Wo jemand lebt, ist generell seine Privatsache. Niemand geht es etwas an, ob einer in einer Wohngemeinschaft, einer heruntergekommenen Altbauwohnung oder einer Luxusvilla lebt. Nicht ganz so privat ist die Frage des Wohnsitzes bei Spitzen-Politikern, die sich freiwillig an die Öffentlichkeit begeben haben. Und deshalb hat es auch eine politische Komponente, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich jetzt gemeinsam mit seinem Ehemann Daniel Funke eine Luxusvilla in einem Berliner Nobelviertel gekauft hat. Ein ganzes Vermögen soll die Villa mit 300 Quadratmetern gekostet haben, und es soll auch noch renoviert werden.
Spahn ist 2002 in den Bundestag eingezogen und wurde damit mit 22 Jahren Berufspolitiker. Politisch relevant wird die private Kaufentscheidung allein durch den Fakt, dass sie nach Informationen von RTL in der Coronakrise gefallen ist. Demnach soll sich Spahn in seiner jetzigen Eigentumswohnung im Berliner Stadtteil Schöneberg nicht mehr uneingeschränkt wohl gefühlt haben. Mehrmals sei er in den vergangenen Wochen vor seiner Haustür angesprochen worden, dabei seien nicht immer positive Worte gefallen, heißt es aus dem Umfeld des CDU-Politikers. Dabei ist es für eine Demokratie ausgesprochen wichtig, dass Politiker auch mit den negativen Folgen bzw. Reaktionen auf ihre Politik konfrontiert werden. Diese Rückkoppelung mit der Realität ist umso wichtiger, wenn die Medien diese Kritik-Funktion kaum noch erfüllen.
Laut RTL ist der Impuls zum Umzug von Spahns Ehemann gekommen. Funke habe sich in der Wohnung mit dem kleinen Balkon eingeengt gefühlt. Der Wunsch nach etwas mehr Platz sei größer geworden. Das ist insbesondere deshalb politisch relevant, weil Spahn ja als Bundesminister durchaus dafür eintritt, dass relativ schnell Menschen in häusliche Quarantäne gesetzt werden. Wenn es ihm und seinem Ehemann schon ohne Quarantäne in einer sicher eher großzügig angelegten Stadtwohnung zu eng ist – wie sollen sich dann weniger gut aufgestellte Bundesbürger fühlen, die nicht ein 300 Quadratmeter großes Grundstück in einem Nobelviertel ihr eigen nennen können? Spahns Kaufentscheidung zeigt: Vielen Politiker fehlt heute der Bezug zu der Lebenswirklichkeit der Bürger. Anders ist solche Instinktlosigkeit in der Krise nicht zu erklären.
Bemerkenswert ist auch die Korrelation von Einkommen und Ausgaben. Spahn kommt als „Doppelverdiener“ – Abgeordneter und Minister – laut Presseberichten auf rund 20.000 Euro im Monat. Auch Funke, der das Hauptstadt-Büro von Hubert Burda Media leitet (der direkte Draht des Ministers zur Presse liegt damit in der Familie), dürfte wohl klar über dem Berliner Durchschnittsgehalt von 42.550 Euro pro Jahr liegen. Zudem soll Funke der gleichnamigen, millionenschweren Mediengruppe (13 Zeitungen bundesweit) nicht ganz fremd sein. Auch das könnte die Investition in erheblicher Höhe erklären. Wobei der Möchtegern-Kanzler vielleicht kreditwürdiger ist als andere, weil Minister sich ja heutzutage sehr lukrativer „Anschlussverwendungen“ sicher sein können? Jedenfalls hat es ein „Geschmäckle“, wenn der Gesundheitsminister solche Summen ausgibt, während das Land in der schwersten Wirtschaftskrise nach dem Krieg ist und viele Menschen wegen Mietrückständen um ihre Wohnung zittern müssen – aufgrund der Politik von Spahn.
Der CDU-Politiker, sorgte einst für Schlagzeilen mit seiner Aussage, Hartz-4 sei keine Armut. Als er daraufhin aufgefordert wurde, einmal einen Monat mit Hartz-4-Bezügen zu leben, lehnte er das ab mit dem Hinweis, sein beruflicher Alltag sei zu weit entfernt von der Hartz-4-Realität. In meiner Wahlheimat Russland gibt es eine Redensart, die exzellent zu Spahns Kaufentscheidung passt: „Ein Fest während der Pest.“
Bild: Olaf Kosinsky/Wikicommons/CC BY-SA 3.0 / bearbeitet / ReitschusterText: br