Die große Gleichtaktung

Ein befreundeter Politologe rief mich an und fragte mich: „Was ist nur los in Deutschland, warum ist von der Opposition in der Krise nichts zu hören, warum erfüllt sie ihre Rolle nicht, die Regierung zu kritisieren?“ Weil offenbar insbesondere die Grünen, aber auch Linke und FDP heute ihre Rolle weniger darin sehen, was Demokratie und Grundgesetz ihnen vorschreiben – die Regierung zu kritisieren und kontrollieren, sondern sie zu unterstützten. Und weil die Partei, die sie kritisiert, in den Medien regelrecht todgeschwiegen wird – die AfD. Wann ist zum letzten Mal die AfD in Tagesschau oder heute zu Wort gekommen oder zumindest zitiert worden? Wie man auch immer zu der Partei stehen mag – sie ist Oppositionsführerin im Bundestag. Und hat als solche ein Recht darauf, in der Krise nicht einen Maulkorb auferlegt zu bekommen.

Natürlich ist in Krisenzeiten Verantwortungsbewusstsein gefordert. Politiker und Medien sollten alles unterlassen, was Panik schürt. Aber auch und gerade in Krisenzeiten gilt: Nur Kritik an den Regierenden kann diese auf Fehler aufmerksam machen. Das ist der große Vorteil freier, demokratischer Gesellschaften gegenüber autoritären: Die Zwangs-Rückkoppelung der Mächtigen mit der Realität durch Presse und Opposition. Diese lebenswichtige Rückkoppelung ist der Grundpfeiler der Demokratie. Im Merkel-Deutschland ist er fast ausgeschaltet. Wir erleben im Moment die Vollendung eines Prozesses, der seit Jahren im Laufen ist: Die große Gleichtaktung.

Kaiser Wilhelm sagte zu Beginn des ersten Weltkrieges, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Wenn ein Staatsoberhaupt dies sagt, ist es eine Sache. Wenn ein Oppositionspolitiker wie Konstantin v. Nötz, Bundestagsabgeordneter der Grünen, der sein Geld dafür bekommt, die Regierung zu kontrollieren, dies sinngemäß tut, ist es eine andere Sache.

Wenn Ex-Ministerin Renate Künast einen – zugegeben in der Form polemischen, aber das ist das Recht der Opposition – Hinweis der AfD darauf, dass in Südkorea das Krisenmanagement weitaus erfolgreicher ist, auf twitter als widerlich an den Pranger stellt, und dafür fast 10.000 Likes bekommt, zeigt dies, wie stark demokratische Mechanismen in Deutschland ausgeschaltet, ja verpöhnt sind. Der Blick auf Südkorea, wo ein demokratisches Land das Virus erfolgreich in Griff bekam, könnte lebensrettend sein.

Eine Selbstkastration (FDP, Grüne und LINKE) sowie Mundtotmachen (AFD) der Opposition ist zutiefst gefährlich. Mir macht die aktuelle Entwicklung nicht nur wegen Corona Angst. Ich sehe eine massive Bestrebung, die Einschränkung demokratischer Grundregeln im Windschatten des Virus durchzusetzen – genauso wie das mit der Gebührenerhöhung für das öffentlich-rechtliche Fernsehen geschehen ist. Hinter vorgehaltener Hand äußern auch Bundestagsabgeordnete diese Befürchtung –und zwar keine von der AfD (die das möglicherweise auch tun). Es ist schon die Rede von einer Grundgesetzänderung und von einem „Pausieren“ des Parlaments. Das hieße nichts anderes, als dass faktisch die Legislative ausgeschaltet zu werden droht. Die seit langem laufende, stufenweise Aufweichung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist erschreckend weit fortgeschritten und droht jetzt ein neues Ausmaß zu erreichen.

Innenminister wie Boris Pistorius in Hannover fordern die Bekämpfung von Fake-News: Dafür bräuchte es wie bei George Orwell eine „Wahrheitsbehörde“, die entscheidet, was Fake und was Realität ist. Was für ein Irrsinn! Was vor einer Woche noch als „Fake“ galt – massive Warnungen vor dem Virus und Kritik der Untätigkeit der Behörden – hat sich als Realität herausgestellt, und war bitter nötig, um die Regierenden aus ihrem Corona-Dornröschenschlaf zu wecken. Setzt sich Pistorius durch, würde diese Frühwarnsystem wohl ausgeschaltet. Seine Pläne könnten die Ausschaltung der Meinungsfreiheit bedeuten. Denn sie würden sich wohl auch gegen kritische Stimmen richten – ob das nun die Achse des Guten, Tichys Einblick oder meine Seite hier ist.

Auf facebook und auf youtube kam es bereits massenweise zu Zensur, auch von Artikeln aus großen Medien, die in ihrer Grundaussage der offiziellen Linie zu Corona widersprechen, aber alles andere als offizielle Fakenews waren. Die Netzwerke begründeten das mit Fehlern der künstlichen Intelligenz. Waren sie das wirklich? Betroffen waren selbst Grüne wie der Abgeordnete im EU-Parlament Sergey Lagodinski. Er schrieb: „Facebooks künstliche Intelligenz sorgte gestern für viele Zensurvorfälle auch in meiner FB-Community. Viele mit inhaltlichem Bezug zu Covid.

Schon überwachen einige Staaten im Zuge der Krise die Bewegungen ihrer Bürger anhand von deren Mobiltelefonen. Die Deutsche Telekom hat Bewegungsdaten ihrer Kunden an das Robert-Koch-Institut weitergeleitet. Eine Verletzung des Datenschutzes, wie sie noch vor wenigen Tagen in Deutschland undenkbar schien. Und das könnte nur der erste Schritt sein, wie Kritiker warnen. Was sich hier an möglichen Überwachungs-Szenarien auftut, lässt einen erschaudern.

Auch die massive Schuldenpyramide könnte im Zuge der Corona-Krise durch kapitale Einschnitte wie etwa eine Währungsreform aufgelöst werden – sozusagen ein Kollateralnutzen der Krise für die verantwortungslosen Staatsverschulder und Geld-Drucker der Europäischen Zentralbank. Schon ist von möglichen Verstaatlichungen die Rede. Die Einschnitte in die Wirtschaft und Eigentumsverhältnisse können im schlimmsten Fall Ausmaße erreichen, wie man sie sonst eher nach sozialistischen Umstürzen kennt. Hier ist Kontrolle und Kritik geradezu existenziell notwendig.

Alfred Koch, der früher Vize-Regierungschef von Russland war und als Russland-Deutscher heute Bundesbürger ist und in Oberbayern lebt, greift zu drastischen Worten – aus denen zu spüren ist, dass er die Ausschaltung der Demokratie in Russland hautnah miterlebt hat und deshalb besonders sensibilisiert ist: „Werden die Bundestagswahlen 2021 stattfinden oder verschoben? Die Regierung hat ja gesagt, die Pandemie könne ein bis zwei Jahre dauern. Wer wird die Entscheidung treffen, ob die Wahlen stattfinden? Merkels Herausforderer Friedrich Merz ist zum ungünstigsten Zeitpunkt an Corona erkrankt! Ist im Moment auf dem Territorium Deutschlands das Grundgesetz mit seinen Grundrechten überhaupt noch in Kraft? Wie sind die Schritte, die Frau Merkel mit regelrechtem Enthusiasmus durchgesetzt hat, mit dem Grundgesetz zu vereinbaren? Haben wir noch einen Bundestag? Oder befindet sich dieser völlig unter Kontrolle der Regierung? Und meine letzte Frage: Worin sind die Unterschiede zu 1933 und erinnern die Reaktionen auf diese Epidemie nicht auf die auf den Brand des Reichstages?“

Starker Tobak. Aber auch der muss erlaubt sein in einer Demokratie, auch in der Krise. Und bevor jemand in Schnappatmung verfällt: Koch fragt nach Unterschieden zu 1933, er setzt nicht gleich (was völlig absurd, ja unverantwortlich wäre). Die Frage ist mehr als provokativ, ich würde sie in dieser Form nicht stellen – aber ich maße mir auch nicht an, Zensor zu sein, und sie zu streichen. Eine Demokratie lebt davon, dass auch sehr provokative Äußerungen erlaubt sind. Denn manchmal können nur sie wachrütteln.

Wir müssen nicht nur gegen das Virus kämpfen und eine Immunität entwickeln – sondern auch gegen die Demokratie-Feinde, die es ausnutzen für undemokratische Zwecke. Leider ist das Gefühl für die Gefahr bei vielen eingeschlafen: Sie denken, Angriffe auf die Demokratie würden offiziell verkündet, und solange alles auf dem Papier demokratisch ist, wird das schon so sein. Die Geschichte lehrt uns das Gegenteil. Wenn wir uns die Gefahr nicht bewußt machen und nicht ganz genau hinsehen und uns wehren, können wir sehr schnell in einer unfreien Gesellschaft aufwachen, in einer Diktatur im Schafspelz.


MEIN AKTUELLES WOCHENBRIEFING:

 

Guten Tag aus Berlin,

in dem es im Moment im Zeichen von Corona drunter und drüber geht. Ich denke, Ihnen wird es ähnlich ergehen wie mir, dass Sie die aktuelle Situation aufwühlt. Sie stellt einen persönlich vor Herausforderungen – und auch beruflich.

Persönlich, weil die Angst zum Begleiter wird. Ich war mehrmals in Tschernobyl, auch im Unglücksreaktor selbst, ich war in der Geisterstadt Pripjat am Kraftwerk, und ich kenne dieses Gefühl, einer unsichtbaren Gefahr ausgesetzt zu sein. Und von vielen Gesprächen mit Leuten, die 1986 in der Sowjetunion lebten, kenne ich auch deren Erfahrung, schlecht informiert und schlecht geschützt zu sein. Es liegt mir fern, Tschernobyl und die Corona-Krise gleich zu setzen. Aber ich denke, die politischen Folgen des Virus könnten massiv sein. Etwa, wenn die bisherigen Fehler der Regierung in den nächsten Tagen, wenn die Inkubationszeit abläuft, verheerende Folgen haben sollten – Gott bewahre uns – oder wenn sie weiter so chaotisch agiert. Mein Freund, Prof. Maćkóv, Politologe an der Universität Regensburg, hat dazu einen sehr guten Kurzkommentar geschrieben.

Was die berufliche Herausforderung angeht, ist diese eine mehrfache: Zum einen reicht die Zeit nicht, um alle Informationen zu verarbeiten und dann daraus Beiträge zu machen. Zum anderen ist es eine große Verantwortung, auf dem schmalen Grat zwischen kritischem Blick und Hinterfragen einerseits und dem Verbreitung von Gerüchten oder gar Fördern von Panik andererseits auf der richtigen Spur zu bleiben. Aber der kritische Blick ist unerlässlich.

Dazu schrieb Moritz Michelson auf twitter: „Etablierte deutsche Medien verharmlosten das Coronavirus.  Sie lachten über Warnungen, Ältere, Geschwächte. Statt Kritik an der deutschen Abwarte-Politik—nur Trump-Bashing. Daher sind  @TichysEinblick ,  @Achgut_com ,  @reitschuster  so wichtig.“

So sehr ich mich über diese Erwähnung freute – so traurig und beunruhigend ist die Diagnose. Es ist bitter, dass viele Menschen hierzulande gar nicht (mehr) verstehen, dass Medien eine Kontroll-Funktion haben, und wie extrem wichtig die in Krisen ist, weil sie derart an die Bauchpinsel- und Weichspül-Funktion etablierter Medien gewöhnt sind, dass sie diese schon für die Norm halten – und Kritiker für   (neudeutsch) „Nazis“. Meine tiefste Überzeugung ist: In Krisensituationen ist die Kontrollfunktion von Journalisten wichtiger denn je. Ohne viele kritische Berichte, inzwischen auch in den sozialen Medien, wäre die Regierung wohl noch langsamer auf Trab gekommen – etwa bei den Schulschließungen.

Konkret warf mir ein Leser vor, nachdem ich recherchiert hatte, dass die Sperrungen von Bars und Clubs in Berlin nur auf dem Papier bestehen – obwohl Medien und Polizei Erfolgsmeldungen verbreiteten: „Während einer Pandemie finde ich solche Berichte unpassend. Wir benötigen Informationen und Solidarität, keine Agitation!“ Was ab dem Hinweisen auf Versagen der Behörden „Agitation“ sein soll, und wie man Journalismus mit Solidariät gleichsetzen kann, ist mir ein Rätsel. Es würde doch auch niemand von einem Staatsanwalt Solidarität mit Verdächtigen fordern. Ohne kritische Berichte würden die Behörden ja gar nicht auf Fehler aufmerksam und würden im konkreten Fall etwa den eigenen, falschen Polizeiberichten glauben.

Auch der Vertrauensverlust in die öffentlich-rechtlichen Medien, ohnehin schon sehr groß, wird in Folge der Corona-Krise massiv zunehmen, da sie stark beschwichtigten und verharmlosten. Auch hier könnte es gewisse Parallelen mit Tschernobyl geben, das auch das letzte Restvertrauen der Sowjetbürger in ihre Medien verschwinden ließ. Die Beispiele für das Versagen der öffentlich-rechtlichen gibt es zu Hauf, auch auf reitschuster.de. Hier deshalb nur zwei: Klaus Kleber im Heute-Journal, der noch einen Tag, bevor die Regierungen Grenzschließungen anordnete, in einem Interview mit einem Forscher genau die Antworten herauskitzelte, die rechtfertigten, warum die Regierung bis dahin die Grenzen nicht geschlossen hatte. So agieren Regierungssprecher, und nicht Journalisten. Bei Kleber endete die Bauchpinselei mit einem Bauchplatscher.

Besonders geschmacklos war ein Satire-Video der Öffentlich-rechtlichen, in dem es hieß, das Corona-Virus sei gerecht, weil es die Alten gefährde, und die hätten das verdient, weil sie die Erde zugrunde gerichtet hätten. Ich fand das Video ausgerechnet am 86. Geburtstag meines Vaters, der sein ganzes Leben hart gearbeitet hat, nie Einwegbecher benutzte und auch nur selten ein Flugzeug betrat. Jetzt muss er von seiner hart verdienten Rente Rundfunkgebühr bezahlen, mit der solche Videos finanziert werden, die ihn quasi als lebensunwert hinstellen. Ich schäme mich für die Kollegen vor meinem Vater (hier der Artikel darüber).

www.reitschuster.de/post/menschenverachtung
ARD-Front-Frau Anja Reschke schrieb auf twitter: „Wir müssen der Politik Zeit geben, zu entscheiden. Politische Jornalisten sollten nicht so Druck machen und mehr wie Wissenschaftsjournalisten arbeiten. Mit mehr Ruhe und Hintergrund berichten, empfiehlt (der Virenexperte) Drosten.“

Systeme, in denen politische Journalisten „nicht so Druck machen“ sind keine Demokratien. Es ist mehr als bezeichnend, dass eine Vorzeige-Journalistin von den Öffentlich-rechtlichen nach der Gebührenerhöhung um fünf Prozent solche Forderungen verbreitet.

Die Kontrollfunktion der Presse ist umso wichtiger, wenn die politische Opposition dieser Aufgabe nicht gerecht wird bzw. nicht gerecht werden kann: Die einen Parteien, weil sie auf Schmusekurs sind mit der Regierung, eine andere Partei, weil die Medien ihre Kritik einfach weitgehend verschweigen.

So makaber es klingen mag: So schlimm Corona auch ist – das Virus könnte neben dem unendlichen menschlichen Leid, das es anrichten wird, auch dafür sorgen, dass die ideologisch, linksgrünen Elfenbeintürme in Politik und Medien zusammen brechen und wieder mehr Menschen dort zur Vernunft kommen. Wenn über die Grundversorgung mit Lebensmittel nachgedacht werden muss statt über Unisex-Toiletten, richtiges Gendern und mehr sexuelle Vielfalt bei der Bundeswehr, hat das etwas Erdendes.

Doch bis dahin müssen wir uns auf einiges gefasst machen.  Ich beobachte jetzt schon, wie die Kommentare von vielen aus dem links-grünen Milieu bei meinen Beiträgen viel aggressiver werden als noch vor kurzem. Da jetzt auch diejenigen, die lange alles verdrängten, instinktiv spüren, wie groß die Gefahr und wie schlecht das Krisenmanagement ist, müssten sie sich eingestehen, geirrt bzw. auf die Falschen gesetzt zu haben. Es ist aber menschlich, dass man sich das sehr ungerne eingesteht, und stattdessen lieber die Überbringer schlechter Nachrichten angreift. Genau das erlebe ich im Moment massiv. Auch von Kollegen. Offenbar ist es für viele besonders bitter, dass Kritiker wie ich leider doch nicht so unrecht hatten, wie sie immer glaubten. Insofern werden die Angriffe wohl noch zunehmen.

Umso dankbarer bin ich für Ihre Unterstützung, und umso wertvoller ist diese für mich. reitschuster.de ist inzwischen zu einem richtigen Medium geworden, dazu kommt noch Twitter, wo ich inzwischen 25.600 Abonnenten habe, und Facebook, mit fast 23.000. Damit erreiche ich mehr Menschen als manche Zeitung.

Ich bin froh und stolz, dass ich bescheiden ein klein wenig dazu beitragen kann, der Mitte in diesem Land wieder eine Stimme zu verleihen, den Lautsprechern Zwischentöne entgegen zu setzen, vermeintliche Wahrheiten zu hinterfragen und das zu tun, was die Errungenschaft der Aufklärung ist und massiv in Gefahr geraten ist hierzulande: Alles anzuzweifeln.

Das große Resonanz und Reichweite führt aber auch zu Attacken. Wenn Sie mithelfen wollen, diese, wie etwa die Klage von ARD-Chef-Faktenfinder Gensing gegen mich abzuwenden, freue ich mich über jeden noch so kleinen Beitrag (Paypal– und Bankkordinaten siehe unten). Auch für das Weiterempfehlen, Weiterleiten oder Posten dieses Wochenbriefings bin ich sehr dankbar.

Ich werde mich nicht unterkriegen lassen.

Genau das wünsche ich auch Ihnen, aber vor allem: Gesundheit in diesen schwierigen Zeiten. Lassen Sie sich nicht anstecken – in jeder Hinsicht.

Herzlich
Ihr
Boris Reitschuster

Bild: PIXABAY

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