Die Ex-Bürgerrechtlerin und frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe ist gestern auf dem Berliner Alexanderplatz von Polizisten abgeführt worden. Filmaufnahmen der Szene sorgten im Internet für großes Aufsehen und Aufregungen – in den großen Medien dagegen wurden sie nicht gezeigt (anzusehen sind sie hier). Mehr noch: Sucht man bei google-Nachrichten nach „Angelika Barbe“, gibt es lediglich einen einzigen Medienbericht, in dem die Festnahme erwähnt ist – von der österreichischen Zeitung „Wochenblick“.
Warum? Immerhin war Barbe Abgeordnete und Bürgerrechtlerin. Man muss ihre Ansichten zu Corona nicht teilen, um wenigstens ihre Festnahme für berichtenswert zu halten. Wenigstens mit einem Halbsatz.
Hat das Schweigen ideologische Gründe? Ebenso wie die im Internet zu findende Häme? Die 69-Jährige ist für viele ein Feindbild, weil sie mehrfach an Versammlungen der PEGIDA in Dresden teilgenommen hat. Zudem bezeichnete sie in einem offenen Brief an ihre Partei (CDU) den Islam als „eine rassistische Ideologie“ und beklagte eine Besserstellung von Migranten gegenüber „der einheimischen Bevölkerung“. Im März 2018 gab die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung bekannt, dass sie Barbe in das Kuratorium der Stiftung berufen habe. Ist die frühere Bürgerrechtlerin damit für die Medien „vogelfrei“? Barbe mag unbequem sein, ihre Ansichten strittig – aber genau für solche Menschen sind Bürgerrechte da (die Angepassten brauchen sie weniger). Gerade für solche Menschen müsste eine Presse, die ihren Auftrag noch ernst nimmt, im Zweifelsfall das Wort ergreifen.
Tatjana Festerling, die offenbar eine erstaunliche Wende von der Pegida-Frontfrau zur Merkel-Verteidigerin hingelegt hat, rechtfertigte die Polizei-Aktion gegen Barbe auf twitter auf eine Weise, wie man sie eher aus autoritären Regimen kennt: „Ja natürlich muss das sein! Sie hat es doch für die Kameras & Social Media inszeniert. Stärkt ihren Nimbus als Bürgerrechtlerin und lenkt ab, von der Verantwortungslosigkeit, mitten in einer Pandemie dieses irre Theater zu veranstalten. Verbitterter Narzissmus.“ Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass die DDR-Bürgerrechtlerin heute wieder das erleben muss, was sie aus der DDR kennt: die Pathologisierung Andersdenkender.
„Schwerer politischer Fehler der Berliner Polizei-Führung? Gezielte Festnahme?“, fragt Jörg Gebauer auf facebook: „Frühere SPD-Bundestags-Abgeordnete, DDR-Bürgerrechtlerin und persönliche Gegenspielerin von Angela Merkel (bereits seit 1989) wurde brutal abgeführt…Angelika Barbe war DIE persönliche Gegen-Spielerin von Angela Merkel im Herbst 1989: SPD-Bundestags-Abgeordnete, bekannte DDR-Bürgerrechtlerin und heutiges CDU-Mitglied. Sie war diejenige Person, die zu Merkel 1989 sagte, dass sie nicht erwarten dürfe, direkt oben in der Politik einzusteigen, sondern dass auch sie den demokratischen Weg von unten – von der Basis – nehmen müsse. Kohl hat dann aber bekanntlich Merkel protegiert und sie sofort zur Ministerin gemacht. Seit dieser Zeit besteht zwischen Merkel und Angelika Barbe eine tiefe gegenseitige Abneigung.“
Auf ihrer Facebook-Seite beschreibt Barbe das Geschehen wie folgt: „Wir sind gerade zurück, nachdem wir von der Polizei auf dem Alexanderplatz abgeführt wurden. Diese Festnahme ist in mehrfacher Hinsicht schockierend, nicht nur wegen der entwürdigenden Filmaufnahmen.
Wir trafen gegen 14:50 Uhr auf dem Alex ein, der nicht sehr belebt war und wunderten uns über einen abgesperrten Bereich mitten auf dem Platz. Ich wandte mich an einen Polizisten, der mir freundlich erklärte, das sei der genehmigte Teil für die Demo der Antifa. Wenn wir daran teilnehmen wollten, könnten wir das gern tun. Inzwischen waren mehrere Passanten neugierig geworden, wir kamen ins Gespräch.
Plötzlich wurde ich von einem Polizisten mit der Nummer 34113 angeblafft, ich sollte den Alex verlassen. Perplex antwortete ich, daß ich mit einer Freundin und meinem Mann hier sei, mich mit Menschen unterhalten und auch einkaufen wolle. Es erzürnte Ihn offensichtlich, daß ich nicht sofort seinem Befehl gehorchte. Er sprach mir sofort einen mündlichen Platzverweis aus. Verwundert wandte ich mich an einen anderen Polizisten und fragte, warum die Antifa geschützt würde, wir Passanten aber nicht bleiben dürften. Er forderte mich ebenfalls auf zu gehen. Ich lenkte ein und erklärte, einkaufen zu wollen, er ließ mich daraufhin weiter laufen. Wenige Augenblicke später kam 34 113 hinterhergestürmt und rief: ‘Nein, die zeigen wir an!‘“
Weiter beschreibt Barbe die Situation wie folgt: „Daraufhin stürzten etwa fünf Polizisten von hinten auf mich zu, zwei ergriffen rabiat und schonungslos meine Arme, schleiften mich mit Gewalt weiter, zwei flankierten den Zugriff. Da ich kürzlich eine Knie-OP hatte und noch immer unter Schmerzen leide, kann ich nicht so schnell laufen und rief immer, sie sollten langsam sein und mich nicht hetzen, ich würde keinen Widerstand leisten und selbst gehen. Im Gegenteil sie liefen schneller, drehten mir noch den Arm um und verbogen meine linke Hand, was die Zuschauer nicht sehen konnten. Ich zeigte auf meine Knienarbe und bat verzweifelt um langsames Gehen. Das werteten sie als Widerstand.
Es war eine willkürliche Verhaftung, ich habe keinen Widerstand geleistet und wurde aus der Gesprächsgruppe herausgefischt. Mein Mann fragte die Polizisten, warum sie ausgerechnet mich gefaßt hätten, zumal etliche ebenfalls auf dem Platz standen und unbehelligt blieben.
Er wartete dann weitab von anderen Passanten vor der Absperrung, wo die Anzeigen erfolgten und wurde aufgefordert, sofort den Alexanderplatz zu verlassen. Er erwiderte, daß er auf mich warte. Daraufhin wurde er in bewährter DDR-Sippenhaft auch noch wegen angeblicher „Gefährdung der Sicherheit“ mitverhaftet. Wir bekamen nach eineinhalb Stunden einen Platzverweis für den 16. Mai und jeder eine Anzeige. Sie erklärten uns nicht wofür. Eigentlich wurden wir nur daran gehindert, der Antifa zuzuhören.“
Was Barbe da beschreibt, deckt sich auch mit meinen eigenen Erlebnissen gestern auf den Demonstrationen (siehe mein Video hier). Teilweise wurden friedlichen, bürgerlich wirkenden Menschen ohne erkennbare Gründe Platzverweise ausgesprochen, etwa weil sie auf einer Bank saßen. Menschen, die von ihrem Äußeren her eher links bzw. alternativ wirkten, konnten sich dagegen unbehelligt auf dem Platz aufhalten, so zumindest mein subjektiver Eindruck – denn ich war ja nicht die ganze Zeit nur an diesem Platz. Merkwürdigerweise ist dazu kaum etwas in den Medien zu lesen. Dort wird stattdessen breit der Eindruck erweckt, die Corona-Demonstranten seien tendenziell Verrückte – was meinen persönlichen Eindrucken vor Ort gestern diametral entgegensteht.
Barbe schreibt weiter über die Polizei: „Die Vorwürfe, den Abstand nicht eingehalten bzw. keinen Maulkorb getragen zu haben, erhoben sie nicht. Zu Weihnachten wurden Omas noch als Umweltsäue verunglimpft und jetzt werden sie abgeführt, wenn sie dort stehen, wo sie nicht stehen sollen. Aber noch wurde nicht befohlen, daß Rentner bei Rot über die Kreuzung zu gehen haben.“
Die frühere Bürgerrechtlerin erhebt schwere Vorwürfe gegen die Beamten:
„Schockierend waren Aggression und übergriffige Gewaltanwendung der Polizei. Schockierend war der willkürliche Zugriff beliebiger einzelner Personen aus der Menschenmenge.
Es ging darum, Angst zu erzeugen mit total unangemessener, völlig überzogener und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gegenüber gewaltlosen Bürgern.
Man wollte Bilder aus der Vorwoche vermeiden, als Tausende auf dem Alex ‘Freiheit‘ und ‘Wir alle sind das Volk‘ riefen.
Wenn das Recht nicht mehr gilt, dann sind wir alle der Willkür des Staates ausgeliefert –auch hinsichtlich von Zwangsimpfungen. Deshalb sind und bleiben Demonstrationen für die Freiheit wichtig.“
Brutalität ist sicher relativ; die Festnahmen, die ich selbst sah, waren überaus rabiat und brachial, jedoch kaum brutal – aber wahrscheinlich bin ich einfach aus Moskau mit seinen OMON-Schlägertruppen Härteres gewohnt.
So sehr ich mich hüten würde, das gestern Erlebte – auch ich wurde kurzzeitig festgesetzt, Details im Video -mit Moskau gleichzusetzen, wo Kritiker der Regierung im schlimmsten Fall umgebracht und regelmäßig für Wochen bis hin zu Jahren ins Gefängnis gesteckt werden: Es gab es doch diverse Déjà-vu-Momente, die mich offen gestanden zutiefst erschreckten. Etwa das willkürliche Herausgreifen von Menschen aus der Menge, die Polizeitaktik dabei (fast eins zu eins bekannt aus Moskau), die massive Einschüchterung, von den Kampfmonturen bis hin zum fast schon demonstrativen Aufstellen von Gefängnis-Bussen mit mobilen Gefangenenzellen (die allerdings im Gegensatz zu Moskau nicht benutzt wurden, m.W. kamen alle Festgenommenen schnell wieder auf freien Fuß). Die politisch genehmen Gegendemonstranten werden geschont, die politisch nicht genehmen dagegen bekommen die Härte des Staates voll zu spüren.
Und noch ein Déjà-vu: In Russland oder der Ukraine habe ich oft „gekaufte Demonstranten“ erlebt, die für Geld auf die Straße gingen. Ich habe eine Taktik entwickelt, um sie zu entlarven: Fotografieren und nach ihrer Meinung fragen. Zumindest die Meinung, warum sie auf die Straße gehen, sagen echte Demonstranten in der Regel immer. So war es auch auf der Corona-Demo gestern. Bei den Gegendemos indes wollten viele nicht fotografiert werden und konnten auch nicht sagen, warum sie da sind und warum sie ihre Plakate halten. Das ist zumindest mehr als merkwürdig.
Aber es gibt noch andere Fragen, die mich den ganzen Sonntag bewegen: Rabiat, hart, einschüchternd – so habe ich die Berliner Polizei gestern gegen die Corona-Demonstranten erlebt. Warum fasst sie dann seit Jahren Drogen-Dealer, etwa im Görlitzer Park, mit Samthandschuhen an? Dort wurde sogar ein Fussball-Turnier mit den Dealern veranstaltet, und die Bezirksbürgermeisterin von den Grünen forderte, die Kriminellen nicht auszugrenzen. Warum fehlt der Politik in der rot-rot-grün regierten Hauptstadt bei Drogen der Wille, die Gesundheit der Menschen zu schützen? Warum wurde bei Verstößen gegen die Corona-Regeln durch einen kriminellen Clan und vor einer Moschee nicht einmal ansatzweise so hart durchgegriffen wie bei den Corona-Gegner? Und warum drehen selbsternannte Faktenchecker genau das ins Gegenteil um, indem sie Vorwürfe, die gar nicht zentral sind, entkräftet, und die eigentliche Problematik – die (fehlende) Härte des Durchgreifens, außen vor lassen (wie hier und hier)? Warum agiert die Polizei bei der gewaltbereiten Antifa, etwa am 1. Mai oder auch am Sonntag auf dem Alex, deeskalierend, während sie friedliche Bürgerliche wegschleppt? Wer gibt diese Anweisungen? Innensenator Geisel (SPD), der schon mal seine Bereitschaft erklärte, auch mit Linksextremen gegen „Rechte“ zu demonstrieren?Fagen über Fragen….
Bild: Screenshot twitter-Video