Jürgen Döschner kenne ich aus gemeinsamen Moskauer Zeiten. Von 1997 bis 2002 war er Korrespondent und dann Studioleiter im ARD-Hörfunkstudio Moskau. Gelegentlich lief man sich über den Weg. Später bei einem Köln-Besuch vor vielen, vielen Jahren waren wir mal einen Kaffee trinken. Umso erstaunter war ich, als mich Döschner plötzlich auf Twitter blockierte und sich abfällig über mich äußerte.
Tatsächlich lässt sich bei dem WDR-Mann – nach eigenen Angaben Energie- und Klimaexperte – eine erstaunliche Radikalisierung beobachten. Am deutschen Wesen möchte er das Weltklima genesen lassen. Im August 2015 befürwortete er in einem Kommentar illegale Methoden von Anti-Kohle-Aktivisten im Braunkohletagebau Garzweiler: „Die Proteste … mögen nicht immer legal gewesen sein, aber sie sind angesichts der Ignoranz von Geld und Macht und angesichts der Bedrohung, die es abzuwehren gilt, völlig legitim.“ Später schrieb er auf Twitter zum Thema Diesel: „Deutsche Automafia vergast jedes Jahr 10.000 Unschuldige.“
Vielleicht ist diese Radikalität der Grund, dass Döschner beim WDR kaum noch zu Wort kommt. Und sein 100.000-Euro-Gehalt, das Sie, liebe Leserinnen und Leser, als Gebührenzahler zwangsfinanzieren müssen, offensichtlich dazu nutzen kann, um sehr viel Zeit für seine private Seite auf Twitter zu verwenden.
Döschner ist 65 und somit kurz vor der Rente. Viele bei den öffentlich-rechtlichen Sendern – und nicht nur da – haben sich in die innere Emigration zurückgezogen und harren des Ruhestandes. Nicht so der Klima-Aktivist Döschner. Weil er zu wenig Arbeit hat, verklagt er nun den eigenen Sender. Wegen „Nichtbeschäftigung“ will er 75.000 Euro Entschädigung.
Laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ und der regierungsnahen Plattform „Correctiv“ wirft er dem öffentlich-rechtlichen Sender vor, er könne trotz seines 100.000-Euro Gehalts nur wenige Stunden im Monat arbeiten, weil seine Vorschläge von den Redaktionen ständig abgelehnt würden.
Geht es Ihnen wie mir? Mussten Sie sich jetzt erst einmal die Augen reiben, als Sie das lasen?
Was für ein Sittengemälde der Öffentlich-Rechtlichen! Allein die Tatsache, dass sie dank Zwangsgebühren derart im Geld schwimmen, dass sie es sich leisten können, eine 100.000-Euro-Kraft zwar zu bezahlen, aber faktisch nicht zu beschäftigen. Auch die Höhe des Gehalts für einen einfachen Redakteur ist erstaunlich! Bemerkenswert auch, was der Streit über das Klima in dem Sender aussagt.
Über die Jahre habe ich viele Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen kennengelernt. Insbesondere des WDR. Was man da erfuhr, ließ einem den Sender eher als Schlangengrube denn als modernes Unternehmen mit halbwegs akzeptabler Arbeitskultur erscheinen. Strenge, fast militärische Hierarchien unter dem Deckmantel der „Buntheit“, Kadergeist, Kadavergehorsam, stramme ideologische Ausrichtung – alles wirkt wie aus einem Zerrbild oder einer Parodie (interessante Einblicke habe ich hier veröffentlicht).
Unter Ausschluss von Konkurrenz und dank garantiertem Geldregen durch Zwangsgebühren sind bürokratische und ideologische Monster entstanden. Zwar kommt ein Skandal nach dem anderen ans Tageslicht – doch das ist alles nur die Spitze des Eisberges. Die Hahnenkämpfe, die Versorgungsschlachten innerhalb der Sender sind kaum bekannt. Wer sich ideologisch und anderweitig bei seinen Chefs einschleimt, macht Karriere – und wehe dem, der wie Döschner nicht vorauseilend den Willen der Anstalts-Feudalherren erfüllt und brav Männchen macht. Viele Kollegen haben innerlich gekündigt und resigniert, können und wollen aber auf das üppige Gehalt nicht verzichten. Freie Mitarbeiter abseits der üppigen Pfründe dagegen werden zum Teil prekär bezahlt und sehr schlecht, abschätzig behandelt, manche sprechen von moderner Sklavenhalterei. Aus Gründen der Diskretion kann ich die vielen Insider-Geschichten nicht veröffentlichen – es wäre nachvollziehbar, von wem Sie stammen. Doch glauben Sie mir – sie sind hanebüchen.
Umso spannender die Einblicke, die nun der Fall Döschner bietet. Wie groß muss der Leidensdruck sein, wie heftig der Konflikt, dass jemand gegen den eigenen Arbeitgeber klagt und dies auch noch öffentlich macht?
Der WDR teilte zu Döschners Vorwürfen laut FOL mit: „Ob Beitragsangebote einzelner Redakteur:innen berücksichtigt werden oder nicht, liegt allein im Ermessen der jeweils abnehmenden Programmbereiche.“ Warum der Sender – im Gegensatz zu früher – keines der Angebote von Döschner angenommen habe, beantwortet er nicht, schreibt „FOL“. Dem Bericht zufolge haben sich in den vergangenen drei Jahren schon verschiedene WDR-Gremien mit dem Umgang mit Döschner auseinander gesetzt. Der Journalist ist seit 38 Jahren für die Anstalt tätig; der Sender selbst stufte ihn als „programmprägend“ ein.
Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Monique Hofmann, geht der „Fall Döschner“ laut „FOL“ weit über den individuellen Konflikt hinaus. „Er wirft erneut die Frage auf, wie es im WDR inzwischen eigentlich um den Umgang mit Machtmissbrauch bestellt ist.“ Hofmann sieht beim WDR „eindeutige Hinweise“ darauf, dass Döschners Nichtbeschäftigung in Zusammenhang steht mit den Inhalten seiner Beiträge. „Der Fall ist auch deshalb brisant, weil er ein Schlaglicht wirft auf die Frage, wie gut Journalistinnen und Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Sendern in ihrer Berichterstattungsfreiheit geschützt sind“, so Hofmann laut dem Bericht.
Kein Exil bei Restle
Der Schlichtungsausschuss des Senders hatte die Leitung schon 2021 aufgefordert, für Döschner eine „angemessene redaktionelle Anbindung“ zu finden. „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle etwa bestätigte auf Anfrage von „Correctiv“ und „Kölner Stadt-Anzeiger“, er hätte gerne mit Döschner zusammengearbeitet: „Ich persönlich habe Jürgen Döschner stets als einen hochprofessionellen und mutigen Kollegen kennengelernt, der sich traute, sich mit den Mächtigen im Lande anzulegen. Klar, dass das bei Bayer, RWE oder der Landesregierung nicht immer gern gesehen wurde.“ Warum eine Einbindung Döschners in den Machtbereich von Restle nicht zustande kam, ist unklar.
Der Fall des Journalisten ist exemplarisch für die Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Systems.
Aus einer guten Idee hat sich ein Monster entwickelt. Das völlige Versagen des gebührenfinanzierten Rundfunks ist in erheblichem Maße für die politischen Verwerfungen in der Bundesrepublik verantwortlich: Ohne die tatkräftige Unterstützung der GEZ-Sender und der Medien allgemein sind viele der katastrophalen politischen Fehlentwicklungen nicht denkbar – von der Massenzuwanderung über die Energiewende bis hin zur Corona-Politik.
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