Moralischer Größenwahn

Täglich grüßt das Murmeltier: Immer wieder, wenn man glaubt, man könne sich über nichts mehr wundern, präsentiert einem die deutsche Wirklichkeit im Jahr 2020 ein neues Staunen.

„ARD-Kommentar im Stürmer-Stil“ – unter dieser Überschrift fand ich heute früh in meinem Postfach eine Mail von einem alten jüdischen Bekannten – den ich wegen seines Intellektes sehr schätze, wegen seiner intellektuellen Bissigkeit aber auch ein wenig fürchte. Unter der bösen Überschrift sandte er mir den Kommentar aus den Tagesthemen vom 23.1.2020. zum Holocaust-Gedenktag in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.

So weit wie mein Bekannter – zu einem Vergleich mit dem Nazi-Blatt Stürmer – würde ich nie gehen – aber ihm als Jude gestehe ich zu, dass er in seiner Betroffenheit auch verbal etwas über das Ziel hinausschießt. Denn der Kommentar in dem gebührenfinanzierten Sender (und nicht nur die Medien-Reaktion dort) machte auch mich wütend: Es ist schon ein starkes Stück und zeugt von moralischem Größenwahn, wenn ausgerechnet im Ersten Kanal in Deutschland dem Judenstaat vorgeworfen wird, er instrumentalisiere das Andenken an den Völkermord an den Juden – durch die Deutschen. Leider ist das eine Tendenz, die öfter zu bemerken ist: Die Nachfahren der Täter gebären sich als Bewährungshelfer für die Nachfahren der Opfer und wollen diesen vorschreiben, was sie für Lehren zu ziehen haben und wie sie ihrer ermordeten Ahnen richtig zu gedenken haben. Mich bringt das zum Erschaudern.

Wörtlich heißt es nach der Überschrift „Eine vertane Chance“ in der Einleitung des ARD-Kommentars: „„An Bundespräsident Steinmeier lag es nicht: Der Gedenktag in Yad Vashem wurde von den egoistischen Auftritten Israels und Russlands überschattet. Eine vertane Chance im Kampf gegen Antisemitismus.““

Ausgerechnet in dem Kanal, der sonst ständig politische Kräfte, die seiner „Haltung“ nicht entsprechen, als antisemitisch beschimpft – und gleichzeitig Antisemitismus von links und von islamischer Seite eher herunterspielt. Im gleichen Kommentar werden dann – wie in den öffentlich-rechtlichen Sendern und in vielen Medien inzwischen üblich – die Regierenden im eigenen Land gelobt – bzw. in diesem Fall unser Staatsoberhaupt, der leider längst aus seiner repräsentative Rolle herausgeschlüpft ist und aktive in der Politik mitmischt, und zwar überaus parteiisch.

Wörtlich heißt es in dem Tagesschau-Kommentar: „Dieser Tag in Jerusalem sollte ein Tag des würdigen Gedenkens sein und ein eindrucksvolles Signal für den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus. Wie traurig, dass das nicht überzeugend geklappt hat. Ja, vieles war würdig und überzeugend, und dazu hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beigetragen….“

Was für eine Hofberichterstattung! Für eine Rede, die wie von einem automatischen Phrasen-Generator erzeugt schien. Und von der innenpolitischen Auseinandersetzung geprägt. Er sagte: „Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“ Spötter schrieben dazu im Internet: „Meint Steinmeier damit sich selbst?“

Kein Wort in bei der Kommentierung von Steinmeiers Rede in der Holocaust-Gedenkstätte darüber, dass er genau das betrieben hat, was die Kommentatorin Israel vorwirft – das Andenken an den Holocaust instrumentalisiert. Um dem politischen Gegner eins mitzugeben. Und, um sich selbst groß in Szene zu setzen. Genau jener Steinmeier, der maßgeblich am “Iran-Atomabkommen” mitgewirkt hat, das die Mullahs die wirtschaftliche Freiheit gab, wieder massiv Kräfte zu unterstützen, die Israel attackieren und vernichten wollen. Genau jener Steinmeier, der diesem Regime zum 40. Jahrestag gratulierte. Auch über all das – kein Wort. Es hinderte eine große Zahl von deutschen Medien nicht, willig Steinmeiers Selbstinszenierung zu preisen, ohne zumindest ansatzweise an diese kritischen Momente zu erinnern. Solange Steinmeier das Mullah-Regime im Iran kuschelt, das Israel auslöschen will, solange er keine klaren Worte zu linkem und zu islamischem Antisemitismus in Deutschland findet, solange er sich nicht klar dazu äußert, dass sein Parteifreund Heiko Maas, der nach einem Bekunden „wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist“, in der UNO die Bundesrepublik regelmäßig mit den größten Israel-Hassern gegen den Judenstaat abstimmen lässt, solange ist der Auftritt von Steinmeier in meinen Augen Heuchelei und seines Amtes unwürdig. Dass er in den Medien so massiv gelobt wurde, dass ausgerechnet Israel eine Instrumentalisierung des Gedenkens vorwarf, ist wohl das, was man in der Psychologie „Spiegeln“ nennt – das, was man selbst tut, anderen vorwerfen.


David gegen Goliath

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Bild: Administration des Präsidenten der Ukraina via Wikicommons

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