Von Daniel Weinmann
„Hey, wir sind funk, das Content-Netzwerk von ARD und ZDF.“ Locker, flockig und ungezwungen stellt sich das Jugendformat „funk“ auf seiner Website vor. Laut eigener Aussage will man Menschen zwischen 14 und 29 erreichen. Doch weil eine 14 Jahre alte Schülerin im Netz allerdings nach anderen Dingen suche als ein 29-jähriger Berufstätiger, produziere man „unterschiedliche Formate für Menschen mit unterschiedlichen Interessen“. Und, so viel Transparenz muss sein: „Wir sind ein öffentlich-rechtliches Angebot und werden daher durch den Rundfunkbeitrag finanziert. Insgesamt haben wir ein jährliches Budget von etwa 45 Millionen Euro. ⅓ davon kommen vom ZDF und ⅔ von der ARD.“
Angesichts von Beiträgen, die bis zu fünf Millionen Abrufe erreichen, scheint das Jugendprogramm den Nerv seiner Zielgruppe zu treffen. Fragwürdig ist indes die Art, wie hier Journalismus betrieben wird. Der Inhalt sei zu leicht, zu emotional oder schlecht aufbereitet, monieren kritische Geister. „Einseitig, subjektiv und mit blinden Flecken“, ätzte unlängst etwa die „Neue Zürcher Zeitung“.
In einer 124 Seiten umfassenden Studie der Otto Brenner Stiftung mit dem Titel „Grenzgänger – Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“ bestätigt Autor Janis Brinkmann diese Sichtweise. Der Medienwissenschaftler hat 1155 vor allem über YouTube verbreitete Videobeiträge aus den Jahren 2016 bis 2022 unter die Lupe genommen. Sie wurden durchschnittlich 643.000 Mal abgerufen.
Europäische und globale Perspektiven bleiben gänzlich außen vor
„Lebensweltliche und zielgruppenspezifische Themen wie Gesundheit, Partnerschaft oder Kriminalität machen mehr als 40 Prozent der Beiträge aus“, schreibt Brinkmann, der an der Hochschule Mittweida die Studienvertiefung „Digital Media and Journalism“ lehrt. „Dass nicht einmal jeder Fünfte politische und nicht einmal jeder Zwanzigste wirtschaftliche Themen adressiert, erscheint sehr diskussionswürdig.“
Besonders verblüffend: Objektiver Nachrichten- und Informationsjournalismus ist Brinkmann zufolge – „erwartungsgemäß“ – gar nicht vertreten. Charakteristisch sei vielmehr das Muster Authentizität, Sensibilität und Subjektivität. Informationsjournalismus findet auf „funk“ laut Studie nicht statt. Stattdessen folgen die Formate einer „kohärenten, wenn auch ‚nischigen‘ journalistischen Praxis“ – dem sogenannten ‚New Journalism‘.
Ein weiterer Beleg für mangelnde Sachlichkeit: Die meisten lokalisierbaren Beiträge sind laut Studie in Großstädten angesiedelt, kleine und mittlere Städte sowie Dörfer sind lediglich in 11,1 Prozent der Ort des Geschehens. Stark vernachlässigt sind die neuen Bundesländer (ohne Berlin), die in weniger als fünf Prozent der Beiträge vorkommen. Europäische und globale Perspektiven bleiben gänzlich unberücksichtigt.
„Die permanente subjektive Tendenz der Beiträge (97,1 Prozent), der starke Fokus auf Reporter:innen oder Protagonist:innen als Hauptquellen und -akteure (rund 70 bzw. 76 Prozent) sowie die gefühlsorientierte Aufbereitung der Themen (90,6 Prozent) sind dann als logische Konsequenz der Grundsatzentscheidung für diesen speziellen ‚Journalismustyp‘ zu sehen“, unterstreicht Brinkmann.
Höchste Zeit für die ÖRR-Intendanten, diese Form des betreuten Denkens kritisch zu hinterfragen
Exemplarisch für diese Art von gefühlsorientiert erzählender Thematisierung ist Svenja Kellershohns „Selbstexperiment Free Bleeding“, das vor laufender Kamera so beginnt: „Immer wenn ich unterwegs bin und plötzlich meine Tage bekomme, hab ich meist so einen kleinen Panic-Moment, weil ich mich dann frage: Hab ich Tampons dabei […]?“
Die Reporterin „Klein aber Hannah“ wiederum beschreibt ihre ureigenen Gefühle und Empfindungen im Beitrag „Angst vor Obdachlosen? Hannah in der Obdachlosenhilfe“ so: „Vielleicht könnt ihrs sehen, ich frier schon richtig doll. Es wird langsam Winter. Und leider haben nicht alle von uns ein warmes Zuhause.“
Auch wenn solche Geschichtchen offensichtlich vielen jungen Lesern gefallen, muss die Frage erlaubt sein: Muss diese Form des Journalismus mit jährlich 45 Millionen Euro aus dem Zwangsgebührentopf subventioniert werden? Es wäre höchste Zeit für die ÖRR-Intendanten, diese Form des betreuten Denkens kritisch zu hinterfragen. Dies dürfte wohl nur ein frommer Wunsch bleiben. Denn vielmehr ist davon auszugehen, dass man in den Teppichetagen von ARD und ZDF lieber nach Gründen für die nächste Gebührenerhöhung sucht.
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