Diskriminierung, so habe ich das damals in der Schule gelernt, ist, und wenn jemand aufgrund seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt wird. Genau so sieht es das Grundgesetz – und verbietet diese Diskriminierung in Artikel drei.
Das Diskriminierungsverbot ist eines der heiligsten, unveräußerlichsten Grundrechte, eine der wichtigsten Lehren aus dem Dritten Reich. Unter den Nationalsozialisten wurden Menschen aufgrund der aufgezählten Kriterien nicht nur massiv diskriminiert, sondern millionenfach umgebracht. Darum bindet Artikel drei des Grundgesetzes nicht nur den Staat, sondern strahlt auch ins Privatrecht hinein. So ist es heute etwa in Deutschland verboten, wenn jemand in einer Vermietungsanzeige schreibt, dass er nur an Deutsche vermiete. Das musste gerade ein alter Mann in Augsburg erfahren, der dafür zu einer deftigen Strafe verurteilt wurde.
Das Urteil wurde hoch gelobt. Und jetzt bitte Hand aufs Herz: Wo ist der Unterschied, ob ein Vermieter seine Wohnung nur nach Nationalität vermieten will, oder ob ein Gastwirt seine Tische nur nach politischer Überzeugung zur Verfügung stellt? Man könnte nun einwenden, seine Nationalität (wohl aber die Staatsbürgerschaft) könne im Gegensatz zur politischen Überzeugung niemand ändern – aber das wäre zynisch und würde dem Grundgedanken von Artikel drei unserer Verfassung Hohn sprechen – also einem der heiligsten Prinzipien unserer Gesellschaft.
Aber genau diese Doppelmoral treffen wir im Deutschland des Jahres 2020 an. Und sie wird von vielen bejubelt – wohl gerade auch von denjenigen, die am lautesten das Augsburger Urteil loben. Michael Klonovsky, mit dem ich viele Jahre im „Focus“ zusammenarbeitete, und der heute für die AfD tätig ist, musste das gerade am eigenen Leib erfahren (und ist beileibe nicht der Erste).
Klonovsky war gemeinsam mit AfD-Chef Jörg Meuthen im Berliner Ristorante „Cinque“ in der Reinhardtstraße 27, wie er auf seinem Blog erzählt. Der frühere Chef vom Dienst beim Focus ist bzw. war dort Stammgast, und ließ nach eigenem Bekunden viele Tausend Euro in dem edlen Restaurant. Beim Gehen, so schreibt Klonowsky, „trat der Geschäftsführer auf uns zu und erklärte, er habe diesmal noch aus Freundlichkeit eine Ausnahme gemacht, aber in Zukunft wünsche er keine Besuche mehr von Leuten wie uns. Er verwies auf einen angeblichen oder tatsächlichen New Yorker Gesellschafter, der Gäste wie Jörg Meuthen in seinem Lokal nicht dulde.“
Weiter schreibt der Kollege: „Man versteht immer mehr, wie geölt das weiland mit den Judenboykotten oder der Rassentrennung in den USA lief; es ist ja dieselbe Mentalität, dasselbe trendbefolgungsgeile Meutenbehagen beim Ausschließen, dasselbe restlos gute Gewissen beim Stigmatisieren, dasselbe lobesbegierige Petzerwesen.“
Bei so einem Vorfall – und es gibt leider viele davon – zeigt sich genau die Grenzlinie zwischen Demokraten und Pseudodemokraten: Ich hatte politisch meine Konflikte mit dem Kollegen Klonovsky, was aber nie ins menschliche Miteinander hineinwirkte. Und ich halte es immer für problematisch, wenn Journalisten die Seiten wechseln, also zu Pressesprechern von denen werden, die sie kontrollieren sollten. Auch, weil man dann zuweilen rückwirkend mit anderen Augen darauf schaut, dass die Distanz zu denen, in deren Dienst die Kollegen später wechselten, in ihrer Zeit als Kontrolleure nicht allzu groß war. Zwei für die Hauptstadt-Politik zuständige Focus-Kolleginnen sind heute Sprecherinnen von Angela Merkel, Klonovsky arbeitet für die AfD (wobei er in der Redaktion für die nicht zuständig war).
Meine tiefe Überzeugung ist: Wenn Menschen aufgrund der im Grundgesetz in Artikel drei aufgezählten Faktoren diskriminiert werden, wenn sie aufgrund dieser etwa vom Besuch eines Restaurants ausgeschlossen werden, dann muss sich jeder aufrichtige Demokrat dagegen einsetzen. Egal, ob ein Kommunist so behandelt wird, oder ein Rechtsradikaler. Streng genommen ist auch der heute in vielen Lokalen übliche Hinweis, Rassisten würden nicht bedient, ein Verstoß gegen das Grundprinzip unserer Demokratie. Im Grundgesetz steht nirgends, dass die Grundrechte nicht für Rassisten gelten. Dieser Einwand wiegt vor allem deswegen schwer, weil der Vorwurf des „Rassismus“ heute inflationär und als politischer Kampfbegriff gegen Andersdenkende gebraucht wird. Wer bitte definiert, wer Rassist ist und damit nicht bedient werden darf?
Die Causa Meuthen/Klonovsky zeigt, wie viel im Argen liegt in unserer angeblich so toleranten, bunten und offenen Gesellschaft: Diejenigen, die diese Werte am lautstarksten einfordern, treten sie mit Füßen, und zwar genau dann, wenn sie wirklich gefordert wären, wenn es wirklich unbequem wäre, für sie einzustehen – und nicht Gratis-Mut. Gerade die Verfechter dieser Werte haben sie pervertiert. Stolz sein auf Toleranz und Offenheit für die eigene Meinung – es geht kaum absurder. Viele sind intolerant, einfarbig und verschlossen – sobald es um andere Meinungen geht. Jeder anständige Demokrat müsste sich heute eigentlich hinstellen und sagen: „Ich setze mich für die Grundrechte von Meuthen ein!“ (übersetzt in die Sprache linker Aktivisten würde das heißen „Ich bin Meutgen!“)
Um ihn in Ruhe essen zu lassen – und ihn dann gerne auf das Schärfste zu kritisieren und heftigst mit ihm zu streiten. Satt. Dass so eine Solidarität heute undenkbar ist, ja dass sogar ich – das muss ich ganz ehrlich gestehen – zauderte, ob ich das so sagen bzw. schreiben kann, ja, offen gestanden, Angst hatte, das zu tun, zeigt, wie weit wir vom Ideal einer freiheitlichen Demokratie entfernt sind. So weit, dass inzwischen Prominente den Mitgliedern der AfD das Menschsein absprechen – und dafür massiven Applaus bekommen. So weit, dass manche Mitglieder der Partei heute kein normales Leben mehr führen können, und davon sogar Familienmitglieder von ihnen betroffen sind.
Die Angst vor dem Verdacht, Sympathien vor der „falschen“ Partei zu haben, wiegt schwerer als Zivilcourage und Einsatz für unsere Grundwerte. Weil so viele dazwischen nicht mehr unterscheiden können. Der Rechtsanwalt und SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier erklärt, er begrüße die Zivilcourage der Restaurantleitung. Viele Reaktionen erinnern eher an Pawlowsche Reflexe denn an das Resultat von Abwägungen mündiger Bürger. Leider auch bei vielen Journalisten. Dabei müssen gerade wir zu allen (!) Parteien Distanz halten – und nicht nur zu einer. Wer das heute tut, wird sofort in ein bestimmtes Eck gedrängt. Die Mechanismen dabei erinnern fast schon an den Zwang zum Grüßen des Geßlerhuts in der Wilhelm-Tell-Geschichte. Wer sich den einschlägigen Ritualen verweigert, steht sofort unter Generalverdacht. Das hat fast schon etwas Mittelalterliches.
Ein echter Demokrat muss die Grundrechte verteidigen. Auch und gerade die Grundrechte derjenigen, denen er politisch nicht nahesteht. Im Zweifelsfall müsste ich morgen auch Sarah Wagenknecht oder Anton Hofreiter lautstark verteidigen, sollte diesen Ähnliches widerfahren wie Meuthen. So schwer das heute vorstellbar scheint – die Geschichte zeigt, wie leicht sich die Zustände kolossal ändern können, und das Pendel massiv umschlagen, wenn in einer Gesellschaft die Extreme den Ton angeben, wenn sie sich von grundlegenden demokratischen Grundsätzen entfernt, wie unsere das heute tut.
P.S.: Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 in einem ähnlich gelagerten Fall grundsätzlich festgestellt, jeder Privatmann könne entscheiden, mit wem er Geschäfte abschließe – nach dieser Logik müsste dann aber der Augsburger Vermieter von Karlsruhe gerechtfertigt werden, der für seine „Vermietung nur an Deutsche“ veurteilt wurde. In einem früheren Karlsruher Beschluss – von 2018 – war allerdings auch davon die Rede, dass das Hausverbot einen „sachlichen Grund“ haben müsse. Ich muss offen gestehen: Ich habe in das Verfassungsgericht von 2018 mehr Vertrauen als in das von 2019. Und ich habe etwas Angst vor dem Verfassungsgericht 2020…
P.S.: Hier eine Reaktion auf diesen Artikel auf facebook – die leider zeigt, wie aktuell das Geschilderte ist:
David gegen Goliath
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Bilder: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, Pixabay