Der Fall Spiegel ist nicht nur ein Symbol für das Chaos-Kabinett von Olaf Scholz. Er zeigt geradezu exemplarisch die Schwächen eines neuen Politikertyps, der in der Bundesrepublik inzwischen immer öfter den Ton angibt: Egozentriker mit ständig zur Schau gestellter Hypermoral. Ich musste dieser Tage bei den Nachrichten an das Buch „Generation Me“ (Generation Ich) der US-Psychologin Jean M. Twenge denken. Auch wenn sich die Parallelen nur auf Grundsätzliches beschränken, so beschreibt doch der Titel des Werkes die neue Generation von Politikern, mit der wir tagtäglich konfrontiert werden. Bei denen sich das Postfaktische mit dem Postpolitischen vermischt. Ein großes Ego gehörte zwar auch früher schon zur Politik wie der Schweinsbraten zur CSU. Dass es mit Selbstmitleid, Realitätsferne und postfaktischer Hypermoral einhergeht, ist aber eher neu.
Wie bei Emilia Fester, die sich im Bundestag in Sachen Impfpflicht beklagte, sie habe in den vergangenen Jahren keine Uni besuchen und nicht ins Ausland reisen können. Es kam zwar heraus, dass beides dreist gelogen ist: Sie war im Ausland, und sie ist auch gar nicht als Studentin an einer Uni eingeschrieben, was den Besuch von Universitäten auch außerhalb von Corona-Zeiten eher erschwert. Aber als ihr Kritiker diesen – nennen wir es höflich „kreativen“ – Umgang mit der Wahrheit vorwarfen, war bei ihr und in ihrem Milieu nicht einmal ansatzweise Selbstkritik zu hören. Im Gegenteil – man verurteilte die begründete Kritik als „Hass“ und empörte sich.
Auch Anne Spiegel glaubt im Innersten anzunehmen, wenn man nur auf der richtigen Seite steht und ständig von seiner eigenen Moral schwärmt, könne man auf eben diese im Alltag verzichten. Das Netz aus ideologischer Verbohrtheit, Lügen, Unfähigkeit, Selbstmitleid, Überforderung und Borniertheit, in das sie sich verstrickt hat, war schließlich sogar den Grünen zuviel. Nicht, weil sie damit grundsätzlich Probleme hätten; sondern, weil es bei Spiegel allzu offensichtlich und damit für die Wählergunst gefährlich wurde. In einer Presseerklärung sprach Spiegel die ganze Zeit nur von „Ich“, „Ich“ und „Ich“ – die Opfer der Flut waren ihr kaum ein Wort wert. Man bekam den bösen Eindruck, sie habe mit sich selbst mehr Mitleid als mit den Flutopfern. Die Entschuldigung war klar als taktisches Kalkül zu erkennen – und wirkte alles andere als aufrichtig.
Es war die Grünen-Führung, die die Reißleine zog. Auch wenn es nach außen hin als freiwilliger Rücktritt verkauft wurde. Faktisch ist Spiegel ihre Lebenslüge um die Ohren gefallen. Eine leider allzu typische Lebenslüge für die neue „woke“ Politikergeneration. Die analysiere ich in meinem Videokommentar – den Sie sich hier ansehen können.
PS: Ein Leser schrieb mir, er stimme mit dem Inhalt überein, aber es fehle der Hinweis darauf, dass die Wähler bzw. deren Mehrheit genau diese Erscheinungen offenbar goutieren. Recht hat er. Und deshalb hier diese Ergänzung. Warum sie das tun, wäre Gegenstand für eine lange Analyse.
Bild: Boris ReitschusterText: br
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