Böse Zungen sagen, der freie Meinungsaustausch sei in Deutschland in Gefahr. Andere halten entgegen, alles sei bestens, jeder könne doch seine Meinung sagen, schließlich komme niemand dafür ins Gefängnis. Alles hängt also von der Definition ab. Und davon, womit man die Situation vergleicht. Nimmt man die frühe DDR als Maßstab, so leben wir in einem Meinungsfreiheits-Paradies. Das wird kaum jemand bestreiten. Im Vergleich zur späten DDR sind die Vergleiche nicht mehr ganz so unstrittig. Aber immer noch eindeutig. Doch DDR-Vergleiche bringen nicht weiter. Ja sie führen in die Irre. Sinnvoll ist es dagegen, die Situation mit der Bundesrepublik vor 20 Jahren zu vergleichen. Und da gibt es wenig zu deuten. Selbst Merkels Afrika-Beauftragter Günther Nooke (CDU) beklagt eine „Verfolgung Andersdenkender“ im heutigen Deutschland (siehe hier).
Die gute Nachricht: Die AfD kann eine Konferenz zur Meinungsfreiheit in Bundestag abhalten und auch streamen (anzusehen hier). Sie findet gerade in diesen Stunden in den Räumen des Hohen Hauses statt. Die schlechte Nachricht: Manches, was man auf dieser Konferenz erlebt, erinnert an unschöne Zeiten. Ordner des Bundestags verfolgen einen teilweise auf Schritt und Tritt, um zu überprüfen, dass die Maske nicht nur angelegt ist, sondern auch korrekt sitzt. So musste ich mir – als Berichterstatter vor Ort – vorhalten lassen, die Nase sei nicht so weit bedeckt, wie erforderlich. Es folgte eine lange Diskussion. Am Ende konnte ich dem strengen Masken-Wärter den technischen Beweis erbringen, dass bei mir alles korrekt anliegt. Ich fühlte mich erinnert an Jugenderlebnisse mit DDR-Grenzern.
Selbst Menschen mit einem Maskenbefreiungs-Attest kommen bei der Konferenz nicht um die Mund- und Nasenbedeckung herum: Sie müssen ein „Visier“ tragen. Immer wieder kommen in den Pausen Ordner in den Sitzungsraum, intervenieren in Gesprächsgruppen und kontrollieren das Verwenden bzw. den korrekten Sitz der Maske. Ganz egal, wie man zu den Schutzbestimmungen steht: Die Atmosphäre hat durch die ständige Überwachung etwas von einem autoritären Staat. Eine ungestörte Unterhaltung gerade zu heiklen Themen ist nur noch teilweise möglich – man will schließlich nicht, dass bei jedem Gespräch jederzeit Ordner mithören können.
Von außen filmt von der Brücke über die Spree ein Kamerateam der ARD-Sendung Panorama. „Um mögliche Masken-Verstöße zu dokumentieren“, so wird gemunkelt unter den Konferenz-Teilnehmern. Später kommt das ARD-Team auch ins Foyer direkt vor den Konferenzraum. Die ARD-Leute filmen einem direkt ins Gesicht, auch wenn man das nicht möchte. Ich bin so ein Verhalten nur vom russischen Propaganda-Fernsehen gewöhnt – wenn es der Opposition bei ihren Konferenzen auf die Pelle rückt. Unvermeidlich empfinde ich die Jagdszenen im Bundestag als Déjà-vu. Wobei eine Gleichsetzung sich verbietet. Nicht nur, weil man in Russland das Stalking nicht selbst bezahlen muss. Zumindest nicht direkt über Fernsehgebühren.
Die AfD-Abgeordnete Nicole Höchst klagt im Plenum über absurde Auswüchse der Maskenpflicht. So sei sie von FDP-Vize-Bundestagspräsident Wolfgang Kubicki ermahnt worden, eine Mund- und Nasenbedeckung zu tragen, obwohl sie einen Apfel aß. Als sie Kubicki fragte, wie der Apfel-Verzehr mit Maske funktionieren solle, habe der keine Antwort parat gehabt, klagt Höchst. Sie berichtet von schwarzem Humor in Zuschriften zu den Corona-Maßnahmen. Da kämen Fragen, ob bald „Corona-Schutz-Staffeln“ oder eine „Corona-Sicherheit“ eingeführt würde. Unmut war hinter den Kulissen auch darüber zu hören, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als einziger von der Maskenpflicht befreit sei – durch sich selbst.
Alexander Wendt von „Tichys Einblick“, einer der Redner der Konferenz, mahnte, dass die Verengung des Meinungskorridors im Wesentlichen aus den Redaktionen selbst komme und nicht auf Druck von außen zurückzuführen sei. Es sei deshalb nicht richtig, von unfreien Medien zu sprechen, so Wendt: „Es ist eine Selbstverengung.“ Der Schriftsteller Thor Kunkel sagte: „Deutschland hat kein Politikproblem, Deutschland hat ein Medienproblem.“ Er sprach auf der Konferenz von einer „geistigen Syphilis“ und bezeichnete die großen Medien als „Wählertäuschungsanstalten“. Kunkel sieht ein „Denken mit Denk-Prothesen“ und warf den großen Medien vor, die Realität gezielt zu verzerren. Als Beispiel brachte er, dass etwa bei dem Feuer im griechischen Lager Moria durchgehend von „Brand“ die Rede gewesen sei und nicht von „Brandstiftung“. Die frühere WDR-Journalistin Claudia Zimmermann bezeichnete die öffentlich-rechtlichen Sender als „korrumpiertes System“. Der Bundestagsabgeordnete Martin Renner sprach in seiner Eröffnungsrede von „Kulturmarxismus“, der um sich greife.
Die gesamte Veranstaltung – leider ohne die besonders interessanten Szenen im Foyer und in den Pausen – können Sie hier ansehen und anhören.
Bilder: Boris Reitschuster
Text: br