Tod nach 15 Messerstichen – nur Körperverletzung?

Nach der Tragödie von Augsburg, als eine Gruppe von sieben jungen Männern im Herzen der Stadt einen 49-Jährigen Feuerwehrmann angriff und totschlug, gab es schnell Kritik an den Augsburger Staatsanwälten, etwa im Spiegel. Dort machte der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer kaum verholen seinem Unmut Luft, dass die Strafverfolger im strengen Bayern von einem Totschlag ausgehen. Der stramm im linksgrünen Zeitgeist marschierende Ex-Bundesrichter tendierte ganz offensichtlich zu Milde, und Richtung Körperverletzung mit Todesfolge tendiert (nachzulesen hier)

Viele Nicht-Linke nehmen Fischer nicht ernst. Sollten sie aber. Denn gerade in den Führungsebenen in Politik, Medien und Justiz denken viele wie er – und hören ihm aufmerksam zu. Er ist eine Art Fleich gewordener Lackmustest für die größtmögliche rotgrüne Realitätsferne in Justizfragen. Nach dem Tod des Feuerwehrmanns in meiner Heimatstadt Augsburg, der mir auch aufgrund persönlicher Betroffenheit sehr nahe ging (siehe hier), schrieb ich, dass genau so eine verharmlosende Herangehensweise der Justiz in vielen Bundesländern heute üblich sei – und bei vielen Gewaltbereiten geradezu als Freibrief anzukommen droht.

Und jetzt das: „Die beiden Brüder stachen 15 Mal auf ihr Opfer ein“ – unter dieser Überschrift las ich gestern einen Artikel in der Welt. Weiter heißt es da: „Die beiden Brüder aus Herford und Lüdinghausen sollen Ende Mai aus Rache einen 32-Jährigen mit zahlreichen Messerstichen getötet und an einer Straßenkreuzung in Hiddenhausen bei Herford liegen gelassen haben. Der Mann verblutete.“ Sodann ist die Schilderung der „grausamen Details“ durch den Staatsanwalt zu lesen: „So soll einer der Angeklagten mit einer 15 Zentimeter langen Klinge zuerst 15-mal zugestochen haben. Dabei wurden zahlreiche Organe verletzt und eine Rippe durchtrennt. Ein Stich war 23 Zentimeter tief. Dann folgten zehn weitere Stiche in den Rücken.“

Im dritten Absatz erfährt zumindest der ausdauernde Leser, dass es sich bei den beiden Angeklagten um einen Türken und einen Deutsch-Türken handelt, und erst im vierten Absatz – also da, bis wohin sich wohl die meisten gar nicht durchkämpfen in diesen hektischen Zeiten, kommen dann die entscheidenden Informationen in dem Text der Welt: „Die Anklage lautet auf gemeinschaftliche Körperverletzung mit Todesfolge. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft die Männer wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt. Dies hatte das Gericht nicht zugelassen.“ Und weiter: „Der Vorsitzender Richter Georg Zimmermann begründete dies nach Verlesung der Anklage mit den fehlenden Mordmerkmalen. Niedrige Beweggründe oder Heimtücke könne das Gericht wie von der Staatsanwaltschaft angegeben nicht erkennen.“ Damit ist der Artikel – bis auf zwei weitere kurz Sätze zu Ende.

Formal ist damit zwar allen journalistischen Ansprüchen Genüge getan. Aber eben nur formal. „Hund beißt Mann“ ist keine Meldung, „Mann beißt Hund“ dagegen sehr wohl. Das lernt man ganz am Anfang jeder journalistischen Ausbildung. Im vorliegenden Fall würde ich als Journalist, der jahrelang Polizeimeldungen schrieb und auch Gerichtsberichte, sagen: Dass bei einem besonders grausamen Tötungsdelikt, das die Staatsanwaltschaft für Mord hält, das Gericht offenbar nicht einmal eine Anklage wegen Totschlags zugelassen hat, sondern von vorne herein nur wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ ermittelt, ist der Aspekt, der journalistisch das größte Interesse darstellt, und im Mittelpunkt eines Berichts stehen sollte – und damit auch in der Überschrift oder zumindest im Vorspann.

In der vorliegenden Form gleicht der Bericht (und andere Medien wie T-Online oder die Süddeutsche halten es ähnlich) wenn nicht einer Irreführung zumindest des eiligen Lesers, so auf jeden Fall einem Einlullen. Genau solch eine Art von Journalismus – hier noch dazu in einer Zeitung, die für ein konservatives Publikum schreibt – führt zu massivem Misstrauen gegenüber unserem Berufsstand. Von der „Haltung“ des Gerichts erst gar nicht zu reden. So werden fatale Signale ausgesendet. Und man hat den Eindruck, dies geschieht fast täglich.

Wenn unsere Probleme – wie etwa einer allzu milden mit Gewalttätern gerne mitleidige Justiz – in den Medien nicht klar benannt und thematisiert werden, sondern höchstens schamhaft in den hinteren Absätzen versteckt, kann sich an diesen Problemen nichts ändern. Und das Vertrauen in die Medien sinkt, und sinkt, und sinkt. Und schuld sind, wie gerade bei „Lanz“ im ZDF zu erfahren war, böse Menschen wie Maaßen, die sich trauen, nicht einfach brav zu beschwichtigen und den Mund zu halten, sondern die Missstände beim Namen zu benennen. Ich bitte den Galgenhumor zu entschuldigen – er ist Notwehr in diesen Zeiten, ohne ihn würde man verzweifeln.


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Bilder: Screenshots ZDF

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