe. Ebenso darf er behaupten, Drosten habe „allerhöchstes Interesse“, den Verdacht zu zerstreuen, dass das Coronavirus aus einem Labor stamme. Das Gericht stufte diese Einlassungen als legitime Meinungsäußerungen ein.

Bemerkenswert: Der „The Lancet“ scheint Christian Drosten nicht mehr ganz geheuer zu sein. In einem Interview mit der “Süddeutschen Zeitung“ gestand der Virologe ein, zusammen mit den anderen Unterzeichnern des Beitrags über manche Projekte in dem Labor in Wuhan nicht informiert gewesen zu sein. „Hätte ich davon gewusst, hätte ich zumindest Rückfragen gehabt, bevor ich meine Unterschrift leistete.“

Als jemand, der die Öffentlichkeit vorsätzlich irregeführt hat, möchte sich der Mediziner aber selbstverständlich nicht darstellen lassen. Wiesendanger kündigte zwischenzeitlich an, Berufung gegen die Entscheidung einzulegen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Shutterstock
Text: dw

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