Erinnern Sie sich, wie der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen mit einem einzigen Satz die Republik zum Vibrieren brachte? Genauer gesagt nicht die Republik, aber die Erregungsblase in den sozialen (und nicht nur diesen) Medien, die aus unserer Bundesrepublik längst eine Empörungsrepublik gemacht haben? Der Auslöser des Sturms im Wasserglas war folgender Tweet des CDU-Mitglieds Maaßen:
Mit dem Ausdruck „Westfernsehen“ verharmlose der Ex-Spitzenbeamte die DDR – empörten sich vorzugsweise ausgerechnet diejenigen, die sonst so gerne selbst die DDR verharmlosen (weil „links“ und „Diktatur“ für viele linke Gesinnungskrieger, vor allem in den Medien, einfach nicht zusammenpasst). Dabei hat Maaßen streng genommen nicht einmal einen Vergleich gemacht, aber sich in den Augen des medialen Wächterrates des linksgrünen Zeitgeistes eines „Vergleichsdeliktes“ schuldig gemacht. Denn so unsinnig es ist, die heutige Bundesrepublik mit einer Diktatur gleichzusetzen, in denen Menschen für falsche Meinungen ins Gefängnis kamen und ihre Angehörigen gleich mit bestraft wurden, und die auf „Flüchtende“ schießen ließ – so kurzsichtig wäre es, gewisse Ansätze für den Geist der DDR in der heutigen Bundesrepublik nicht zu sehen.
Und deshalb muss ich heute hier ein Geständnis ablegen: Als ich gerade den Artikel „Die Schande von Connewitz“ in der altehrwürdigen Basler Zeitung (BAZ) las, musste ich sofort an Maaßens Ausspruch vom Westfernsehen denken (wobei ich hinzufügen muss, dass ich der BAZ gegenüber aus persönlichen Gründen nicht unvoreingenommen bin – mehr dazu in der Fußnote).
Was die Schweizer Kollegen da über die Krawalle in Leipzig an Silvester veröffentlichen, ist – wie viele Berichte in der Eidgenössischen Presse – derart diametral entgegengesetzt zu dem Tenor in den öffentlich-rechtlichen und vielen überregionalen Medien in Deutschland, dass man sich wie in eine andere Welt versetzt fühlt, in eine Art Parallel-Universum.
Im konkreten Beitrag analysiert der Autor genau das gleiche Video über die Ausschreitungen, das die Zeit, das linksgrüne Zentralorgan, zu dem Schluss kommen ließ, die Polizei habe sich falsch verhalten. Ganz anders die Eindrücke der BAZ: „In Connewitz tobt eine Strassenschlacht. Der Zuschauer befindet sich an einer Strassenkreuzung. Von allen Seiten werden Feuerwerksraketen von vermummten Personen ganz in Schwarz abgeschossen. Überall stehen Menschen, die laut rufen und Polizisten als «Schweine» betiteln. Eine Gruppe von Extremisten zündet Raketen, während sie sich systematisch zurückzieht. «Feuer und Bewegung» nennt man das im Militär. Dann schwenkt die Kamera. Man sieht zwei Polizisten, die einen Kollegen auf die Strasse ziehen, der anscheinend nicht mehr gehen kann.
Doch sie kommen nicht weit. Aus der Masse löst sich ein Mann, der auf die Polizisten eintritt. Im Vordergrund wird ein Beamter zu Boden geworfen. Hinter ihm einer der Polizisten, die dem Kollegen helfen wollten, ebenfalls. Gleichzeitig geht ein Schauer an Feuerwerk auf den Beamten am Boden nieder. Gezielt wird Feuerwerk auf den Kopf des Mannes abgeschossen. Irgendwann bewegt er sich nicht mehr. Zwei Polizisten packen ihn unter den Armen und ziehen ihn geschwind aus der Gefahrenzone. Währenddessen geht ein weiterer Beamter zu Boden und krümmt sich. Dann endet das Video.“
Weiter schreibt die BAZ: „Bei der ,Zeit´ braucht es drei Journalisten, die dieses einminütige Video analysieren. Ihr Fazit: Die Polizei lügt!“ Die Basler Zeitung sieht das nicht so. Mehr noch, der Schweizer Autor wundert sich sehr über die Reaktion der Hamburger Kollegen – denn in seinen Augen löst das Video ganz andere Gedanken aus als die an Fehler der Polizei: „Das Erste, was dem Zuschauer jedoch auffällt und auch bleibt, ist, wie masslos und komplett unverhältnismässig die Gewalt dieser Linksextremisten gegen die Beamten ist. Als wären sie von Sinnen, prügeln sie auf Polizisten ein. Schiessen Raketen auf einen zusammengebrochenen Mann, der verletzt auf der Strasse liegt, und greifen diejenigen an, die dem Mann zu Hilfe eilen. Das ist es, was empören sollte.“
Weiter heißt es in dem Schweizer Beitrag: „Dass die Polizei aufgrund des heillosen Durcheinanders an dieser Strassenkreuzung unpräzise, falsche Meldungen macht und vielleicht vorschnell kommuniziert hat, ist unüberlegt und problematisch. Die Polizei zum Täter zu machen, nicht minder. Doch genau das wird momentan in Deutschland getan. Wie am Laufband publizieren Autoren Relativierungen des Geschehens. Bei der ,Zeit´ sind es gleich zwei. Eine Autorin nennt das Zusammenstossen der Polizei mit den Linksextremen eine ,unfiligrane Begegnung´. Blanker Hohn.“
Eine weitere Beobachtung, die in dem Schweizer Blatt zu lesen ist: „Freilich wird links von der politischen Mitte und in einigen führenden deutschen Medientiteln konsequent das Wort linksextrem vermieden.“ Und: „Zudem wird von einigen linken Politikern das Argument ins Feld geführt, die Polizei habe mit ihrer grossen Präsenz eben auch provoziert. Wer das Erscheinungsbild eines oder mehrerer Polizisten als «Provokation» definiert, gewährt tiefe Einblicke ins eigene politische Weltbild. Nur Menschen, die den demokratischen Rechtsstaat und seine Verfassung verachten, erkennen in der Gestalt eines Polizisten eine Provokation, die es anzugreifen gilt.“
Das bittere Fazit der Schweizer Zeitung: „Was den Polizisten widerfahren ist, ist eine Schande. Wie einige deutsche Medienhäuser über diese Ausschreitungen berichteten, ist eine Schande. Die Schande von Connewitz.“ Und jetzt bitte Hand aufs Herz: Ist es so abwegig, wenn man bei solchen Berichten spontan an „Westfernsehen“ denkt“? Nein, das ist keine Relativierung der DDR-Diktatur. Es ist etwas, was einem spontan in den Kopf kommt, wenn man sieht, wie völlig anders der Blickwinkel und die Betrachtung in Zeitungen in unserem Nachbarland ist, wie der Kompass dort völlig anders justiert ist – nämlich nicht stramm links. Statt über diejenigen herzufallen, die das böse, ketzerische Wort „Westfernsehen“ in den Mund nehmen, sollten sich die Kollegen einmal selbstkritisch fragen, wie es zu diesem Vorwurf kommt. Eine Analyse des hier zitierten BAZ-Artikel müsste diejenigen, die nicht Ideologie vor Logik setzen, eigentlich ins Grübeln bringen.
Und hier noch die versprochene Fußnote, warum ich der BAZ gegenüber nicht unvoreingenommen bin: Vor den Olympischen Spielen im russischen Sotschi 2014 hat mir der Ex-Schachweltmeister und Kremlkritiker Garry Kasparow ein Interview gegeben – sein einziges auf deutsch vor den Spielen. Keine einziges der großen deutschen Medien wollte es veröffentlichen. Aus einer großen Redaktion kam ganz offen die Auskunft: „Zu kritisch“. Mein Hinweis, man könne doch einen Putin-Verteidiger zur Gegenrede zu Wort kommen lassen, fand keinen Zuspruch. Ich dachte schon: „Vielleicht war Dein Interview schlecht“. Und mein spontaner Gedanke war, es einer ausländischen Zeitung anzubieten. Die erste, die mir in den Sinn kam, war die Basler Zeitung. Die reagierte sofort: Klasse Interview, möchten wir haben, wenn möglich exklusiv.
David gegen Goliath
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