Seine Anhänger nennen ihn „Berlins Ein-Mann“-Opposition: Marcel Luthe schafft es, im Landesparlament der Hauptstadt ständig die Regierung auf Trab zu halten und in die Schlagzeilen zu kommen. Böse Zungen sagen, dass dies der Grund dafür war, dass Luthe im Sommer aus der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ausgeschlossen wurde. Und ein Nutzer auf twitter schrieb damals in einer Art Hilfe-Ruf an die FDP-Fraktion: „Ihr schließt den einzigen Grund, warum man überhaupt noch die Berliner FDP wählen sollte, aus eurer Fraktion aus?“
Ins Internet stellte die Fraktion ein Video, das gespenstig ist: Fraktionschef Sebastian Czaja ist darauf zu sehen, ganz vorne, und hinter ihm in Reih und Glied die zehn weiteren verbleibenden FDP-Abgeordneten. Czaja erklärt, warum sie Luthe ausgeschlossen haben. Genauer gesagt, er erklärt es eben nicht. Denn außer dem „zerrütteten Vertrauensverhältnis“ nennt er keinen Grund. Die Abgeordneten stehen da wie Bio-Roboter, regungslos, ohne eine Miene zu verziehen. Das erinnert an Szenen, wie man sie aus autoritären Systemen kennt. Aber nicht an eine lebendige Demokratie und noch weniger an eine liberale Partei.
Seit dem Ausschluss ergab sich eine absurde Situation: Luthe war zwar noch FDP-Abgeordneter, da er der Partei noch angehörte. Insofern wurde seine aktive Oppositionsarbeit von vielen weiter seiner Partei zugerechnet. Jetzt zieht Luthe einen Schlussstrich. Am Samstag erklärte er seinen Austritt aus der Partei. Mit einer Abrechnung, die es in sich hat (und die Sie in voller Länge unten finden).
„Mir ist dieser Schritt sehr schwer gefallen, aber als Liberaler sehe ich in einer Partei, die sich zunehmend als zu verkaufende Marke und nicht als Wertegemeinschaft sieht, keine politische Heimat mehr“, schreibt Luthe: „Als ich vor über zwei Jahrzehnten Mitglied der Partei wurde, hatten wir Grundsätze, konkret die Wiesbadener Grundsätze. Nun hat diese Partei – wie ein Zahnpastahersteller – ein ,Leitbild´. Statt Haltung eine Ansammlung von leeren Worthülsen, die sich in ihrer Beliebigkeit so adaptieren lassen, dass damit jede Sachentscheidung begründet werden kann. Liberalismus ist jedoch das Gegenteil von Beliebigkeit: das klare, entschlossene Bekenntnis zur Freiheit als dem zentralen Ausdruck der Menschenwürde.“
Luthe wirft der FDP vor, darauf zu schielen, ob eine Position gerade populär ist, statt im Zweifel auch gegen eine übergroße Mehrheit, gegen Anfeindungen und Angriffe, ihre Überzeugungen zu verteidigen, Haltung zu zeigen und gegen den Strom zu schwimmen: „Statt konsequent für die Durchsetzung des Tegel-Volksentscheids zu kämpfen, will man den Berlinern den nächsten Volksentscheid auftischen, der letztlich das Gegenteil von dem ist, wofür wir mit Tegel gekämpft haben.“
Massiv kritisiert der Abgeordnete auch die Position der FDP in der Corona-Krise: „Statt rational und faktenbasiert die Verhältnismäßigkeit all der erratischen Eingriffe der Exekutive in die Grundrechte der Bürger deutlich und wirksam zu hinterfragen, in den Parlamenten die Tatsachengrundlagen der Verordnungen zu prüfen und transparent zu debattieren und gegen die Eingriffe, die sodann als rechtswidrig angesehen werden, die Verfassungsgerichte anzurufen, befassen sich die Fraktionen in Land und Bund mit ,Umsetzung des Regenwassermanagements beschleunigen´, ,Bürohunden in den Senatsverwaltungen´ und ´Der ersten klimaneutralen Fraktion´.“
Luthe weiter: „Wer wenn nicht eine liberale Partei sollte erkennen – und aussprechen! -, dass hier nicht rational gehandelt wird, sondern derselbe autoritäre Geist, den man spätestens 1989 überwunden glaubte, noch immer durch unser Land weht, sich allerdings inzwischen eines antiautoritären Gestus bedient?
Was geht es den Staat an, wie ich selbst leben und sterben will? Mit welchem Recht hindert jemand einen Sterbenden daran, seine Freunde und Familie zu sehen? Mit welchem Recht will man durch Listen kontrollieren, welche Journalisten wann mit welchen Abgeordneten gesprochen haben?
Entgegen einer jüngst immer öfter wiederholten Dummheit steht mitnichten „Gesundheit“ über allem. Gesund und wohlgenährt ist auch ein Leibeigener. Ihm fehlt es aber an dem Wert, der tatsächlich über allem steht: der Würde des Menschen.“
Am 9. Oktober hatte sich die FDP „geschlossen“ von dem thüringischen Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich distanziert und ihm jede Unterstützung versagt (siehe hier). Auslöser war eine Rechfertigung Kemmerichs der zeitweiligen Annahme der Wahl zum Ministerpräsidenten im Februar auf twitter. Er schrieb dort, er empfinde die Annahme der Wahl nicht als Fehler. „Nicht die Annahme der Wahl war der Fehler (…), sondern der Umgang der anderen demokratischen Parteien mit der Situation“.
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Text: gast