Es war nicht Neugier, sondern Pflicht. Ein weiterer Tag im Maschinenraum des Journalismus. Bei der oft lästigen Berufspflicht der täglichen Nachrichtenlektüre stieß ich auf einen dieser Namen, die in der öffentlichen Wahrnehmung längst omnipräsent sind – bei mir aber bislang durchs Raster gefallen waren. „Haftbefehl“. Rapper, Ikone, Kulturphänomen. Ich kannte den Namen, aber nicht die Musik. Also hörte ich rein. Keine Lust, keine Vorfreude. Recherche eben.
Was ich zu hören bekam, war kein Klangteppich. Es war ein moralischer Erdrutsch.
Nicht wegen der Beats – sondern wegen der Botschaft. Mein erster Fund bei der Recherche war ein Auftritt im Format „Halt die Fresse“ auf AGGRO.TV. Und das saß. Schon in den ersten Sekunden schreit Haftbefehl: „Jetzt werden Mütter gefickt – Haftbefehl, was ist los, Mutterficker?!“ Dazu ein Rudel martialisch auftretender Männer im Hintergrund – ein optisches Echo auf den Künstlernamen. Kein Kunstgriff, keine Inszenierung mit Distanz – sondern rohes, aggressives Zurschaustellen. Im weiteren Verlauf folgen Zeilen wie: „Die Knarre sie glänzt, mein Messer es glänzt… die Huren aus Tschechei, die Kugel aus Blei, das Blut aus Fleisch… fick dein Knüppel rein, ich spreng dein Heim.“ Man fragt sich nicht mehr, ob das ernst gemeint ist. Man fragt sich nur noch, warum das niemand stört.
Und dann landete ich bei einem seiner bekanntesten Songs: „Ich rolle mit meim Besten“ – ein Titel, der nicht zufällig auch als obszöne Anspielung verstanden werden kann. Dort rappt er wörtlich: „Fick-deine-Mutter-Mukke, das ist die Message.“ Kein Zögern, keine Ironie, kein Augenzwinkern – sondern demonstrative Verachtung als Markenkern. In einem anderen Track prahlt er: „Ich ticke Kokain für die Juden von der Börse.“ Und in einem weiteren: „Fick die 110, fick deine Frau, fick dein Kind.“ Und dabei ist das nur ein kleiner Ausschnitt aus einem Gesamtwerk, das sich längst nicht mehr hinter Andeutung versteckt. Das ist keine Provokation. Das ist Zersetzung. Sexualisierte Gewalt, antisemitische Klischees, Angriffe auf Frauen, Kinder, Polizei – nicht mehr als Tabubruch, sondern längst als Verkaufsstrategie.
Ich war nicht empört. Ich war schockiert. Nicht über die Existenz solcher Musik – die gab es immer. Sondern über die Tatsache, dass genau diese Form von Entmenschlichung und Brutalisierung heute gefeiert wird: millionenfach geklickt, journalistisch verklärt, feuilletonistisch geadelt. Dass man das nicht nur duldet, sondern zum Kult erhebt – das sagt beängstigend viel über unsere Zeit. Es sind nicht die Grenzüberschreitungen selbst, die das Problem sind. Sondern die Standing Ovations dafür. Und sie kommen nicht von der Straße. Sie kommen aus der Mitte. Aus den Redaktionen, aus dem Kulturbetrieb, aus einer Gesellschaft, die lieber applaudiert als widerspricht – solange der Absender als unangreifbar gilt.
Als mir all das durch den Kopf ging, musste ich an Thomas Gottschalk denken.
Nicht an seine Aussage über Cher („die einzige Frau, die ich je ernst genommen habe“), nicht an den konkreten Shitstorm der Woche. Sondern an das Muster dahinter. Ich habe gerade erst einen neuen Text über ihn veröffentlicht – eine Analyse der kollektiven Erregung, die über Deutschland hereinbricht, wenn ein 70-Jähriger es wagt, Ironie öffentlich zu äußern. Der Mann macht seit Jahrzehnten genau das, was man von Entertainern erwartet: unterhalten. Doch heute reicht ein Halbsatz – und der mediale Dachstuhl brennt.
Gottschalk hatte niemanden beleidigt, niemanden bedroht, keine Gewalt verherrlicht. Er hatte lediglich einen Scherz gemacht – und zuvor, vor zwei Jahren, einmal öffentlich gesagt, was er wirklich denkt. Und kritisiert, dass man heute nicht mehr sagen dürfe, was man denke. Und das reicht inzwischen, um medial behandelt zu werden wie ein Gefährder. Die Empörung kam wie immer: reflexartig, hysterisch, maßlos.
Und dann höre ich, wie ein Rapper Mütter beleidigt, Gewalt glorifiziert, Menschen entmenschlicht – und dafür gefeiert wird. In genau diesem Moment war mir klar: Da ist sie wieder. Die selektive Empörung. Und zwar in besonders krasser Form. Mein erster Impuls: wegklicken. Mein zweiter: Nein. Du musst das beschreiben. Auch wenn es schwer fällt. Ja gerade dann.
Denn Haftbefehl ist nicht das Problem. Er macht, was er immer gemacht hat. Das Problem ist die Gesellschaft, die ihn beklatscht – und dabei glaubt, besonders fortschrittlich zu sein. Die sich aufbläht vor Tugend, wenn ein weißer Boomer über Cher spricht – und verstummt, oder verzückt zur Feder greift, wenn ein migrantischer Rapper seine Gewaltfantasien ins Mikrofon schreit.
In der Zeit „wird“ Haftbefehl als einer beschrieben, dessen Musik „radikal authentisch und ungefiltert“ sei. Manche Haltungs‑Journalisten zeichnen ihn gar als Chronist der Straße. Und in diversen Feuilletons wird sein Stil als sprachgewaltig gewertet – man hat fast den Eindruck, mancher Journalist vergießt Tränen der Rührung. Preise werden verliehen, Streamingzahlen steigen ins Astronomische, und ausgerechnet jene, die sich sonst für Antidiskriminierung starkmachen, tanzen zu Texten, in denen Frauen und Mütter mit pornografischer Wut zum Ziel erklärt werden.
Und niemand sagt: Moment mal.
Denn Kritik wäre gefährlich. Wer Haftbefehl kritisiert, riskiert sofort, als rückständig oder gar rassistisch zu gelten. Also schweigt man. Oder man klatscht gleich mit. Kulturelle Aneignung ist verboten – aber moralische Kapitulation scheint Pflicht.
Die neue Regel lautet: Nicht was gesagt wird, entscheidet über Akzeptanz. Sondern wer es sagt.
Und so ist das größte Missverständnis unserer Zeit nicht, dass wir zu empfindlich geworden sind. Sondern dass wir unsere Empfindlichkeit nach Belieben dosieren. Dass wir Menschen nicht mehr nach dem Inhalt ihrer Worte beurteilen – sondern nach Hautfarbe, Herkunft, Gesinnung.
Gottschalk ist alt, weiß, reich – also ideale Projektionsfläche. Haftbefehl ist jung, migrantisch, rebellisch – also sakrosankt. Dass auch er längst zu den Reichen gehört, auf Millionenvermögen geschätzt wird und seine Luxusuhren nicht im Ghetto kauft, wird dabei geflissentlich übersehen. Im Land des kultivierten Sozialneids gilt Reichtum offenbar nur dann als anstößig, wenn er von der falschen Seite kommt.
Diese Doppelmoral ist nicht einfach nur schreiend. Sie ist zerstörerisch. Denn sie zersetzt das, was eine offene Gesellschaft eigentlich ausmacht: gleiche Maßstäbe für alle. Natürlich gehört Übertreibung, Provokation, auch Gewalt-Rhetorik zum Stilmittel des Rap – das ist bekannt, das darf auch sein. Aber wenn Gewaltfantasien beklatscht und harmlose Sätze gejagt werden, dann ist klar: Es geht längst nicht mehr um Inhalte – sondern um Absender. Und um die Doppelmoral derer, die sich für moralisch überlegen halten.
Nicht der Rapper, nicht der Entertainer sind das Problem. Sondern die Mehrheit, die das mitmacht – und sich dabei für aufgeklärt hält. Die sich für sensibel hält – und längst nur noch selektiv hinsieht. Deren moralischer Kompass nicht mehr nach Norden zeigt, sondern im Kreis rotiert – wie ein Windrad auf Speed.
Wie ich es in meinem Gottschalk-Text formuliert habe: Das Problem ist eine Gesellschaft, in der man sich für Ironie entschuldigen muss – aber nicht für Verrohung.
Genau das ist der Punkt: Wir leben in einer Gesellschaft, die sich den Anschein von Fortschritt gibt – aber innerlich längst kapituliert hat. Die lieber auf Symbole eindrischt als auf Strukturen blickt. Die sich über Halbsätze empört, aber echten Hass durchwinkt (und ich rede ausdrücklich nicht von Meinungsäußerung, die heute unter dem Etikett „Hass“ kriminalisiert wird). Die sich lieber über Sprache aufregt als über Gewalt. Weil es bequemer ist. Weil es keine Konsequenzen hat. Und weil es Applaus bringt – aus der „richtigen“ Ecke.
Und so sitzt Haftbefehl am Schreibtisch – und weiß vermutlich ganz genau, was er tut. Er provoziert nicht versehentlich. Er produziert kalkulierte Grenzverletzungen. Weil sie heute Erfolg garantieren. Weil das System, das sich moralisch gibt, innerlich längst nach Tabubrüchen giert. Nach Reiz. Nach Skandal. Hauptsache: in der richtigen Verpackung.
Wir sind eine Gesellschaft, die innerlich so abgestumpft ist, dass sie ohne extreme Reize kaum noch etwas spürt. Eine Gesellschaft, die emotional verkümmert ist – und sich deshalb durch Schock, Gewalt, Obszönität künstlich lebendig fühlen muss. Es ist wie ein kalter Körper, der mit Elektroschocks zum Zucken gebracht werden soll. Aber was dabei entsteht, ist keine Lebendigkeit – sondern eine Perversion davon.
Haftbefehl liefert. Gottschalk nicht. Deshalb wird der eine zum Star – und der andere zum Sündenbock.
Vielleicht sollte Gottschalk wirklich ein Rap-Album aufnehmen. Titel: „Ich darf nichts mehr sagen.“ Mit Beats von Haftbefehl. Mit Gewalt-Fantasien und Sex-Sprüchen. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit dem Feuilleton. Und dann stünde er nicht mehr am Pranger – sondern auf der Shortlist für den Grimme-Preis.
HELFEN SIE MIT –
DAMIT DIESE STIMME HÖRBAR BLEIBT!
Im Dezember 2019 ging meine Seite an den Start. Heute erreicht sie Millionen Leser im Monat – mit Themen, die andere lieber unter den Teppich kehren.
Mein Ziel:
Sie kritisch durch den Wahnsinn unserer Zeit zu lotsen.
Ideologiefrei, unabhängig, furchtlos.
Ohne Zwangsgebühren, ohne Steuergelder oder Abo‑Zwang. Ohne irgendjemanden zur Kasse zu bitten. Nur mit Herzblut – und mit Ihnen an meiner Seite. Jede Geste, ob groß oder klein, trägt mich weiter. Sie zeigt: Mein Engagement – mit all seinen Risiken und schlaflosen Nächten – ist nicht vergeblich.
Der direkteste Weg (ohne Abzüge) ist die Banküberweisung:
IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71.
Alternativ sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – allerdings werden dabei Gebühren fällig. Über diesen Link
Auch PayPal ist wieder möglich.
Nicht direkt – aber über Bande, dank Ko-fi:
Über diesen Link
(BITCOIN-Empfängerschlüssel: bc1qmdlseela8w4d7uykg0lsgm3pjpqk78fc4w0vlx)
Wenn Ihr Geld aktuell knapp ist – behalten Sie es bitte. Niemand muss zahlen, um kritisch informiert zu bleiben. Mir ist es wichtig, dass jeder hier mitlesen kann – ohne Ausnahme. Gleichzeitig bin ich umso dankbarer für jede Unterstützung, die keinen Verzicht abverlangt. Jede Geste, ob groß oder klein, ist für mich ein wertvolles Geschenk und trägt mich weiter.
Dafür: Ein großes Dankeschön– von ganzem Herzen!
Meine neuesten Videos und Livestreams
CDU-Außenminister gibt jetzt die Baerbock – Moral-Wahn statt Vernunft, und wir alle zahlen den Preis
Heute Bolz – morgen Sie? Warum diese Hausdurchsuchung ein gezieltes Warnsignal an uns alle ist
Real-Satire pur: Von der Leyen lobt Freiheit – und vor ihren Augen nimmt Polizei Kritiker fest
Bild: Screenshot XBitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr zum Thema auf reitschuster.de





