Ex-Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen verglich die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vor einiger Zeit mit „Westfernsehen“. Dabei hat er möglicherweise die Meinungsfreiheit in dem großen Eidgenössischen Blatt überschätzt. Die hört auch bei der NZZ offenbar da auf, wo die Corona-Politik allzu stark in Frage gestellt wird. Das zumindest behaupten Kritiker.
Der Anlass: Der Autor Milosz Matuschek, stellvertretender Chefredakteur der liberalen Zeitschrift Schweizer Monat, wurde nach fast sechsjähriger Tätigkeit als Kolumnist für das Blatt vor die Tür gesetzt. Auslöser war offenbar die neueste Kolumne des streitbaren Journalisten unter dem Titel: „Was, wenn am Ende ‚die Covidioten‘ Recht haben?“
Der Beitrag war eingeschlagen wie eine Bombe. In der Rangliste der relevantesten Artikel kam er in der Monatswertung auf Platz eins: Er wurde bei Facebook und Twitter 230.671 Mal geteilt und brachte der NZZ viel Zustimmung. Das müsste eigentlich für jede Redaktion ein Grund zur Freude sein. Zumal der Beitrag gut geschrieben und handwerklich einwandfrei war.
Aber er war auch heikel. Matuschek verwies auf leere Spitäler und niedrige Sterblichkeit. Und wich klar ab von der Meinung, von der man heute oft den Eindruck hat, sie sei die Einheitsmeinung in vielen Redaktionen.
Zunächst habe die NZZ auch „kein Problem mit der Kolumne“ gehabt, schreibt das Schweizer Portal „Insideparadeplatz“: „Doch als diese auf der Webseite von Ken Jebsen (KenFM) aufgeschaltet wurde, den viele extrem finden, brannten an der Falkenstrasse die Sicherungen durch. Am Freitag drohte die NZZ per Twitter Jebsen mit dem Anwalt. Anfang (der) Woche spedierte sie Matuschek hinaus.“
Auf Anfrage von „Insideparadeplatz“ zeigte sich Matuschek ratlos auf die Frage, was die NZZ derart in Rage gebracht hatte: „Ich denke: bei gleichem Inhalt? What’s the difference? Mein Zeug wird dauernd auf irgendwelchen seltsamen Blogs kopiert, sogar der Osservatore Romano hat mir schon was geklaut. Befleckt jetzt eine Plattform über einen Text auch eine andere Plattform?“
Nach Ansicht von Matuschek hat sich die NZZ von einem Blogger „aufstacheln lassen“ und „überreagiert“. Tatsächlich hat der Autor KenFM die Genehmigung zum Zweitabdruck des Beitrags erteilt. Das ist journalistisch und juristisch betrachtet im Graubereich. Gerade große Zeitungen wie die NZZ legen Wert darauf, dass dort erschienene Artikel nicht anderswo veröffentlicht werden. Zumindest nicht zeitnah. Insofern ist durchaus nachvollziehbar, dass die Redaktion in Zürich darauf pochte, dass der Matuschek-Text von KenFM gelöscht wurde. Was auch geschah.
Damit hätte die Sache aber auch erledigt sein können. Zumal Matuschek betonte, er habe nie sein Urheberrecht an Kolumnen und Kommentaren an die NZZ übertragen und es habe nie einen Vertrag gegeben.
Nach dem Eklat schaltete die NZZ auch die Kommentarfunktion des Artikels ab. Dort gab es über 500 Einträge. Laut „Insideparadeplatz“ wurden einzelne Kommentare gelöscht. Das Portal schreibt: „Der Sturm, den die Story ausgelöst hat, weil sie gegen die Meinung der grossen Zeitungen geht, wurde der NZZ also zu viel. Sie kriegte Angst, in der falschen Ecke zu landen.“ Und weiter: „Damit verrät die Zeitung ihr Credo. Sie hätte ihren Ruf, ein freiheitsliebendes Medium, das auf Eigenverantwortung und Meinungsfreiheit setzt, stärken können. Nun hat sie das Gegenteil getan.“
Tatsächlich betreibt das Schweizer Blatt einen absurden Spagat. Einerseits versucht es, sich als Alternative zu den haltungsorientierten deutschen Medien zu positionieren. Andererseits knickt es immer wieder ein. Gerade die Berliner Redaktion der NZZ macht oft den Eindruck, als fürchte sie sich vor einem zu starkem Abweichen vom Duktus der Haltungsmedien. Dieser Versuch, gleichzeitig ins Wasser zu gehen und nicht nass zu werden, ist aber eher peinlich. Medienpolitisch steht die NZZ mit dem Ball am Elfmeterpunkt vor dem leeren Tor. Und schießt absichtlich regelmäßig daneben. Aus Angst vor Applaus von der falschen und Buhrufen von der richtigen Seite.
Mit seinem „Appell für freie Debattenräume“ hatte Matuschek gemeinsam mit dem Schriftsteller und YouTuber Gunnar Kaiser erst kürzlich für Schlagzeilen und heftige Gegenreaktionen in den großen Medien gesorgt. Darin solidarisierten sie sich mit „den Ausgeladenen, Zensierten, Stummgeschalteten oder unsichtbar Gewordenen.“ Es ginge nicht darum, deren Aussagen zu teilen, so erklärten die beiden, sondern sie zu hören, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Außerdem forderten sie in dem Appell, das „unselige Phänomen der Kontaktschuld“ zu beenden. Dass Matuschek kurz darauf genau diesem zum Opfer fiel, ist symptomatisch. Und zeigt, wie aktuell der Appell ist.
PS: Appell-Mitunterzeichner Gunnar Kaiser konnte zeitgleich mit dem Rausschmiss Matuscheks einen eigenen Text in der NZZ veröffentlichen. Dies ist ein Indiz dafür, dass nicht der Appell Ursache für den Rausschmiss Matuscheks war. Oder dass die NZZ zumindest versucht, diesen Eindruck zu verhindern.
PS: Hier ein Twitter-Gefecht zwischen dem Büroleiter der NZZ in Berlin und dem AfD-Abgeordneten Peter Bystron:
Bild: Pixabay
Text: red