Für meine Kritik an Merkels Umgang mit Putin hat mich ihr Ex-Sprecher Georg Streiter gestern hier scharf kritisiert. Das ist sein gutes Recht und ich freue mich über jede Diskussion. Beunruhigend finde ich jedoch, wenn Kritik an der Regierenden pathologisiert wird, also als krankhaft bzw. lächerlich abgetan. Diese Unsitte, statt mit Argumenten mit persönlichen Attacken und/oder Diffamierung auf Kritik zu antworten, hat in den letzten Jahren in Deutschland massiv um sich gegriffen. Das ist brandgefährlich. Für die Demokratie, für den menschlichen Umgang. Im konkreten Fall tröstet ein Zitat von Karl Kraus: «Was trifft, trifft auch zu.» Unten meine Erwiderung an Herrn Streiter – und natürlich auch seine Kritik.
Meine Antwort an Georg Streiter:
Mein Misstrauen ist faktenbasiert entspringt nicht Paranoia, sondern ist faktenbasiert. Unter anderem durch
A) Merkels Unterstützung für die Ostseepipelines
B) Geheimtreffen mit Lawrow und Gerassimow, zu dem keinerlei Stellungnahme geliefert wird.
C) Verbot von Fragen vor und nach Treffen mit Putin.
D) Rückkehr zu einer Geheimdiplomatie, in der nichts erklärt wird, was undemokratisch ist und in Osteuropa aufgrund historischer Sensibilität große Ängste weckt.
D) Verzicht auf jegliche deutliche Kritik bei Treffen mit Putin in Sotschi wie in Meseberg- und nur die hat Wirklung,.
E) Keinerlei Erwähnung von Senzow, der im russischen Gefängnis ums Überleben kämpft.
Und viele andere….
Der Hinweis, es sei doch besser, wenn Merkel und Putin miteinander reden, als wenn sie das nicht täten, ist so sinnvoll wie der Hinweis, man müsse doch atmen. Kein vernünftiger Mensch ist gegen Gespräche. Es geht nur darum, WIE man spricht und welche Signale man damit setzt.
Der HInweis, sie würde hinter verschlossenen Türen schon alles sagen, ist irrelevant – wir können das erstens nicht nachprüfen (Senzow ist immer noch nicht frei), und wirklich wirksam ist nur öffentliche Kritik.
Angesichts solcher Fakten kein Misstrauen zu haben, wäre für einen Journalisten verantwortungslos. Und der Versuch, dieses Misstrauen als pathologisch hinzustellen, ist leider symptomatisch für die in den letzten Jahren unter Merkel in Deutschland eingerissene, unsägliche und mir in Deutschlang früher in dieser Form unbekannte Tendenz des Umgangs mit Kritikern – die mich in Ansätzen leider sogar an die sowjetische Denkschule erinnert. Wer das System dort kritisierte, war wahlweise Faschist oder psychisch krank. Wir sollten da sehr der Anfänge wehren und eine zivilisierte Diskussionskultur pflegen.
Sein ursprünglicher Kommentar:
Georg Streiter Boris Reitschuster bevor ich nun ins Bett gehe, frage ich mich (bzw. Sie ?), warum es „alarmierend“ sein soll, wenn der russische Präsident und die deutsche Regierungschefin miteinander reden. Ich fände es alarmierend, wenn sie nicht mehr miteinander reden würden. Dass Sie und ich nicht alles im Detail wissen, was besprochen wird, kann ich gut und voller Vertrauen ertragen. Sie offenbar nicht. Aber versuchen Sie es einfach mal. Manchmal denke ich: wer lange in Staaten wie Russland gelebt hat, neigt offenbar dazu, nichts und niemandem auch nur ein bisschen zu vertrauen. Dieses Misstrauen sollte man dann aber nicht auf alle anderen übertragen. Wäre jedenfalls meine Empfehlung. Und welche Funktion die Verbreitung von Zweifel und Misstrauen auch haben kann, darüber hat Timothy Snyder das Wesentliche gesagt:
Weiterer Diskussionsverlauf:
Boris Reitschuster Sie als langjähriger Sprecher der Kanzlerin haben dieses Vertrauen, ich als langjähriger Beobachter nicht (mehr). Das ist beides völlig legitim. Ich pflege kein „unbestimmtes Misstrauen“, sondern ein auf Fakten basiertes Misstrauen. Und ich denke, das ist für Journalisten gut so – und genau darin drückt sich ihre Verantwortung als vierte Macht aus – und nicht im Gegenteil, so ein Misstrauen aufgrund alarmierender Fakten zu verschweigen. Dass man heute den Eindruck hat, viele Medien würden mehr die Regierungschefin unterstützten als sie zu kritisieren, halte ich für sehr problematisch und alarmierend.
Georg Streiter „Lange“ heißt ja nicht: die ganze Zeit. Und da er insgesamt nur dreieinhalb Stunden da war, es aber ein Abendessen gab, das mindestens eineinhalb Stunden gedauert haben mag, könne sie nicht – wie behauptet – dreieinhalb Stunden ohne Dolmetscher gesprochen haben. Aber egal: mir macht es im Gegensatz zu Ihnen auch überhaupt keine Sorgen, wenn die Bundeskanzlerin ohne Dolmetscher mit Putin spricht. Vor dem Hintergrund, dasss sie die einzige in Europa – wenn nicht in der Welt – ist, die seit Jahren mit ihm überhaupt spricht und dann auch Klartext spricht, ist der von Ihnen unterstellte Verdacht einer geheimen Verbrüderung böser Diktatoren wirklich ziemlich absurd. Ich wage zu behaupten, dass niemand einen klareren Blick auf Putin hat als Angela Merkel. Darüber sollten Sie sich eher freuen und nicht ein unbestimmtes Misstrauen pflegen, das zwangsläufig auf Nichtwissen basiert, weil weder Sie noch ich dabei waren. Was man nicht weiß, muss aber nicht unbedingt schlecht sein. Auch als Journalist trägt man Verantwortung. Ich könnte hier endlos weiterschreiben, tue ich aber lieber nicht … 😉
Boris Reitschuster Georg Streiter Das war bisher – so mein Kenntnisstand, aber Sie als Ihr langjähriger Sprecher wissen das noch viel besser – bei ihr im Gegensatz zu Schröder tatsächlich immer so und von ihr auch ausdrücklich so gewünscht bzw. gefordert. Umso mehr hat mich der heutige Berichte negativ überrascht – und ich sehe keinen Grund, der Deutschen Welle nicht zu glauben.
Boris Reitschuster Hier der russische Originalbericht der staatlichen (!) Deutschen Welle – dort heißt es wörtlich: „sprachen lange ohne Dolmetscher.“
https://www.dw.com/…/ангела-меркель-и-владим…/a-45131850
….
Georg Streiter Das ist einfach eine falsche Behauptung. Selbstverständlich waren Dolmetscher dabei. SInd es immer. Auch, wenn nur telefoniert wird.
(Die Diskussion bezog sich auf folgenden Post: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=2283072671707908&set=a.194618133886716&type=3