Anti-Rassismus-Bewegung: Die Solidaritäts-Heuchelei

Es wird sehr viel in den Medien über junge Menschen geschrieben, aber wenig von jungen Menschen geschrieben. Umso mehr habe ich mich über diesen Text gefreut, den mir Franziska Weißgerber geschickt hat, Soziologie-Studentin in Leipzig und 23 Jahre alt. Ich finde den Text besonders wichtig, weil in meinen Augen in den großen Medien fast nur die gegenteilige Sichtweise zu Wort kommt.


Gastbeitrag von Franziska Weißgerber

Es ist überaus erfreulich zu sehen, wie viele Menschen ich auf Instagram abonniert habe, die sich gegen Rassismus positionieren. Das habe ich allerdings auch nicht anders erwartet.

Der unnötige Tod George Floyds zeigt mal wieder auf, dass die USA ein Rassismusproblem haben. Gerade in der Polizei ist das sehr mies, da diese eine besondere Macht hat, wie wir sehen: die Macht über Leben und Tod.

Dass sich nun auch in Deutschland viele solidarisieren, ist richtig und schön. Seit ein paar Tagen sehe ich immer öfter Fotos, die eine schwarze Fläche zeigen, auf manchen steht „Black lives matter“. Am 06.07. gab es eine Demonstration in Leipzig, gegen Rassismus, auf die viele Menschen hingeströmt sind.

Doch muss ich sagen, das aktuelle Geschehen beeindruckt und erschüttert mich in einer traurigen Art.

Rassismus in den USA ist kein neues Problem, die Polizeigewalt auch nicht. Sie leben seit Jahrzehnten mit diesen Konflikten. Jetzt, wo ein Video einer solchen Tat aufgetaucht ist, stehen alle auf und sind wütend. Zeigen klare Kante gegen Rassismus und Polizeigewalt, solidarisieren sich mit einem zu unrecht getöteten Menschen. Doch frage ich mich, wo wart ihr davor? Und vor allem, wo seid ihr danach? Es klingt hart, ist aber Realität: In zwei Wochen haben es die meisten schon wieder vergessen und posten wieder Bilder ihrer Nachmittagsunternehmungen, in unserem privilegierten Deutschland.

Ein schwarzes Bild zu posten, ein Statement zu setzen, bringt wenn überhaupt, nur etwas für den Moment. Ändern wird sich davon eher nichts. Aber natürlich ist es eine schöne Geste an die Betroffenen, das möchte ich nicht leugnen.

Aber wenn ihr wirklich so solidarische Menschen seid, warum unternehmt ihr dann nichts gegen Ungerechtigkeiten? Es gibt zahlreiche Vereine, die Menschen in Not und Misslagen helfen, warum helft ihr dort nicht aus? Anstatt nur schwarze Bilder zu posten, könnt ihr euch auch Gedanken darüber machen, wie man tatsächlich Rassismus bekämpfen kann.

Warum kümmert euch die prekäre Situation der Menschen in vielen afrikanischen Ländern nicht? Der Nachklang der Apartheid in Südafrika ist noch deutlich zu spüren, in den Townships, wo NUR schwarze Menschen leben, haben viele weder Strom noch Wasser, oft kein Geld für Essen, viele sterben aufgrund der fehlenden medizinischen Versorgung.

Wo seid ihr, wenn ihr neue Klamotten im Überfluss kauft? Wo sind eure Bilder auf Instagram von kleinen Kindern, die nicht zur Schule gehen können, in Schwerstarbeit für einen Hungerlohn versuchen, ihre Familien zu ernähren?

Wie oft wechselt ihr eure Smartphones? Ist euch überhaupt bewusst, dass Cobalt, welches für sie gebraucht wird, von Kindern aus dem Kongo, aus Höhlen, in denen sie immer wieder sterben, herausgeholt werden?

Wo ist eure Solidarisierung bezüglich der steigenden Arbeitslosen, durch den Covid-19 Lockdown? Der neuen psychisch Kranken und derer, auf die man „geschissen“ hat? Wo ist die Solidarisierung mit der Vielzahl an Menschen, die sich nun das Leben genommen haben?

Die Kinder aus sozial prekären Verhältnissen, die Schule, Freizeitgestaltung und eine „Überwachung“ durch die Lehrer dringend benötigen?

Wo ist eure Anteilnahme mit den jährlichen Grippe-Toten?

‚Black lives matter“ schreibt ihr so schön. Warum nicht in Afrika, wo durch die Lockdowns nun viele Menschen dem Hungertod ausgesetzt sind? Durch das Einbrechen des Tourismus keinen Cent verdienen können, ganze Familien dahingerafft werden. Auch sind sie auf Exporte aus dem Ausland angewiesen, welche weggefallen sind.

Bevor die Nachrichten voll mit dem neuen Virus waren, standen die Proteste in Hongkong auf der Tagesliste. Tausende Menschen demonstrierten gegen Chinas neues Sicherheitsgesetz, womit Hongkong unter Chinas Machtfittiche fällt. Durch die Ausgangssperren konnten sie dies nicht mehr tun und nun ist es fast soweit. Nicht mehr lange und den Bewohnern Hongkongs (7,5 Mio. Einwohner) droht die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, der Rechtsstaatlichkeit und des internationalem Austauschs. Gegen Regierungskritiker etwa kann dann rechtlich vorgegangen werden.

Sollten wir nicht auch ihnen Beistehen und unsere Aufmerksamkeit geben?

Sollten wir nicht den zahlreichen Ungerechtigkeiten dieser Welt Aufmerksamkeit geben?Sollten wir nicht auch gegen Massentierhaltung auf die Straße gehen, oder ist das Übel des teuren Fleisches zu hoch?

Ich muss es sagen, entschuldigt meine Dreistigkeit, doch mir geht diese Heuchelei auf den Keks. Es nervt und macht mich sehr traurig, dass viele Menschen nur für kurze Momente schein-solidarisch sind.

Wenn ihr unzufrieden seid, wenn ihr Missstände, Ungerechtigkeiten, fehlende Hilfe seht, dann setzt euch ran! Setzt euch genau dafür ein, in dem ihr zum Beispiel in Vereine und Gruppen geht, oder euch politisch in Ortsvereinen engagiert. Überlegt euch, wie man Missstände wegschaffen kann und packt da an!

Ganz klar, es ist wunderbar, dass ihr keine Rassisten seid und wunderbar, dass andere es auch nicht sein sollen.

Aber wenn ihr wirklich etwas ändern wollt, dann engagiert euch und bewegt etwas. Seid keine Heuchler und hört mit diesem Selbstbetrug auf.

Um nicht überheblich daher zu labern, muss ich leider an dieser Stelle sagen, dass ich mich schon in einer Unicef Gruppe engagiert habe, im Flüchtlingsrat aushalf, Townships in Südafrika besuchte und mich aktuell für Straßenkinder einsetzen wollte. Aufgrund Covid-19 ist das aber leider nicht möglich. Was, nur kurz am Rande, absurd ist. Covid-19 ist keine Gefahr für ihre Leben, die Gefahr liegt in der Perspektivlosigkeit, Wohnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit (folgt später). Sie werden eher an Überdosierungen, Hunger oder dem Erfrieren sterben.Um Missstände aufzuzeigen, werde ich vor allem den Weg des Schreibens gehen. Um zu informieren und Denkanstöße zu geben. Und sobald es wieder möglich ist, mich für Menschen, welche sich nicht selbst helfen können, zu engagieren, zu unterstützen, so weit ich es kann.

P.S. Sollte es nicht „All lives matters“ heißen?


Franziska Weißgerber, 23, studiert Soziologie in Leipzig. Sie schickte mir diesen Text von sich zu – und ich entschloss mich spontan, ihn zu veröffentlichen. Ich hoffe, es folgen noch viele weitere. In der Generation der Autorin gehört, so denke ich, besondere Zivilcourage und Mut dazu, gegen den gerade an den Universitäten leider immer stärkeren Strom des Zeitgeists zu schwimmen.


Bilder: Pixabay

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