Merkel als Weihnachtsfrau Kanzlerinnen-Kult nimmt absurde Züge an

Bei Wladimir Putin machte ich mich gerne lustig darüber, dass der Staatschef oft mitten im Jahr wie ein Weihnachtsmann agiert. Bei Besuchen in der Provinz oder den sogenannten „Bürgersprechstunden“ verteilt er oft großzügig milde Gaben – bis hin zu Straßen- oder Wasseranschlüssen, etwa für Rentner. So ein Schauspiel sei einer Demokratie unwürdig. Es beweise, dass die normalen demokratischen und wirtschaftlichen Mechanismen im Land nicht funktionieren. Und es widerspreche dem Grundprinzip vom mündigen Bürger als oberstem Dienstherren der Politiker, wenn diese in der Manier eines Zaren Wohltaten verteilen.

Und jetzt das. Auch bei dieser Frage ist mir wie bei so vielem, was ich in Russland kritisierte, genau diese Kritik im Halse stecken geblieben. Als mir ein Leser diese Nachricht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) schickte, die er auf Facebook fand – mit der Überschrift: „92-Jährige wünscht sich WLAN für ihr Pflegeheim – Merkel verspricht Hilfe“.

https://www.facebook.com/RedaktionsNetzwerkDeutschland/posts/1027682751031360

Hand aufs Herz: Würden wir da nicht eher erwarten, dass da statt „Kanzlerin“ Kim Jong-un steht? Putin habe ich extra nicht als Beispiel genannt, weil, anders als Deutschland, zumindest die zentraleren Teile Russlands in Sachen Internet kein Entwicklungsland mehr sind.

Der Artikel des RND, welches mehr als 50 Zeitungen in Deutschland mit Artikeln beliefert und zu dessen Eigentümern die SPD gehört, beginnt wie folgt – ganz in der Tradition von liebedienerischen Medien in autoritären Regimen: „Im Rahmen eines ‘Bürgerdialogs‘ spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag per Videokonferenz mit Pflegebedürftigen, Pflegekräften und Vertretern von Pflegeeinrichtungen, dabei geht es auch um die Lage in der Corona-Pandemie. Vor allem eine 92 Jahre alte Bewohnerin eines Pflegeheims in Bopfingen in Baden-Württemberg beeindruckt die Kanzlerin mit ihrem sehr nachvollziehbaren Problem.“

Weiter heißt es: „Friede Valentin erzählt Merkel zunächst, wie es ihr während der Corona-Pandemie ergehe und sagt, dass diese „wahrhaftig kein Segen“ sei. Es sei allerdings eindrucksvoll, wie das Virus die Hilfsbereitschaft wachgerüttelt habe.“ Sodann der Weihnachtsmann-Moment: „Merkel will dann wissen, ob die Seniorin mit einem Laptop klarkommen würde. Auch das sollte kein Hindernis sein, entgegnet Friede Valentin, sie sei sich sicher, dass die Pfleger ihr das beibringen könnten. Die Kanzlerin ist beeindruckt und verspricht: ‘Da muss ich mal mit dem Herrn Kretschmann reden, dass Sie WLAN bekommen.‘“ Winfried Kretschmann ist der Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Ist das noch Journalismus? Oder eher Ikonenmalerei?

Fest steht: Es ist leider keine Ausnahme. T-Online brachte im Winter einen Artikel über Merkel mit der Überschrift: „Licht in der Finsternis“. Und als solche feierte Chefredakteur Florian Harms, der früher beim Spiegel war, die Regierungschefin.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Doch ich erspare Ihnen das.

Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Diese unterwürfige Bauchpinselei, oder dass offenbar viele Leser und Zuschauer gar nicht bemerken, auf welche Abwege sich viele Medien begeben haben.

Stellen Sie sich für einen Moment einen solchen Beitrag über einen Helmut Kohl vor. Oder Helmut Schmidt. Ja selbst bei Gerhard Schröder wäre es völlig abwegig gewesen, dass er in einer Überschrift als „Licht in der Finsternis“ bezeichnet worden wäre. Weil der Abstumpfungs-Moment so groß ist, zeigt erst so ein Vergleich, wie weit Medien und Politik abgedriftet sind.

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Bild: Blubberfish/Pixabay bearbeitet von Ekaterina Quehl / privat
Text: br
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