Ein Gastbeitrag von Iris Zukowski
Der Psychologe Serge Moscovici untersuchte 1969 den Minoritätseffekt, um herauszufinden, wie eine Minderheit die Mehrheit beeinflussen kann. Er präsentierte einer Gruppe von sechs Probanden in mehreren Durchläufen farbige Dias, die verschiedene Blautöne zeigten. Jede Versuchsperson war hinsichtlich ihrer Sehfähigkeit für Farben getestet worden und in der Lage, die Farben eindeutig zu erkennen. In der Gruppe befanden sich auch zwei eingeweihte Teilnehmer, die die Aufgabe hatten, in bestimmten Durchgängen eine falsche Antwort zu geben und vehement mit „Grün“ zu antworten.
Obwohl die Farbe auf den Dias klar erkennbar war, hatten die Antworten der beiden Querulanten Einfluss auf die Antworten der übrigen Versuchsteilnehmer: 8,4 % aller Antworten lauteten Grün und 32 % der Versuchspersonen gaben an, zumindest einmal ein grünes Bild gesehen zu haben. Da keines der Dias eine grüne Farbe zeigte und die Probanden Grün von Blau unterschieden konnten, hatten sie nachweislich eine Antwort gegeben, die nicht ihrer eigenen Wahrnehmung entsprach, sondern sich an dem orientierte, was die eingeschleusten Teilnehmer behaupteten.
Diese Mitarbeiter, die die anderen beeinflussen konnten, wissentlich eine falsche Antwort zu geben, erzielten diesen Effekt durch ihr vehementes und selbstbewusstes Auftreten.
Bei der Variation des Experiments wurde das Auftreten und das Äußere eines dieser Mitarbeiter verändert. Er wurde angewiesen, sich etwas sonderbar zu verhalten, und er trug eine glasbausteinartige Brille. Sein Einfluss auf die Gruppe erlosch prompt und war nicht mehr messbar. Daraus wurde gefolgert, dass das Auftreten, die Selbstsicherheit und die persönliche Stärke von Personen maßgeblich dafür waren, ob sich andere von ihnen beeinflussen ließen. Miscovici et al. stellten darüber hinaus fest, dass eine Minderheit keinen Einfluss nehmen konnte, wenn sich bereits eine starke Mehrheit gebildet hatte.
Wie Mehrheiten Einfluss ausüben können
1981 formulierte Moscovici die Konversionstheorie, die besagt, dass sowohl Mehrheiten als auch Minderheiten Einfluss ausüben können, indem sie die Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte der Situation richten.
„Wenn Menschen mit einer Mehrheit konfrontiert sind, wollen sie Teil der Mehrheitsgruppe sein, um soziale Zustimmung zu erhalten, und weil sie annehmen, dass es richtig ist (…), ohne den Inhalt der Argumente der [Mehrheiten] im Detail zu berücksichtigen. Wenn man mit einer Minderheit konfrontiert wird, will man vermeiden, als Teil einer abweichenden Gruppe angesehen zu werden, aber gleichzeitig ist man fasziniert von den Ansichten der Minderheit und möchte verstehen, warum sie eine andere Ansicht vertreten als die Mehrheit.“ (S. Alexander Haslam, Joanne R. Smith, „Social Psychology. Revisiting the Classic Studies“, London 2017)
Moscovici kam zu dem Schluss, dass Mehrheiten zu mehr öffentlichen als privaten Veränderungen führen, während Minderheiten zu mehr privaten Veränderungen führen.
Die Umsetzung der Transgender-Agenda könnte ein Beispiel für diese Theorie sein. Sie wurde auf Basis einer sozialen Minderheit und durch laustarke Aktivisten initiiert und zielt eher auf unser privates Leben, unser Selbstbild als menschliches Wesen, das sich zukünftig nicht mehr durch seine Persönlichkeit, Einstellungen oder Interessen, sondern über seine sexuelle Orientierung definieren soll.
Die Mehrheit scheint hingegen stärkeren Einfluss auf unser öffentliches Leben zu haben, wie zum Beispiel die Bereitschaft, eine Maske zu tragen oder den experimentellen Impfungen zuzustimmen, um solidarisch mit der Gruppe entsprechende Zertifikate vorweisen zu können.
Im Konformitätsexperiment untersuchte der polnisch-amerikanische Gestalt- und Sozialpsychologe Solomon Asch 1951 den Einfluss der Gruppe auf den Einzelnen. In seinem Versuch erhielten fünf Teilnehmer einer Sechsergruppe den Auftrag, identische falsche Antworten zu geben, während das Verhalten der unwissenden Versuchsperson inmitten der Gruppe untersucht wurde.
In mehreren Durchläufen wurde der Gruppe ein Schaubild mit vier Linien gezeigt. Auf der linken Seite befand sich die Referenzlinie, rechts daneben drei unterschiedliche Linien. Die Teilnehmer sollten in mehreren Durchläufen mit unterschiedlichen Grafiken benennen, welche der drei übrigen Linien die gleiche Länge wie die Referenzlinie aufwies.
In den ersten fünf Präsentationen waren die eingeweihten Teilnehmer angewiesen, die richtige Antwort zu geben, im sechsten Durchlauf gaben alle die gleiche falsche Antwort. Die unwissenden Versuchspersonen zögerten inmitten des (falschen) Gruppenkonsenses mit ihren Antworten. 37 % der Probanden passten sich bei einem Drittel der Durchgänge den Falschantworten der Mehrheit an. Die Studie führte zu dem Ergebnis, dass mit der Größe der Gruppe auch der Konformitätsdruck steigt und sich mehr Menschen – obwohl sie die richtige Antwort kennen – den falschen Aussagen der Gruppe anpassen.
Ein vergleichbares Experiment wurde mit einer versteckten Kamera in einem Wartezimmer gedreht. Alle wartenden Patienten sind zunächst eingeweihte Versuchsteilnehmer, die den Auftrag haben, sobald ein Signal ertönt, kurz aufzustehen und sich wieder zu setzen. Die unwissende, eigentliche Versuchsperson betritt das Wartezimmer, nimmt Platz und beobachtet verwundert das Verhalten der Gruppe, dann beginnt auch sie, aufzustehen und sich wieder zu setzen, sobald das Signal ertönt. Sie passt sich der Gruppe ohne nachzufragen an. Nachdem alle anderen „Patienten“ aufgerufen wurden und sie die einzige Person ist, die noch wartet, setzt sie das Verhalten fort. Die neu eintreffenden, ebenfalls unwissenden Patienten, die im Wartezimmer Platz nehmen, folgen ihrem Vorbild.
Die junge Frau, die mit versteckter Kamera gefilmt wurde, sagt in dem anschließenden Interview, dass sie sich ausgeschlossen und unwohl gefühlt hätte, wenn sie nicht mit der Gruppe konform gegangen wäre. Sie entspricht dem Typus einer angepassten Persönlichkeit, für die es wichtiger ist, soziale Akzeptanz und Zugehörigkeit zu erfahren als ihrem Befremden zu folgen.
Ausnahmen, die dem Konformitätsdruck standhalten
Nicht jeder von uns reagiert in dieser Ausprägung gruppenkonform. Es gibt Menschen, die sich weder dem Konsensdruck beugen, den eine aggressive oder lautstarke Minderheit auszuüben versucht, noch willens sind, eigene Überzeugungen und Wahrnehmungen zu verleugnen, um etwas zu vertreten, das die Mehrheit fälschlicherweise als richtig deklariert. Starke und selbstsichere Menschen halten auch dem Konformitätsdruck stand, die eine große Mehrheit ausüben kann, wenn sie einhellig eine Lüge als Wahrheit akzeptiert.
Wer unsicherer ist oder verunsichert wird, ist eher geneigt, sich der Mehrheit anzuschließen, selbst wenn wissentlich das Falsche vertreten wird. Die Gruppenzugehörigkeit gibt Sicherheit und schafft Verbündete. Es fließen natürlich mehr Faktoren in diese Prozesse hinein als in diesen beiden Studien der Sozialpsychologie erfasst wurden. Unsere Spezies hat in den letzten Jahrhunderten das Bewusstsein weiterentwickelt, wir haben mehr Mitgefühl für Minderheiten als je zuvor und wir empfinden Schuld für das Leid in der Welt.
Mitfühlende Menschen streben nach Harmonie in der Gemeinschaft und werden dadurch ebenfalls empfänglich für den Minoritäts- oder Konformitätseffekt.
Suche nach Halt
In unserer Zeit leiden viele Menschen unter Angststörungen, Burnouts und Depressionen. Wer in der Schwäche ist, sucht Halt und möchte die Eigenverantwortung abgeben. Eine labile Psyche öffnet sich dafür, sich einer kompetent erscheinenden Führung anzuvertrauen, die Sicherheit und Schutz verspricht. Da traumatisierte und verunsicherte Menschen weder sich noch ihrer Wahrnehmung vertrauen, sind sie besonders leicht zu beeinflussen. Es gibt unterschiedliche Ebenen und verschiedene Persönlichkeitsmerkmale, auf denen der Minoritäts- und der Konformitäts-Effekt greifen.
Der tägliche Konsum von Nachrichtensendungen kann uns bereits in einer Weise schwächen und verblenden, dass selbst psychisch stabile Menschen beginnen zu glauben, ohne jegliche Wirkmacht hinsichtlich der übermächtig erscheinenden Gefahren zu sein. Die wiederholten innerlich erlebten, medial erzeugten Ohnmachtserfahrungen und die ständige Reizüberflutung des Nervensystems können auch starke Persönlichkeiten dafür öffnen, den Darstellungen und Überzeugungen anderer mehr zu vertrauen als dem eigenen gesunden Menschenverstand. Die Botschafter des Systems nutzen diese Effekte und können absurde Wirkung in unserer Gesellschaft erzeugen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Iris Zukowski – Diplom-Psychologin, Hypnotherapeutin und Sachbuchautorin: „Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten.“ Ruhland Verlag 2017. Sie war einige Jahre Dozentin für Neuromarketing und ist seit 2018 SOS-Initiatorin zur Aufklärung über die weitreichenden Effekte von frei verfügbarer Pornografie.
Text: Gast