Von Gregor Amelung
Ähnlich wie das RKI in Deutschland, das in seinen Wochenberichten Angaben zu den sogenannten „Impfdurchbrüchen“ macht, weist in Großbritannien der „Vaccine Surveillance Report / Impfstoff-Überwachungsbericht“ von Public Health England (PHE, ab 1. Oktober 2021 UK HSA für UK Health Security Agency) die Impfdurchbrüche bzw. die Impfstoffeffektivität aus.
Besondere Vorsicht bei der Interpretation angemahnt
Der neuste Bericht des PHE kam am 30. September heraus. „Seltsamerweise“, so das britische Portal „The Daily Sceptic“, „erschien der Bericht diese Woche auf einer neuen Webseite, ohne dass die alte Seite einen Hinweis darauf enthielt.“ Weiter schreibt Sceptic-Autor Will Jones: „Nach dem ‚Faktencheck’… [meines Artikels] letzte Woche… erschien im neuen Bericht nun folgender Hinweis: ‚Die Interpretation der Fallraten in der geimpften und der ungeimpften Bevölkerung ist besonders anfällig für Veränderungen des Nenners [bei der Bruchrechnung]. Bei ihren Interpretationen ist besondere Vorsicht geboten.’ – Hier bitteschön: Alle Schätzungen in diesem Beitrag basieren auf den Daten, die auch PHE verwendet. Somit sind sie gültig, sofern die Daten selbst korrekt sind.“
Hieraus kann man zunächst einmal ableiten, dass es nicht nur in Deutschland unangenehm werden kann, wenn man sich mit der Effektivität der Corona-Impfstoffe beschäftigt. Am besten ist es wohl, wenn man die offiziellen Daten gar nicht erst liest oder gar selbst interpretiert, sondern stattdessen auf das offizielle Fazit der jeweiligen Gesundheitsbehörden wortwörtlich zurückgreift. Eben das tat Sceptic-Autor Jones allerdings bereits in seinem Vorläufer-Artikel vom 24. September 2021 nicht, den er wie folgt eingeleitet hatte:
„Wirksamkeit der Impfstoffe sinkt bei 40plus weiter“
„Nun ist es offiziell: Ich verbreite Falschinformationen über die COVID-Impfstoffe. [Das Faktencheck-Portal] ‚Full Fact’, ein von Google, Facebook und George Soros finanziertes Unternehmen, von dem [die britische Medienaufsicht] Ofcom sagt, dass sie sich darauf verlässt, was in Bezug auf COVID-19 zu zensieren ist – hat meinen jüngsten Artikel über die PHE-Daten, die eine negative Impfstoffwirksamkeit im August zeigen, ‚faktenüberprüft’ und als ‚falsch’ gebrandmarkt.“ Angesichts von Jones‘ provokanter Überschrift war das wohl auch kein Wunder, denn er hatte wie folgt formuliert: „Wirksamkeit der Impfstoffe sinkt bei 40plus weiter auf bis zu minus 53 %, so ein neuer PHE-Bericht – und das ist eine Tatsache.“ Laut Jones. ‚Full Fact’ sah das anders und stellt fest: „inkorrekt“.
Der rund eine Woche später erschienene neue Bericht von Public Health England zeigt die sinkende Wirksamkeit der Impfstoffe ebenfalls, wobei das englische RKI diesmal vorsorglich darauf verwies, dass man aus den veröffentlichten Daten nicht auf die Wirksamkeit der Impfstoffe schließen sollte. So heißt es auf Seite 13 des Berichts:
„Der Impfstatus von [Corona-]Fällen, stationär aufgenommenen Patienten sowie Verstorbenen ist nicht die am besten geeignete Methode, um die Impfstoffwirksamkeit zu beurteilen. [Denn] es besteht ein hohes Risiko der Fehlinterpretation. Die Impfstoffwirksamkeit wurde aus einer Reihe verschiedener Quellen offiziell geschätzt und wird weiter oben in diesem Bericht beschrieben.“ Weiter oben findet man dann auf Seite 3: „Im Vereinigten Königreich wurden mehrere Studien zur Impfstoffwirksamkeit durchgeführt. Sie zeigen, dass zwei Impfstoffdosen mit 65 bis 95 Prozent effektiv gegen eine symptomatische Erkrankung mit der Delta-Variante von COVID-19 schützen…“
Deutsche und englische Impfdurchbruch-Definition
Ähnliches kann man in den Wochenberichten des RKI nachlesen. Allerdings leitet das RKI „die geschätzte Impfeffektivität“ anhand der „wahrscheinlichen Impfdurchbrüche“, also aller Personen mit vollständigem Impfschutz und Corona-Symptomen, ab, während sich PHE auf alle positiv Getesteten bezieht und den Ausdruck „Breakthrough Infection“ nicht kennt.
Zum Verhältnis der positiv Getesteten zu allen (englischen) Impfdurchbrüchen, also auch den asymptomatischen, erklärt der neue Bericht von PHE: „Die Rate positiver COVID-19-Tests variiert je nach Alter und Impfstatus. Sie ist bis zum Alter von 39 Jahren bei geimpften Personen wesentlich niedriger als bei Ungeimpften. Bei Personen über 40 Jahren ist die Rate positiver COVID-19-Tests bei geimpften Personen höher als bei ungeimpften.“
„Vielzahl von Gründen“ verbietet Vergleich
Das ist bemerkenswert, denn man könnte nun meinen, dass man soeben in einem offiziellen Dokument von einer Abnahme der Impfstoffwirksamkeit gelesen hätte.
Bevor man allerdings nun so weit denkt und seine Synapsen über den Rand des Erlaubten hinaus schickt, sollte man den darauf folgenden Satz des PHE beherzigen: „Dies ist wahrscheinlich auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen, beispielsweise auf Bevölkerungsunterschiede bei Geimpften und Ungeimpften sowie Unterschiede in den Testmustern.“ – Ergo, keine Abnahme der Wirksamkeit in der Gruppe 40plus. Was man zuvor gelesen hatte, war also nur eine semantische Täuschung.
Impfstoffeffektivität Altergruppe 60 bis 69: minus 63 %
Von solchen und anderen Warnungen und Mahnungen bei der Interpretation von Daten ließ sich Sceptic-Autor Will Jones allerdings nicht Bange machen und unterzog die am 30. September veröffentlichten Zahlen einem Vergleich. Dabei kam er zu folgendem Ergebnis:
„In der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen sind die Infektionsraten bei den Geimpften um 63 % höher als bei den Ungeimpften – gegenüber 53 % in der Vorwoche –, was einer (unbereinigten) Impfstoffeffektivität von minus 6 % entspricht. Das wurde diese Woche von der Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen noch in den Schatten gestellt, von denen die Geimpften jetzt eine um nicht weniger als 66 % höhere Infektionsrate haben als die Ungeimpften, gegenüber 46 % im Bericht letzte Woche und 27 % im Bericht vom 5. September.“
„Auch in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen ist die Wirksamkeit der Impfstoffe gesunken. Sie beträgt jetzt nur noch 8 % (…).“ Dass die Impfstoffe neben diesen eher schlechten Werten in puncto Infektion und Übertragbarkeit gute Werte beim Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe oder den Tod aufweisen, stellt Jones keineswegs in Frage. Auch hier hat er die Impfeffektivität berechnet, was er in Deutschland übrigens gar nicht machen könnte, weil das RKI sich nicht derart tief in die Karten blicken lässt und seine Daten lediglich in drei Altersgruppen angibt: 12-17, 18-59 und 60plus.
Insofern ist man in Deutschland gut geschützt davor, Rechnungen wie die von Will Jones anzustellen. Der hat nach eigenen Angaben übrigens in Großbritannien Mathematik, Theologie und politische Philosophie studiert und betreibt den Blog „Faith and Politics / Glaube und Politik“. Der weist ihn zwar als evangelikalen Christen aus, was aber nicht automatisch seinen Bachelor of Science im Fach Mathematik in Abrede stellt.
Jones’ Fazit
Jones’ Fazit lautet letztendlich: „Angesichts dessen, dass die Infektionsraten bei Geimpften viel höher sind als bei Ungeimpften, was kann es da noch für eine Rechtfertigung für Impfpässe oder Impfpflicht… geben? Wann stellt sich die Regierung der Realität, dass die Impfstoffe nur einen sehr begrenzten Schutz vor Infektion und Übertragbarkeit bieten und damit eben auch nur einen begrenzten Schutz für den Mitmenschen darstellen, weshalb es keine Rechtfertigung für den weiteren Ausbau eines diskriminierenden Zwei-Klassen-Staates gibt?“
Jones’ Gegner
Jones’ Faktencheck-Gegner halten ihm indes entgegen, er habe behauptet, dass die Impfstoffe das Risiko erhöhen, „sich Corona einzufangen“ („catching Covid“), was er in dieser Konsequenz so nicht behauptet hatte. Darüber hinaus beziehen sie sich vor allem auf den zuvor bereits genannten Warnhinweis des PHE: „Die Interpretation der Fallraten in der geimpften und der ungeimpften Bevölkerung ist besonders anfällig für Veränderungen des Nenners.“ Also beispielsweise die Summe aller Ungeimpften. Und da sich diese Zahl aus den staatlichen Bevölkerungsdaten usw. ableite, die bei der Auffächerung in unterschiedliche Altersgruppen nicht eindeutig bzw. belastbar wären, sei Jones’ Rechenweg der falsche.
Richtig wäre es vielmehr, für die Bestimmung der Impfstoffwirksamkeit auf überwachte Studien- und Forschungsergebnisse zurückzugreifen, die sich mit eindeutig definierten Populationen befasst haben. – Dass so eine Herangehensweise eher einer Expertokratie als einer Demokratie mit mündigen Bürgern entspricht, ist den Fakten-Checkern bei ihrer Kritik an Will Jones’ Artikeln offenbar nicht in den Sinn gekommen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: StutterstockText: Gast
Mehr von Gregor Amelung auf reitschuster.de