Ein Gastbeitrag von Alexander Wallasch
Die Universitäten in Hildesheim und in Frankfurt haben jetzt gemeinsam untersucht, wie Kinder und Jugendliche die Pandemie erleben. Festgestellt haben die Wissenschaftler, dass es jungen Menschen unter den Corona-Maßnahmen „überhaupt nicht gut geht aus unterschiedlichen Gründen“. Aber was soll das nun sein, ein Meilenstein einer auch aus Steuermitteln finanzierten Wissenschaft?
„Aufgewachsen in Krisenzeiten“ oder „Generation Corona“ – mit Begrifflichkeiten sind die Experten für 3sat-Nano schnell zur Hand. Allerdings leben heute noch Millionen von Menschen in Deutschland, die als Kind die schlimmsten Krisen erlebt und überlebt haben mit Krieg, Verfolgung und Vertreibung. Diese heute Erwachsenen hätten sicher einiges Aufschlussreiches dazu erzählen können. Übrigens auch ganz ohne Playmobilfiguren.
Ein schallendes Bravo auf die Corona-Maßnahmenpolitik der Bundesregierung erklingt für 3sat-Nano aus Wissenschaftsmund: „Was man sagen kann, ist, dass es für Kinder sehr wichtig ist, Herausforderungen zu erfahren, dass sie lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen. Wenn wir alles von ihnen fernhalten, können sie diese wichtigen Erfahrungen nicht machen.“
Wem hier nicht der Atem stockt, der hatte keine Kindheit, hat keine Kinder und auch sonst keine Empathie, sich einzufühlen in das Wesen eines Kindes und in das Herz einer Mutter. Es mag dieselbe Generation der kinderlosen Deutschen sein, die ihre demografischen Probleme mit den Kindern zugewanderter Menschen lösen will und die ansonsten über ihre Maske hinweg mit einer kalten Faszination auf die Kinder der anderen schaut. Nein, besser kann man kaum aufzeigen, warum diesem als ersatzlos dargestellten Wissenschaftsglauben in Corona-Zeiten auch etwas so kalt Grausames anhaftet.
„Eine Krise meistern. Wer das bereits in Kindheit und Jugend lernt, der ist als Erwachsener oft resilienter.“ Tatsächlich ist da etwas dran, aber auf eine Weise, die man hier kaum beschreiben mag. Ein drastischer Vergleich: Im Interview mit einer 93-jährigen Deutschen an anderer Stelle erzählte diese, wie sie sich nach Vergewaltigung und Scheinerschießung an einer schäbigen Mauer irgendwo in der Tschechei vor Angst eingepinkelt hatte, als die Schüsse über die Köpfe hinweg fielen. Heute ist sie 93 Jahre alt. Verdankt die alte Dame ihr Alter einer bei dieser Scheinerschießung erworbenen Resilienz? Wissenschaft kann so abartig sein da, wo ihr die Menschlichkeit abhandenkommt – ein schleichender Prozess offensichtlich, auf 3sat-Nano mit Playmobilfiguren nachgestellt noch am Anfang einer Unterkühlung. Bei Playmobil gibt es auch Figuren mit Schießgewehren und Prinzessinnen, vielleicht lassen sich ja die grauenhafte Jugenderinnerung der alten Dame ebenfalls nachspielen.
Entscheidend sei, sagen wieder die Damen der Wissenschaft, wie man so eine Krise für sich auslegen würde. Neue Hobbys werden empfohlen. „Ich habe meine kreative Seite wiederentdeckt. Also da finde ich, entsteht viel Potenzial auch Krisen zu verarbeiten.“ Ja, auch das kennt die alte Dame. Soll sie nun dankbar zurückschauen, dass man im Winterhilfswerk nächtelang für die Ostfront warme Socken stricken durfte, bis die Wolle aus war? Was für ein fieser Zynismus, wo es doch theoretisch ein Leichtes wäre, sich die unterdrückenden Maßnahmen selbst einmal genauer anzuschauen und zu fragen: Muss das wirklich sein?
„Optimismus und Humor“ werden bei 3sat-Nano empfohlen. Erforschen ließe sich das alles „nur in einer Krise, so wie die, in der wir gerade leben“. Und weiter: „Tatsächlich bietet das eine Chance, zu beobachten, was Menschen in so einer Pandemie eher gesund bleiben lässt.“ Resilienz wäre uns nicht in die Wiege gelegt, aber sie ließe sich trainieren. Was soll das nun sein? Eine Art milde Form von „Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, und flink wie Windhunde!“, der Wunschvorstellung eines wahnsinnigen Diktators, dem es hier um nichts anderes ging als maximale Resilienz als Anlage für die härtesten Killersoldaten der Welt?
Nicht falsch verstehen: Krisenmanagement ist grundsätzlich nicht falsch. Aber bezogen auf die Corona-Maßnahmen ist das keines. Krisenmanagement wäre es, die einschränkenden Corona-Maßnahmen der Regierung nicht als Naturgewalt anzunehmen, sondern sich schon viel früher zu fragen, wie man diesen Druck mindern kann, der auf die Kinder und Jugendlichen darniedergeht, anstatt sich mit kalter Neugierde zu fragen, welches Kind denn besser dem Druck standhalten kann in diesem menschlichen Versuchslabor nach Merkels Gnaden.
Sicher nutzen hier Bewältigungsstrategien, aber im Zusammenleben von Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen muss die unbedingte Vermeidung von lebensbedrohlichen oder lebensfeindlichen Eindrücken zwingend an erster Stelle stehen. Ansonsten sind wir wieder da, wo Müttern etwa empfohlen wurde: „Lass dein Kind doch nachts schreien, das macht die Lungen stark!“ Aber die Mütter wussten es natürlich besser zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften.
Um was es hier bei 3sat-Nano wirklich geht, ist nichts anderes als ein Training der Leidensfähigkeit. Das allerdings ist unserer Gesellschaft nicht würdig. Das ist barbarisch, das ist, was bleibt, wenn die Wissenschaft den Ton angibt, wenn ein kaltes Herz das Regiment übernommen hat.
„Jede Herausforderung (…) trainiert unsere Resilienz“ endet dann der 3sat-Nano-Beitrag, der schockiert und ratlos zurücklässt. Wen kann man für so einen Rückfall in düstere Zeiten beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur Rede stellen? Emails an den Sender schreiben? An die Filmemacher? Sinnlos! Denn diese Leute sind längst auf eine Weise resilient geworden gegen die Beschwerden derer, die sie bezahlen, dass sie es locker mit jenen Politikern aufnehmen können, die für all das verantwortlich sind. Politiker und ihre Entourage sind immun geworden gegen ihr eigenes Volk. Sie sind nicht mehr von dieser Welt, sie sind heute kalt und empathiebefreit wie die Wissenschaft, die sie anbeten.
Alexander Wallasch betreibt einen eigenen Blog (alexander-wallasch.de), auf dem dieser Beitrag ebenfalls erschien.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig für Szene-Magazine Kolumnen. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u.a. als Cheftexter für ein Volkswagen Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
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Bild: Screenshot 3Sat/Nano
Text: Gast