Diesen Artikel über Gerhard Schröders Putin-Verbindung habe ich 2017 geschrieben. Er ist heute aktueller denn je.
Ob Konrad Adenauer, Helmut Schmidt oder Kaiser Wilhelm II.: Kein deutscher Politiker hat es geschafft, mit einem Fremdwort in die russische Sprache einzugehen – außer Gerhard Schröder. „Schrederisazia“* ist in politisch interessierten Kreisen zwischen Wladiwostok und Kaliningrad inzwischen ein Begriff für Bestechlichkeit und Korruption westlicher Eliten.
Dieser Tage bekommt die Wortschöpfung wieder Auftrieb: Der russische Wirtschaftsnachrichtendienst RBK meldet unter Berufung auf zuverlässige Quellen, dass der Altkanzler, der bereits in den Diensten von Gazprom steht, ein neues Jobangebot aus Moskau bekommen habe: Als „unabhängiger Direktor“ beim staatlichen Öl-Riesen Rosneft. Der Öl-Gigant wird geleitet von Igor Setschin. Insider nennen ihn „Putins siamesischen Zwilling“.
Rosneft ist berüchtigt, weil es sich auf höchst zweifelhaftem Weg die Filetstücke des Konkurrenten Jukos einverleibte. Der wurde vom Kreml zerschlagen, und Jukos-Chef Michail Chodorkowski, ein Intim-Feind Putins, in zwei Schauprozessen zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt.
Schon 2014 gab es Gerüchte über einen Spitzenjob für Schröder bei dem Öl-Riesen. Damals dementierte der Sozialdemokrat.
Doch diesmal verdichten sich die Anzeichen. „Schröder hat seine Nützlichkeit bewiesen“, schreibt RBK: Eine kaum verhohlene Anspielung darauf, dass die Netzwerke des Altbundeskanzlers in Deutschland massiv Stimmung für Putin machen – und gegen die USA.
Besonders aktiv war dabei bis vor kurzem Frank-Walter Steinmeier; in den letzten Monaten und Wochen taten sich Sigmar Gabriel und Brigitte Zypries hervor – mit massiver Kritik an den neuen US-Sanktionen gegen Russland.
Die Rolle, die der Altkanzler für seinen Duzfreund Putin in der Bundesrepublik spielt, ist kaum zu überschätzen.
Schröder habe Deutschland „schweren Schaden zugefügt“, schrieb das Magazin „Cicero“ 2014: „Als Kanzler legte er politisch den Grundstein für die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas. Als Privat- und Geschäftsmann für Gazprom und die Pipeline Nordstream setzte er sie dann zum eigenen Nutzen um.“
Die Liste von Schröders dubiosen Russland-Verquickungen und merkwürdigen Entscheidungen in seiner Amtszeit ist lang:
- Im Oktober 2016 wurde bekannt, dass Schröder Chef von Nord Stream II werden soll, der Betreibergesellschaft für die geplante Ostseepipeline II zwischen Deutschland und Russland.
- In seiner Zeit als Kanzler hatte Schröder die Ostseepipeline I maßgeblich gefördert. Gleichzeitig gab es schon vor der Bundestagswahl 2005 Gerüchte in Moskau, Schröder werde bei einer Wahlniederlage zu Gazprom wechseln. Zehn Tage vor der Wahl wurde im Beisein Putins und Schröders hastig der Bau des Projektes besiegelt. Nur wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt wurde bekannt, dass er eine Schlüsselposition bei der Ostsee-Pipeline-Betreibergesellschaft übernehmen wird, die mehrheitlich Gazprom gehört. Der Bau einer Unterwasser-Pipeline ist viermal teurer als eine Landpipeline; die Zeche bezahlen Deutschlands Gaskunden.
- Am 28. März 2006 berichtete die russische Oppositionszeitung »Kommersant«, Gerhard Schröder wolle ein Lobby-Zentrum für russische Interessen im Westen gründen. Eine der Hauptaufgaben des neuen Lobby-Zentrums solle sein, „ein positives Image Russlands in den deutschen Medien zu schaffen und gemeinsame deutsch-russische Projekte zu fördern, darunter auch die Ostsee-Pipeline“, so das Blatt. Schröder dementiert: Es gebe lediglich Pläne für eine „Denkfabrik“.
- Am 1. April 2006 wurde bekannt, dass durch die Zustimmung von Schröders Regierung in den letzten Tagen ihrer Amtszeit Gazprom eine Milliarden-Bürgschaft bewilligt wurde. Der Altkanzler betont, er sei an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen und habe auch keine Kenntnis davon gehabt.
- 2001 erließ Schröder seinem Duzfreund Putin 7,1 Milliarden Euro Schulden. Er sprach von einer „Paketlösung“. Russland befand sich zu dieser Zeit vor einem kolossalen Wirtschaftsaufschwung, der Abermilliarden in Putins Kassen spülte.
- 2002 bildeten Putin und Schröder gemeinsam mit Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac gegen die USA im Irakkrieg die „Achse Paris-Berlin-Moskau.“
- Putin „unterstützte“ laut russischen Medien die Adoption zweier Waisen durch die Schröders. Die sonst in Russland äußert schwierigen und langwierigen Adoptions-Verfahren gingen außergewöhnlich schnell und unbürokratisch über die Bühne. „Buchstäblich über Nacht“, wie ein Insider berichtet.
- 2005 empfing Schröder im Bundeskanzleramt einen mit Putin verbandelten Oligarchen, dem enge Verbindungen zum organisierten Verbrechen nachgesagt werden. Schröder ignorierte damit eine Warnung des BND. Demnach gab es „Hinweise auf Verbindungen mit der Organisierten Kriminalität, die über das für Spitzenvertreter der russischen Wirtschaft ,normale Maß zweifelhafter Geschäftsmethoden‘ hinausgehen.“
- Nach Berichten von Insidern wurde in der Regierungszeit von Schröder die Abteilung Gegenspionage beim BND aufgelöst, die sich mit der Abwehr russischer Spionage befasste. Auch im Bundeskriminalamt wurde die für organisiertes Verbrechen in der früheren Sowjetunion zuständige Abteilung de facto aufgelöst.
- Presseberichten zufolge wurde bei Ermittlungen deutscher Behörden gegen die St. Petersburger Firma „SPAG“, in deren Beirat auch Putin saß, „von höchster Stelle“ interveniert. SPAG soll der russischen Mafia als Geldwaschanlage gedient haben.
- Auch als Anwalt profitierte der Altkanzler von seinen Kreml-Kontakten. Einem Lebensmittelunternehmer aus München, der mit seiner Geschäftsidee in Russland investieren wollte, habe er angeboten, bei Putin direkt dafür zu werben – gegen ein fünfstelliges Salär, so „Focus“. Als Berater versilberte Schröder seinen guten Draht in den Kreml: Dem Schweizer Verlagshaus Ringier waren seine Osteuropa-Beziehungen einen Beratervertrag und unbestätigte 150 000 Euro Honorar wert.
- Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise feierte Schröder mit Putin seinen 70. Geburtstag in Sankt Petersburg nach, mit Bier, Sekt und Lachshäppchen. Schon zur Begrüßung herzten und knufften sich die beiden. Zur gleichen Zeit hielten Putins Männer in der Ostukraine OSZE-Mitarbeiter als Geisel, darunter vier Deutsche.
- Ebenfalls auf dem Höhepunkt der Krim-Krise war Schröder laut Medienberichten zur Lobbyarbeit in der russischen Botschaft in Berlin. Den Berichten zufolge sollte er vermitteln, weil der deutsche Chemieriese BASF um einen milliardenschweren Russland-Deal zitterte. Schröder schwieg zu den Vorwürfen.
- Putin benutze Schröder „wie eine teure Trophäe“, sagt der frühere georgische Präsident Michail Saakaschwili. Auf einem G.U.S.-Gipfel habe Putin seine Gäste in den Weinkeller seiner Residenz geführt: „Und da stand dann, wie durch Zufall, Schröder. Putin rief ihn herbei, sagte ihm, er solle einen Trinkspruch machen, und dann ließ er ihn laufen.“ Weiter erzählt Saakaschwili: „Ich war sehr überrascht, als Putin nach einem Jahr wieder genau das Gleiche machte.“
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Schröders neue Jobs enthalten alles, was Sozialdemokraten erschaudern lässt: einen Spitzenjob in Russlands staatsmonopolistischem Kapitalismus, eine Zusammenarbeit mit einem früheren Stasi-Offizier, einen Firmensitz in einer Steueroase in der Schweiz und die Aussicht auf fürstliche Bezüge.
Umso erstaunlicher ist, dass die „Causa Schröder“ in der deutschen Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt. Auch das neue Jobangebot für den Ex-Kanzler aus Moskau findet kaum Widerhall in den Medien hierzulande.
Woher kommt dieses Wegsehen? Warum wurde Ex-Präsident Christian Wulff wegen Beträgen, die nicht einmal einen Bruchteil von denen im Falle Schröder ausmachten, und obwohl er der Bundesrepublik keinen Schaden zufügte, jahrelang von den Medien regelrecht an den Pranger gestellt und von der Justiz verfolgt – während beide kaum Interesse an Schröders Russland-Connection zeigen: Obwohl der Altkanzler Steuerzahler-Milliarden herschenkte, Deutschland abhängig von Russlands Gas machte, Kumpanei mit einem Diktator und Kriegsherren zelebriert, dafür massiv privat verdient und von einem Skandal in den nächsten stolpert.
Rational ist dieses Wegsehen kaum zu erklären.
Eher psychologisch. Und parteitaktisch. Die CDU vermeidet nach Aussagen eines Insiders, das Thema im Wahlkampf aufzubringen – aus Angst, die Sozialdemokraten würden sie dann als „Hetzer gegen Moskau“ und „Kriegstreiber“ darstellen – nach dem Motto: „Wer SPD wählt, wählt Ausgleich mit Putin und damit den Frieden“.
Aber Verfilzung und Bauchpinseln für Diktatoren sind kein Friedensdienst.
„Es gibt keine Familie ohne schwarzes Schaf“, lautet eine alte russische Redensart, frei übersetzt.
Viel beunruhigender als das Verhalten Schröders selbst ist daher der Umgang damit in der SPD, ja in Deutschland allgemein.
In einem Land, in dem selbst missglückte Komplimente von Parteivorsitzenden wochenlang skandalisiert werden, und eine dumme Bemerkung das Ende einer politischen Karriere bedeuten kann, ist das Wegsehen in der Causa Schröder ein Versagen von Politik und Medien.
Besonders pikant ist, dass gerade viele von denjenigen, die bei Schröder vehement wegsehen, besonders lautstark in ihrer Kritik an Amerika sind.
Dabei gibt es in den USA wegen des Verdachts, dass Trump bzw. sein Team mit Putin zusammengearbeitet haben, eine breite öffentliche Debatte. Die demokratischen Kontroll-Mechanismen laufen dort auf Hochtouren, ebenso die Ermittlungen.
So berechtigt Kritik an Trump wie an jedem Politiker ist, und so sorgenvoll wir im Moment beim Blick über den großen Teich sein müssen – beim Umgang mit Politikern auf Abwegen und bei der Wehrhaftigkeit gegen Diktatoren könnten wir uns von Washington einiges abschauen.
Und wir sollten uns öfter mal an die eigene Nase fassen, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Putin erklärt – in meinem Buch „Putins Demokratur – Was sie für den Westen so gefährlich macht.“ Aktualisierte Auflage 2018 (Erstauflage 2006).
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Text: br