Es ist nun schon eine gute Weile her, seit ich regelmäßig bei der Bundeswehr als Dozent tätig war. Von Sonthofen bis Aachen, von Eutin zwischen Kiel und Lübeck bis Overviechtach im Bayerischen Wald, von Mariendorf im sächsischen Erzgebirge bis Pasewalk im Landkreis Vorpommern-Greifswald – in der ganzen Republik war ich unterwegs. Und die vielen, vielen Begegnungen mit Bundeswehr-Angehörigen haben ganz wesentlich dazu beigetragen, dass ich über die journalistische Blase hinaus blickte und die Realität fernab des Berliner Elfenbeinturms besser kennenlernte. Für viele meiner Kollegen sind all die Militärs, mit denen ich viel Zeit verbrachte, einfach „Pöbel“, den sie erziehen wollen. Mir wurde klar, wie arrogant und dumm so eine „Haltung“ ist. Und, dass viele dieser Menschen weitab von Berlin sehr viel klüger sind als viele Politiker und Journalisten.
Heute musste ich an diese Zeit zurückdenken, die ich nicht missen möchte. Aber auch nicht wiederholen wollte. Denn ich war damals fast immer mit dem Zug unterwegs. Auch sehr viel abends und nachts, wenn es zu weit abgelegenen Standorten ging. Heute traute ich meinen Augen nicht, als ich auf der „Bild“-Seite einen Artikel mit folgender Überschrift las: „Uelzen: 18-Jähriger stößt Mann (55) in Bahnhof von Treppe – tot!“
Nein, ich traute meinen Augen nicht deshalb nicht, weil so etwas so ungewöhnlich wäre. Leider, leider, leider sind solche Meldungen von tödlicher Gewalt in Deutschland heute ja Alltag geworden. Wir haben uns viel zu sehr daran gewöhnt. Was mich heute besonders erschütterte: Beim Öffnen des Artikels erkannte ich sofort die Bahnhof-Unterführung im Hundertwasser-Bahnhof Uelzen wieder. Sie war mir damals aufgefallen und in Erinnerung geblieben – mit ihrer Holzvertäfelung, die mich an einen Schacht erinnert, so originell, dass sie sich mir eingeprägt hatte, als ich dort umstieg.
Ich schaute in meinen Unterlagen nach – es war 11. und 12. März 2019, als ich dort jeweils umstieg, auf der Fahrt zum Bundeswehrstandort Münster (Örtze) in Niedersachsen.
Wenn man selbst an einem Ort war, der zum Tatort wurde, geht einem eine Tat noch viel näher. Ich sagte mir: Das hättest auch du sein können, der da umgebracht wurde!
Und ich sagte mir: Wie gut, dass ich nicht mehr durch Deutschland reisen und nachts umsteigen muss – damals im Jahr 2019 war einer der Umstiege von 20.46 Uhr bis 21.07 Uhr.
Schon damals lungerten öfter merkwürdige Gestalten an den Bahnhöfen herum. Doch das alte Sicherheitsgefühl aus alten Zeiten war offenbar noch nicht völlig verloren.
Heute ist das anders. Und ich bin in Gedanken bei all denen, die regelmäßig auch nachts mit der Bahn fahren müssen. Wo teilweise Zustände herrschen, die einfach jeder Beschreibung spotten (siehe meinen Bericht „Überfallen, angespuckt, beleidigt, bedroht“: Der Horror in Thüringens Zügen, Eisenbahner schließen sich aus Angst vor Migranten sogar selbst ein“).
Konkret schreibt die „Bild“ über die tödliche Attacke: „Unfassbares Verbrechen im Hundertwasser-Bahnhof im niedersächsischen Uelzen! In der Nacht zu Sonntag stieß ein junger Marokkaner (18) einen 55-Jährigen die Treppe zum Gleis hinunter. Das Opfer erlitt ein schweres Schädelhirntrauma und starb auf den Stufen!“ Das Opfer ist ein Mann aus Lüneburg. Gegen 1.30 Uhr war er auf dem Weg zum Gleis 302 offenbar zufällig dem 18-Jährigen begegnet, wie es in dem Bericht heißt: „Plötzlich erhielt der 55-Jährige auf der Treppe einen Stoß oder Tritt, fiel die Stufen hinunter und blieb regungslos liegen.“
Der Tatverdächtige hat laut Polizei schon am Nachmittag in der Innenstadt einen Taschendiebstahl begangen und soll am Zentralen Omnibus Bahnhof (ZOB) einem 31-Jährigen ins Gesicht geschlagen haben. Weiter schreibt das Blatt: „Damit er keine weiteren Straftaten verübt, kam er in Polizeigewahrsam. Um 21 Uhr wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt – und stieß wenig später den 55-Jährigen offensichtlich in den Tod.“
Wieder einmal ist unsere Kuschel-Justiz zumindest indirekt dafür verantwortlich, dass jemand den Tod fand.
Wie oft muss sich all das noch wiederholen, bevor die schweigende Mehrheit in Deutschland aus ihrer Apathie und ihrer Verdrängung aufwacht und/oder ihre Angst überwindet und etwas unternimmt gegen diese Zustände? Wie viele Menschen müssen noch sterben, bevor entweder unsere Medien aufhören, uns mit Nebelkerzen wie Dauer-Berichten über „Ausländer raus“-Rufen von den wirklich drängenden Problemen ablenken oder die Mehrheit klug genug wird, um dieses Ablenken zu durchschauen?
Was muss noch alles geschehen, damit diesem Wahnsinn Einhalt geboten wird und die Politik endlich gedrängt wird, etwas zu unternehmen, dass unser öffentlicher Raum wieder so sicher wird, wie er früher war?
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