Eigentlich, so zumindest der Grundgedanke der Demokratie, sollten Abgeordnete als Volksvertreter den direkten Kontakt zum Volk schätzen. Schließlich sind die Gemeinsterblichen ihre Arbeitgeber. Und Hand aufs Herz: Ist es wirklich umzumutbar, wenn ein Bundestagsabgeordneter bei einem kurzen Flug bis zu vier Stunden nicht vorne im Flugzeug in der teuren Business-Class mit einem freien Nebensitz sitzt – sondern hinten, wo man oft enger zusammenrücken könnte?
Ich finde, ein Abgeordneter, der seinen Beruf ernst nimmt, müsste sich freuen über solche Gelegenheiten, mal wieder hautnah die Stimme der Menschen zu hören, für die er da sein sollte.
Aber alles Pustekuchen.
Im April 2024 hatten das Bundestagspräsidium, der Ältestenrat und die Fraktionsgeschäftsführer entschieden, dass Abgeordnete künftig bei Flügen, die weniger als vier Stunden dauern, in der Economy-Class fliegen müssen – sofern sie nicht selbst ein Upgrade aus der eigenen Tasche bezahlen. Ein logischer Beschluss in Zeiten, in denen die Politik von allen Bürgern verlangt, den Gürtel enger zu schnallen. Die damalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) verkündete die Entscheidung stolz öffentlich. Das Motto: Seht her, auch wir sparen.
Die neue Bescheidenheit hielt keine anderthalb Jahre.
Den Herrschaften war die Holzklasse nicht bequem genug – und so hob der Ältestenrat den Anflug von Genügsamkeit schon am 11. September wieder auf. Klammheimlich. Denn fast drei Monate lang erfuhr niemand etwas von dem Beschluss – bis er jetzt offenbar doch nicht über unbekannte Wege aus den Hinterzimmern des Bundestags ans Licht der Welt kam.
Und genau dieses Schweigen wiegt schwer: Es ist der unausgesprochene Beweis, dass den Beteiligten sehr wohl bewusst war, wie unanständig ihr Verhalten ist. Wer sich nicht traut, so etwas offen zu kommunizieren, weiß, dass er dabei etwas tut, das sich nicht gehört.
Und tatsächlich handelt es sich um Bigotterie! Den Sparbeschluss feiert man – bzw. sich selbst dafür. Seine Aufhebung geschieht klammheimlich. Und nicht mal die AfD oder die „Linke“ machen ihn öffentlich – obwohl sie mit in den Gremien sitzen. Offenbar nehmen die Herrschaften dort auch gerne die leckeren Häppchen in der Business-Class auf Kosten der Steuerzahler mit, statt hinten auf den billigen Plätzen mit stillem Wasser vorlieb zu nehmen.
Fortan sind die besseren Plätze bereits ab zwei Stunden Flugzeit wieder erlaubt. „Viele europäische Dienstreisen sind jetzt wieder Luxusflüge. Und damit richtig teuer für den Steuerzahler! Ein Lufthansa-Ticket nächste Woche von Berlin nach Rom (Flugzeit ab 2 Std., 10 Min.) kostet in der Holzklasse 177 Euro, in der Business-Klasse 495 Euro“, wie die „Bild“ schreibt: „Und das in Zeiten, in denen der Bundestag ohnehin wegen gestiegener Ausgaben in der Kritik steht.“
Ein Bundestagssprecher sagte der Zeitung: „Bei Flügen zwischen zwei und vier Stunden habe der Ältestenrat die Ticketersparnis mit ‚der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abgewogen. Bei solchen längeren Flügen ins Ausland werden oft auch vertrauliche Vorbereitungen studiert’. Im Klartext: Die Abgeordneten fürchten, dass der Sitznachbar in der Holzklasse neugierig mitliest.“
Das klingt wie Satire. Ist aber Realität im selbst ernannten „besten Deutschland aller Zeiten“.
Und es handelt sich um ein vertrautes Muster: Gerade dort, wo sich Systeme besonders gern als demokratisch und gerecht inszenieren, entstehen oft die luxuriösesten Parallelwelten für die Funktionäre. Je mehr Gleichheit propagiert wird, desto größer die Sonderrechte für die Auserwählten. Die DDR lässt leise grüßen – diesmal mit Champagnerglas in Reihe 1. Nur die Flugzeuge und Limousinen sind heute deutlich leiser.
Dabei hat genau diese Sonderbehandlung einen hohen Preis – nicht nur finanziell: Wer immer abgeschirmter reist, wird blind für die Wirklichkeit da draußen. Ich erinnere mich gut an eine Szene in Tegel: Während alle Passagiere sich durch den chaotischen Boarding-Prozess quälten, wurde SPD-Chef Martin Schulz mit einer Limousine direkt ans Flugzeug chauffiert. Da spürt man nichts mehr von den Sorgen des Landes – nur noch Lederpolster und Sonderrechte.
Auch die Bahn hatte ihre eigene Version dieses VIP-Paralleluniversums: Für Politiker wurden über Jahre hinweg Züge eigens gereinigt, umgeplant und möglichst verspätungsfrei gehalten – während das einfache Volk auf zugigen Bahnsteigen stand und vergeblich auf den verspäteten und verschmutzten IC wartete.
Vielleicht sollten die Herren Volksvertreter künftig gleich fordern, dass ihre Sitze mit Sichtschutzwänden ausgestattet werden – so wie sie ja auch einen sieben Meter breiten und zwei Meter tiefen Graben um den Bundestag errichten lassen. Oder wie wäre es mit Pappkameraden auf dem Nachbarsitz, die zustimmend nicken, statt echte Bürgerfragen zu stellen? Das würde eines der letzten Stückchen Realität, das ihnen noch zu nahe kommt, auch noch ausschalten.
So sieht sie also aus, die neue Bescheidenheit im Bundestag: erst groß verkündet, dann still entsorgt. Sitzreihe 1. Realität: Null.
Willkommen an Bord. Bitte anschnallen – wir fliegen wieder Business. Bezahlt von denen, die hinten sitzen.
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