Früher war eine Doktorarbeit ein unbeschwerter Pluspunkt für das eigene Prestige. Spätestens seit der Guttenberg–Affäre hat sich aber herumgesprochen: Was sich so schön vor dem eigenen Nachnamen macht, kann zu einer schlimmen Hypothek für das politische und berufliche Fortkommen werden. Dann nämlich, wenn nicht alles mit rechten Dingen zuging beim Verfassen der Promotionsschrift. Wer weiß – vielleicht wäre Karl-Theodor zu Guttenberg heute Kanzler, ohne den Stolperer über das eigene Ego. Und vor allem gut unterrichtete Kreise, die dafür sorgten, dass die heikle Information ans Licht der Öffentlichkeit findet. Diverse andere Doktoren machten ähnliche üble Erfahrungen. Im Moment muss SPD-Familienministerin Franziska Giffey um ihr politisches Überleben zittern wegen ihrer Doktorarbeit. Nur bei einem scheinen alle Zweifel derart abzuprallen, dass sie nicht mal in den Medien erwähnt werden: Corona-Papst Christian Drosten.
Seit Monaten kursieren durch einschlägige Internetportale heftige Gerüchte: Dass seine Arbeit nicht auffindbar sei. Die selbst ernannten „Faktenfinder“ von „Mimikama“ haben diese Verdächtigungen bereits im Juli aufgegriffen und versucht, sie zu widerlegen. Unter der Überschrift „Die Doktorarbeit von Christian Drosten nicht auffindbar? Falsch!“ schrieben sie: „Es steckt schon eine gewisse Verzweiflung dahinter, wenn nun suggeriert wird, dass der Virologe Christian Drosten gar keinen Doktortitel habe.“ Mimikama agiert dabei wie viele der so genannten Faktenfinder es oft tun: Das Portal stürzte sich auf einen Nebenaspekt, und zerlegt den dann – ohne auf den Hauptvorwurf einzugehen. Es wird betont, Drostens Arbeit sei in zwei Exemplaren bestellbar. Der Vorwurf war aber ein anderer – dass man sie zwar bestellen könne, sie aber nicht herausgegeben werde, weil sie nicht vorhanden sei.
Die großen Medien vermieden das Thema weitgehend. Ich verfolgte es aufmerksam. Mir war aber die Faktenlage zu dünn, um das Thema aufzugreifen. Das hat sich jetzt geändert. Stefan Weber, Sachverständiger für Plagiatsprüfung, und jeglicher Corona-Ketzerei unverdächtig, hat sich jetzt der Drosten´schen Arbeit angenommen. Schon der Titel seines Beitrags dazu verspricht Spannung: „‘Publikationskrimi‘ um Doktorarbeit des Star-Virologen Christian Drosten geht in die nächste Runde.“ Dabei ist der Einstieg zu dem Beitrag sehr nüchtern: „Ich muss gestehen, dass ich dieser Geschichte zunächst wenig Glauben geschenkt habe: Seit einigen Wochen hält sich in der Blogosphäre das Gerücht, die Doktorarbeit von Christian Drosten existiere gar nicht, wurde nie veröffentlicht, wurde abgeändert, verfälscht, gefälscht etc.“
Doch nach eingehender Befassung mit dem Thema kam Weber nun zu dem gleichen Schluss wie andere Skeptiker: Dass ein begründeter Verdacht besteht, dass die Dissertation Drostens erst 2020 im vorgeschriebenen Umfang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Weiter schreibt Weber: „Nehmen wir an, der Promovend hat § 12 Abs 1 b) der Promotionsordnung Folge geleistet und tatsächlich drei Exemplare abgeliefert. Warum diese verschwunden (oder unbrauchbar geworden) sind, möge freundlicherweise die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main der Öffentlichkeit erklären.“
Die Promotionsschrift von Prof. Christian Drosten sei bis vor kurzem an keiner Bibliothek vorhanden gewesen, behauptet gar der auf Wissenschaftsbetrug spezialisierte Naturwissenschaftler Markus Kühbacher. Eines der nach Angaben des Pressesprechers der Frankfurter Universität wegen eines angeblichen Wasserschadens vermeintlich nicht ausleihbaren Exemplare der Dissertation aus dem Kellerarchiv des Promotionsbüros, das vor einigen Wochen dem Universitätsarchiv in Frankfurt zur Archivierung übergeben wurde, war demnach nun Gegenstand einer forensischen Untersuchung Kühbachers. Der Naturwissenschaftler ist nach eigenen Angaben seit April 2020 auf der Suche nach der Promotionsschrift Drostens. Und hatte dabei monatelang keinen Erfolg. Kühbacher wundert sich auch, dass die mündliche Prüfung an einem Samstag stattfand (Details siehe hier).
Drostens Verteidiger machen geltend, Teile der Inhalte seiner Dissertation seien im Jahr 2000 in dem Zeitschriftenaufsatz „Evaluation of a new PCR assay with competitive internal control sequence for blood donor screening“ erschienen. Ob dies der in der Promotionsordnung geforderten „Veröffentlichung in einer Zeitschrift“ entspricht, ist fraglich: Weber schreibt dazu: „Ich kann es derzeit nicht beurteilen, da mir die Dissertation von Herrn Drosten nicht vorliegt. Im Zweifel für den „Angeklagten“, möchte ich aber betonen!“
Am 7. Oktober nahm Weber diese „Teilentwarnung“ für Drosten aber in Form eines Updates wieder zurück: „Das Paper in „Transfusion“ ist nicht die Veröffentlichung der Dissertation von Christian Drosten! Das sechsseitige Paper wurde bereits ein Jahr vor der Dissertation, die mir mittlerweile vorliegt, publiziert. Vielmehr wurde das Paper Teil der späteren Dissertation, worauf auch hingewiesen wird. Es bleibt spannend…!“
Wichtig ist es, zu betonen, dass bei Drosten nicht der Vorwurf eines Abschreiben, eines Plagiats oder gar einer Fälschung im Raum steht. Der Vorwurf bezieht sich darauf, dass er seine Doktorarbeit möglicherweise nicht in dem Umfang veröffentlicht hat, wie dies vorgeschrieben ist. Dies wirkt zwar auf den ersten Blick wie eine Lappalie. Ist es aber laut Prüfungsverordnung nicht. Denn sollte der Vorwurf zutreffen, würde er seinen Doktortitel zu Unrecht tragen. Auch die Professur wäre dann infrage gestellt. Ganz unabhängig von der „Schwere des Verschuldens“ – selbst wenn es nur Schlampigkeit, Vergesslichkeit oder Knausrigkeit sein sollte. Aber auch das wäre angesichts der herausragenden Rolle des Virologen von öffentlichem Interesse. Umso mehr, als manche Kritiker gar einen Verdacht der Vertuschung sehen. Stichwort „Wasserschaden“.
Insofern kann man nur den Schlussappell des Sachverständigen für Plagiatsprüfung teilen: „Was ich dennoch nicht verstehe: Warum erklären sich nicht die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main und Herr Drosten selbst, um den Spekulationen ein Ende zu bereiten? Ich komme gerade von einer Pressekonferenz zur wissenschaftlichen Integrität in Österreich. In dieser wurde wiederholt betont, dass Veröffentlichung und Transparenz eine der wichtigsten Eckpfeiler der Wissenschaft sind. Also bitte, klärt uns auf!“
Interessant ist auch, warum die großen Medien das Thema nicht aufgreifen. Bei Politikern tun sie das. Obwohl es bei denen weitaus weniger relevant ist, ob sie ihren Doktortitel zurecht tragen oder nicht.
Schlimmer noch: Die news aktuell GmbH, eine Tochter von Deutschlands Leitmedium, die Nachrichtenagentur dpa, weigerte sich sogar, eine Pressemitteilung über die Recherchen zur Dissertation Drostens von Cyber Cryptic in die Aussendung zu übernehmen. Über diese kann sonst jedermann seine Pressemitteilungen verbreiten. News aktuell hatte den Auftrag laut Cyber Cryptic bereits genehmigt. Und zog ihn in letzter Sekunde zurück. Ohne Begründung. Die Gesellschafter der dpa sind ausschliesslich Medienunternehmen. Durch die Verlagskonzentration haben deshalb vor allem Konzerne wie Bertelsmann, Axel Springer, Madsack, die Funke Mediengruppe sowie ARD und ZDF erhebliche Anteile an der Agentur.
+++ Durch einen menschlichen Fehler wurde diese Beitrag heute Nacht in unfertiger Version (nur mit den ersten beiden Absätzen) schon online gestellt. Ich danke sehr für die schnellen Hinweise von Lesern, die es ermöglichten, den Fehler umgehend zu korrigieren und die unfertige Geschichte vorläufig wieder von der Seite zu nehmen. Ich bitte vielmals um Nachsicht! Es wird Zeit, wieder etwas weniger zu arbeiten und mehr zu schlafen. +++
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Text: red