Sieht man heute die Startseiten der großen Medien an, hat man den Eindruck, an der Corona-Front gebe es nichts Neues. Oder alles sei wie immer schlimmer geworden. Focus, seit langem die Corona-Alarmsirene unter den deutschen Blättern, titelt groß: „News zur Pandemie – Corona-Pandemie: Bundesländer melden mehr als 1400 neue Corona-Fälle“. Dabei hätte es heute eine gute Nachricht gegeben. Nicht von den üblichen Verdächtigen. Sondern ganz offiziell vom Robert-Koch-Institut. Das veröffentlicht täglich seine Lageberichte. Und diese vermitteln bei genauerem Hinsehen oft einen ganz anderen Eindruck als das, was in den Medien die Schlagzeilen beherrscht. Jeden Mittwoch wird die Zahl der Tests aufgeführt und in Relation zu den positiven Testergebnissen gesetzt. Genau diese Zahlen sind entscheidend – und sie entwickeln sich sehr positiv. Doch offenbar sind positive Meldungen nicht gewünscht.
Entscheidend ist die vierte Spalte: die Positivenrate. Und wie man aus der aktuellen Tabelle vom 9.9.2020 ersieht, ist diese seit fünf Kalenderwochen sinkend bzw. gleichbleibend. Wenn man den minimalen Unterschied zwischen Kalenderwoche 31 und 32 vernachlässigt, seit fast sechs Kalenderwochen. Anzeichen für eine „zweite Welle“, von der so viel geraunt wurde in den Medien, sind aus der Tabelle nur schwer zu erkennen. Sie vermittelt einen ganz anderen Eindruck als das, was viele Medien ständig in ihrer Berichterstattung wiederholen: Die absoluten Fallzahlen. Aber auch diese sind etwa nach der aktuellen Statistik deutlich gefallen und so niedrig wie seit Kalenderwoche 32 nicht mehr. Haben Sie dazu etwas in den Medien gelesen? Entsprechende Schlagzeilen? Weitgehend Fehlanzeige. Auf einmal werden auch die absoluten Fallzahlen nicht mehr genannt. Weil sie nicht mehr zum Narrativ der steigenden Gefahr passen.
Befasst man sich weiter mit den relativen Zahlen, also der „Positivenrate“, fällt auf, wie viele Medien versuchen, einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Tests und den positiven Ergebnissen kleinzureden. Wie etwa der „Faktenfuchs“ des öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunks.
In dem Beitrag fällt auf, dass hier Sprache nicht verwendet wird, um Klarheit zu schaffen. Wie Journalismus das vorschreibt. Im Gegenteil: Mit Hilfe von Sprache wird das Wesentliche verschleiert: nämlich die beiden entscheidenden Sätze. Der erste von ihnen ist eine Antwort von Gesundheitsminister Jens Spahn auf eine Journalistenfrage: “Ihre sehr berechtigte Frage: ‘Hat die erhöhte Zahl an positiv Testungen auch etwas mit der Ausweitung der Testkapazitäten zu tun?’, muss man sicherlich mit ‘teilweise ja’ beantworten.”
Der zweite entscheidende Satz, den die BR-Journalisten mit verbalen Nebelgranaten zu entkernen versuchen, ist eine Antwort vom Robert-Koch-Institut: „Eine Ausweitung der Test-Indikationen oder eine Erhöhung der Testzahl kann zu einem Anstieg der Fallzahlen führen, da zuvor unentdeckte Fälle detektiert werden. Das heißt aber nicht, dass umgekehrt die steigenden Fallzahlen nur mit dem vermehrten Testaufkommen zu erklären sind.”
In diesem Satz ist das Wort „nur“ entscheidend. Die beiden wichtigsten Institutionen in der Krise – das Robert-Koch-Institut und der Bundesgesundheitsminister – bestätigen also genau das, was auch der gesunde Menschenverstand nahelegt: Dass die Menge der Tests eine Auswirkung auf die Zahl der positiven Ergebnisse hat. Wenn Journalisten den Eindruck erwecken, es gebe keinen Zusammenhang, ist das Schwindelei. Und eben weil es diesen Zusammenhang gibt, müssten positive Nachrichten, wie jene von diesem Mittwoch, vom Robert-Koch-Institut breit aufgegriffen werden, statt sie zu verschweigen. Ein korrekte Schlagzeile etwa wäre: „Positiver Trend bei RKI-Zahlen: Positivenrate seit Wochen sinkend bzw. stabil“. Haben Sie die irgendwo gelesen? Ich nicht.
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Text: red