Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Marcel Fratzscher, bekannter und beliebter Ökonom mit einer Neigung zu Regierungsnähe und Realitätsferne, hat sich wieder einmal zu Wort gemeldet: In der „Welt“ kann man seine Einschätzung der Wirtschaftslage im Allgemeinen und der Wirtschaftskompetenz von Friedrich Merz im Besonderen bewundern.
Wie es scheint, hält er es für nötig, der Ampelregierung ein wenig den Rücken zu stärken, was nicht sehr überrascht, denn das macht er schon seit Jahren. Und so etwas geht am besten, indem man erst einmal der Konkurrenz ihren gebührenden Platz zuweist. „Wenn Friedrich Merz schon Kanzler wäre“, so hören wir, „würde es der deutschen Wirtschaft vermutlich schlechter gehen.“ Er sagt nicht „noch schlechter“, denn damit würde er ja die offensichtliche Tatsache bestätigen, dass die deutsche Wirtschaft in keinem guten Zustand ist, und das darf der treue Diener seinen linken Herren niemals auch nur andeuten. Für sich genommen, ist die Aussage allerdings etwas seltsam, denn wäre Friedrich Merz etwa seit der letzten Woche Kanzler, dann hätte sich in der deutschen Wirtschaft wohl nicht allzu viel geändert und es würde ihr sicher nicht schlechter gehen als es ohnehin schon der Fall ist.
Aber sehen wir uns seine Begründung an. Zunächst weist er die Vorwürfe, die Regierung sei schuld an der schwachen Konjunktur, zurück. „Würde das Tempo aus der Transformation genommen, wie Merz es ‚verspricht‘, dann würde das die Deindustrialisierungsgefahr noch steigern und massiven und nicht wieder zu behebenden Schaden anrichten.“ Ja, das leuchtet ein. Die Regierung kann mit der Lage nichts zu tun haben, wie sollte sie auch? Der Internationale Währungsfond, von dem vielleicht auch Fratzscher schon einmal etwas gehört hat, rechnet ja auch nur damit, dass Deutschland auch „2024 erneut das Schlusslicht unter den großen Industrienationen“ sein wird und das Portal Statista folgert: „Hinweise auf positive Auswirkungen durch das geplante Paket der Ampelregierung zur Stärkung des Standorts Deutschland sind in dem neuen IWF-Weltwirtschaftsausblick nicht zu finden.“ Beim Institut der Deutschen Wirtschaft ist man der Meinung, „die heimische Politik“ verlängere „die Rezession in der deutschen Volkswirtschaft – aus Mangel an Einsicht darüber, was jetzt zu tun ist“. Es ist genau das „Tempo der Transformation“, auf das Fratzscher so großen Wert legt, das zu den Problemen der Wirtschaft führt. Es genügt, einige Beispiele anzuführen: Atomausstieg, Vernichtung der Autoindustrie, unbändige Steuern- und Abgabenlast, unsägliche Energiepreise, CO2-Bepreisung, erstickende Vorgaben für die Bauindustrie – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Fratzscher scheint zu glauben, dass eine beschleunigte „Transformation“, die unweigerlich zur Deindustrialisierung führt, die Deindustrialisierung aufhält. Solche Experten kennen wir: Wer nach dreifacher Covid-Impfung andauernd krank ist, nimmt am besten noch eine vierte, dann geht es ihm besser. Mehr vom gleichen Irrsinn führt zur Heilung: Das nenne ich Expertenwissen.
Der Ruf aus den Reihen der CDU nach Steuersenkungen, so Fratzscher, sei alles, was man zu bieten habe. Nun gut, könnte man sagen, das ist immerhin mehr, als die Ampel vorweisen kann, denn die ist immer schnell dabei, Wirtschaft und Bürger noch weiter ausbluten zu lassen. Immerhin meint Fratzscher aber, die Abgaben für Unternehmen zu senken, sei grundsätzlich sinnvoll, „nur sind Merz‘ Forderungen und Vorschläge von Widersprüchen gespickt“.
Und wie sehen diese Widersprüche aus? Merz stehe zur Schuldenbremse und schließe Steuererhöhungen aus. Dass jemand, der für Steuersenkungen plädiert, wohl kaum Steuererhöhungen ins Auge fassen sollte, kann ich nicht als Widerspruch sehen. Und dass man nachfolgenden Generationen keine überbordende Schuldenlast hinterlassen sollte, könnte man auch verstehen, wenn man kein linker Ökonom wäre. Aber Fratzscher fasst seine Kritik noch genauer: „Das aber heißt: Dem Staat fehlt noch mehr Geld, um die Infrastruktur zu modernisieren, die Energiekosten abzusenken und andere notwendige öffentliche Aufgaben zu finanzieren – von Ausbildung bis Qualifizierung – um bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen.“
Nein, das heißt es nicht. Der Staat hat in den letzten drei Jahren so viele Steuern eingenommen wie noch nie, er hat in keiner Weise ein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem, weil die Ampelregierung sich damit vergnügt, ihren ideologischen Träumereien nachzugehen und das Geld der Steuerzahler im Ausland zu verschenken und im Inland für Unsinn zu verschleudern. Man könnte auf den Gedanken kommen, bei unnötigen und sinnlosen Ausgaben zu sparen, ehe man Steuern erhöht und neue Schulden aufnimmt. Um einen ersten kleinen Vorschlag zu machen: Der Etat von Fratzschers DIW belief sich 2022 auf 33 Millionen Euro, 61 Prozent davon, das sind etwa 20 Millionen, wurden durch Forschungsförderung von Bund und Ländern finanziert. 20 Millionen, die man ohne nennenswerten Qualitätsverlust einsparen könnte, sofern man sie nicht sofort wieder in peruanische Radwege investiert.
Doch unser Experte ist noch nicht am Ende. „Bei der Klima- und Umweltpolitik ist Merz auf Krawall gebürstet, lehnt das meiste ab. Er will die Energie- und Verkehrswende abwürgen, statt sie zu beschleunigen. Er will das EU-Verbrennerverbot schleifen.“ Energie- und Verkehrswende sind ein Teil des Pakets, das die deutsche Wirtschaft in den Abgrund und den deutschen Bürger in den Ruin treibt, aber das ficht den Ökonomen nicht an. „Dabei sind die deutschen Unternehmen – siehe VW – schon jetzt zu langsam und hinken etwa bei der E-Mobilität der internationalen Konkurrenz um Jahre hinterher.“ Meint er das ernst? Ließe man die Autofirmen und ihre Kunden in Ruhe, ließe man den Markt, das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, die Dinge regeln, dann würde sich kaum ein Mensch um E-Mobilität scheren, die Firmen könnten in Ruhe ihre Verbrennerautos bauen und die Kunden würden die Technologie verwenden, die sie bevorzugen. Sinnlosen Zielen muss man nicht hinterher hinken, die versenkt man am besten im Müllhaufen der Geschichte.
Und wie sieht es mit den Fachkräften aus? Fratzscher weiß es: Merz habe auch für das Problem des Fachkräftemangels keine Lösung. „Überstunden steuerfrei stellen und das Bürgergeld abschaffen? Das bringt nicht annähernd ausreichend Menschen in Arbeit, das haben viele Studien erwiesen.“ Sollte es sich dabei um Studien von Fratzscher selbst handeln, ist vielleicht ein wenig Vorsicht zu empfehlen. Aber selbst wenn er recht hat, wären solche Ideen ein Schritt in die richtige Richtung, dem vermutlich noch viele andere folgen müssten – wenn eine Maßnahme immerhin einen Teil des Problems beseitigt, dann ist das besser als gar nichts. Sicher müsste man beispielsweise auch das Bildungsniveau erhöhen – das geht auch ohne zusätzliche Geldmittel mithilfe anständiger Schulen und Lehrpläne und nicht durchideologisierter Lehrer – und die allgemeine Steuerlast für Arbeitnehmer reduzieren. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Die Ampellösung für das Problem des Fachkräftemangels besteht übrigens darin, immer mehr unqualifizierte und nicht qualifizierbare Migranten ins Land zu holen. Aber Fratzscher weiß es genau: Die Ampelregierung hat nichts mit dem schlechten Zustand der Wirtschaft zu tun.
Es gibt viele gute Gründe, Friedrich Merz weder zu schätzen noch zu wählen. Fratzschers Auslassungen gehören nicht dazu. Verglichen mit seiner Expertenmeinung erwecken selbst alte Bauernregeln wie „Liegt der Bauer tot im Zimmer, lebt er nimmer“ noch einen seriösen Eindruck.
Die sagen zwar nichts aus. Aber sie sind wenigstens wahr.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Heinrich-Böll-Stiftung from Berlin, Deutschland, CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons