Biedermann und der Brandstifter

 Straßenkampf in Berlin, am helllichten Tag: Ein Mann mit Rad brüllt eine ältere Passantin wie wild an in der Wilmersdorfer Straße, droht sie zu attackieren. Alle laufen vorbei, als würden sie nichts sehen. Als ich nachfrage, was los ist, zeigt sie auf den Bolzenschneider, den der Mann im Fahrradkorb liegen hat: „Der hat gerade das Schloss aufgeschnitten, klaut das Fahrrad, und ich habe gesagt, das geht doch nicht.“ Der Mann schreit wild, radebrechend: „Mein Rad!“ Ein neuwertiges Damenfahrrad,

 

dessen Sitz fast auf Höhe seiner Brust ist. „Nazi“, schreit er die Frau auf einmal an. Erst jetzt bleiben Passanten stehen, mischen sich ein. Sie verteidigen den Mann, attackieren die Frau: „Vielleicht ist es ja sein Fahrrad! Lassen Sie ihn in Ruhe“. Er schreit immer weiter zu der Frau: „Nazi Du!“ Andere Fußgänger kommen dazu, schimpfen auf die Frau, die der Mann bedroht: „Stalken Sie ihn nicht! Er sagt doch, es ist sein Fahrrad.“ Er schiebt das Rad, das ganz offensichtlich viel zu groß ist für ihn, mitsamt dem Bolzenschneider davon, immer noch laut auf die Frau schimpfend. Die lässt ihren Kopf hängen: „Sind hier alle verrückt geworden?“

 

Die immer freundlichen Obsthändler um die Ecke sind konsterniert. „Wir hätten uns ja gerne eingemischt, aber der Kontaktbeamte der Polizei hat uns gesagt – nie einmischen, wenn irgendwas abgeht hier.“ Sie schütteln den Kopf: Zivilcourage sei leider polizeilich verboten in Deutschland. „Schon merkwürdig bei Euch hier“, sagen sie.

 

Erst kürzlich wurden Bekannten Zeugen, wie in ihrem Hof Unbekannte Fahrradschlösser aufschnitten. Sie riefen die Polizei. Die sagte zuerst, sie habe wichtigeres zu tun. Als sie dann doch kam, unternahm sie nichts – weil die Täter das Polizeifahrzeug gesehen haben und schnell von den Rädern abließen. Die Polizisten ließen die Männer laufen, ohne auch nur die Personalien aufzunehmen.

 

Ein anderer Bekannter hielt in der U-Bahn jemanden auf, der einen Mitfahrenden beraubt hatte; danach wurde gegen den Bekannten ermittelt – weil er den Mann aufgehalten hatte.

 

Der Freund einer Bekannten (sie sind beide Ukrainer) wehrte sich gegen zwei Männer, die dieser in seinem Beisein massiv zwischen die Beine fassten. Weil die Notwehr robust ausfiel und einer der beiden Angreifer dabei einen blauen Fleck bekam, wurde gegen den Freund ermittelt. Nicht gegen die Angreifer. O-Ton der Polizisten: „Bei ihrer Freundin wurden ja keine nachweisbaren Spuren hinterlassen, aber Sie haben Spuren hinterlassen.“

 

Ein Bekannter, der für die Justiz arbeitete, erzählte, wie eine Bande von Wohnungseinbrechern im Gericht auf freien Fuss gesetzt wurde – zu ihrem eigenen Erstaunen, weil sie mit jahrelangen Haftstrafen rechnete. Die Richter hatten „gedealt“ mit der Verteidigung und feierten, wie viele Prozesstage sie eingespart hätten und wie effektiv sie Recht sprechen. 

 

Polizisten berichten völlig frustriert, dass auch Mehrfachtäter regelmäßig sofort wieder auf freien Fuß gesetzt werden und sie in vielen Fällen gar keinen Sinn mehr darin sehen, bestimmte Straftaten wie etwa bandenmäßigen Diebstahl zu verfolgen….

 

 

„Wir sind am Ende. Wir können nicht mehr. Die Strafkammern des Berliner Landgerichts sind fast komplett überlastet. Ein Hilferuf der Präsidentin stößt beim Senator bislang auf Desinteresse.“ – so titelte heute der Tagesspiegel. Zitat: „Wir können nicht mehr damit rechnen, dass unsere Anklagen verhandelt werden und müssen befürchten, dass es zu Entlassungen aus der Untersuchungshaft kommt“, sagt ein Staatsanwalt. „Wir versuchen schon, den Anklagevorwurf möglichst runterzukochen, um beim Amtsgericht vor dem erweiterten Schöffengericht anklagen zu können.“ Eine tat- und schuldangemessene Ahndung von Straftaten sei beim Landgericht nicht mehr zu erwarten.

 

Oder: „Ein funktionierendes Rechtssystem ist nicht mehr vorhanden.“ Oberstaatsanwalt Ralph Knispel laut Berliner Zeitung gestern. Zitat: „Er führte seine Einschätzung sehr präzise aus, mit Beispielen, Zahlen, Entwicklungen. Und wer das Pech hat oder hatte, mit der Justiz in irgendeiner Weise zu tun zu haben, dem wird das alles nicht fremd sein.“

 

Ich könnte die Beispielliste fortsetzen….

 

 

 

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