Von Daniel Weinmann
Das absurde Theater – zu dessen schillerndsten Vertretern Samuel Beckett zählte – frisst seine Kinder. Wikipedia definiert dieses Genre als „eine Richtung des Theaters des 20. Jahrhunderts, die die Sinnfreiheit der Welt und den darin orientierungslosen Menschen darstellen will“. Besser ließe sich der groteske Mix aus Cancel Culture, Neofeminismus und Identitätsideologie nicht auf den Punkt bringen, der bisweilen irrsinnige Züge annimmt.
Samuel Becketts 1953 in Paris uraufgeführtes „Warten auf Godot“ gilt als Inbegriff des absurden Theaters. Die beiden Landstreicher Wladimir und Estragon warten vergeblich auf einen gewissen Godot. Währenddessen führen sie Gespräche über das Leben. Es gibt nur drei weitere Darsteller: Ein Junge, der den beiden mehrfach mitteilt, Godot werde nicht heute, bestimmt aber morgen kommen und Herr Pozzo mit seinem Diener Lucky.
Preisfrage: Wie könnte man heute, fast 80 Jahre später, das Stück verbieten? Die Antwort zu finden fällt nicht schwer: Alle fünf Figuren sind Y-Chromosomenträger. Zu viel für ein Kulturzentrum in Groningen, „Warten auf Godot“ darf dort nicht wie geplant im März im aufgeführt werden. Die englischsprachige Theatergesellschaft GUTS (Groningen University Theater Society) in der niederländischen Stadt hatte nur Männer zum Casting für die fünf Männerrollen eingeladen. „Es geht nicht an, dass Gruppen von Menschen ausgeschlossen werden“, begründete eine Sprecherin das Verbot.
»Die Vorstellung, dass nur Männer für diese Rolle geeignet sind, ist veraltet und sogar diskriminierend«
Besonders bizarr: Vor seinem Tod im Jahr 1989 verschärfte der irische Nobelpreisträger die Produktionsverträge für seine Stücke, die sich auf die Besetzung auswirken und den Einsatz von Spezialeffekten verbieten. Dazu gehörte auch die Androhung von gerichtlichen Schritten, dass in seinem Stück nur Männer auftreten dürfen. Der 26 Jahre alte Regisseur Oisín Moyne ist fassungslos: „Als ob ich in einem absurden Traum gelandet bin“, sagte er der örtlichen Tageszeitung Dagblad van het Noorden. Er habe überhaupt nichts dagegen, dass auch Frauen Männerrollen spielten.
Moyne müsste sich zudem verschaukelt fühlen. Die Proben liefen nämlich bereits seit November, doch die Hochschule hat dem Jung-Regisseur zufolge erst kürzlich beanstandet, dass seine Inszenierung „gegen ihre Inklusionspolitik“ verstoße. Doch Moyne muss sich zähneknirschend beugen, denn seine Theatergruppe fürchtet einen Prozess durch die Stiftung, die Becketts Rechte verwaltet. „Wir sind nur eine kleine Gesellschaft und das können wir uns nicht leisten.“ Der künstlerische Leiter glaubt nun, selbst „in einem absurden Traum gelandet“ zu sein.
Die Pressesprecherin der Universität Groningen, Elies Kouwenhoven, zeigt derweil vollstes Verständnis für das Aufführungsverbot: „Beckett hat ausdrücklich erklärt, dass dieses Stück von fünf Männern aufgeführt werden sollte. Die Zeiten haben sich geändert. Und die Vorstellung, dass nur Männer für diese Rolle geeignet sind, ist veraltet und sogar diskriminierend.“ Der Dramatiker selbst hätte sich vermutlich diebisch gefreut, wenn er um diese Posse gewusst hätte. Posthum wird seine ursprüngliche Intention nun bestätigt.
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