„Objekt murmelt verzweifelt…“ Otto von Habsburg – eine Begegnung mit Folgen

Corona, Corona, nichts als Corona – geht es Ihnen auch so, dass es Ihnen zuviel wird mit dem Thema? Auch wenn ich leider finde, dass man nicht darum herumkommt und den Schwerpunkt auf dieses Thema setzen muss, so sehr halte ich ein Kontrastprogramm für notwendig. Ohne das könnte man ja fast verrückt werden. Deshalb heute ein neuer Versuch, Ihnen ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Und wieder mit einer meiner Geschichten aus Zeiten, in denen es zwar schon Corona-Viren gab, aber kaum jemand von diesen wusste. Ich hoffe, Sie genießen den „Ausflug“ genauso wie ich als kleine Ablenkung vom alltäglichen Irrsinn dieser Tage: Hier meine Laudatio zum 95. Geburtstag von Otto von Habsburg. Der Sohn des letzten österreichischen Kaisers, der noch als Thronfolger erzogen wurde, war eine beeindruckende Persönlichkeit, mit dem ich in den letzten Jahren seines Lebens einen intensiven Austausch pflegte. So kam ich zu der unverhofften Ehre, 2007 seine Geburtstagsrede zu halten. Keine Angst – der Kaiser-Sohn war ausgesprochen humorvoll, und das war auch mein Anspruch für die Rede. Voilà:

Hochverehrter Jubilar,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir ausländischen Korrespondenten werden in Moskau überwacht und abgehört, besonders gerne in der eigenen Wohnung. Das ist unangenehm. Aber da sich in Russland alles kaufen lässt, und das ist angenehm, gelang es mir von einem unterbezahlten FSB (vormals KGB)-Mitarbeiter – sogar relativ günstig – ein Abhörprotokoll jenes Tages zu erstehen, an dem mich zu Hause in Moskau an meinem Computer die E-Mail ereilt hat, ohne die ich heute nicht vor Ihnen stünde.

Ich darf daraus wörtlich zitieren:

„Abhörprotokoll Nr. 4733/2007 der Hauptverwaltung V-2 des FSB, aus der Wohnung Donskaja Uliza 18/7, kv. 140, also meine Wohnung. 17. Oktober 2007, 15.51 Uhr:

Objekt sitzt am Computer, Tastaturanschläge sind zu hören.
Objekt spricht mit etwas ratloser Stimme – offenbar mit sich selbst:

„Was ist das denn wieder für eine Mail????
Ich soll die Laudatio für Otto von Habsburg halten?
Da hat sich wohl jemand einen Scherz erlaubt!“

Objekt liest still (keine Mitschrift möglich).
„Ach du Schreck, mich trifft der Schlag: Die ist ja echt!!!“

Objekt scheint freudig bewegt und stolz zu sein.
Geräusch einer Wodkaflasche Marke Tualetnij utojnok.
Euphorie scheint nachzulassen. Objekt spricht mit etwas ratloser Stimme:
„Otto von Habsburg – wie um alles in der Welt kann man solch einer großen Persönlichkeit gerecht werden?“

Unverständliche Worte, Klappern auf der Tastatur.
„Vielleicht so: Sie, Otto von Habsburg, sind das lebende Sinnbild für die Fähigkeit Europas, die Ressourcen seiner Vergangenheit zu nutzen, um seine Zukunft zu organisieren und zu bauen.“

Pause. Gluckern. Pause. Erneutes Gluckergeräusch.

„Nein, besser: Otto von Habsburg als lebendes Sinnbild für Europas Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“

Pause, Klappern auf der Tastatur:
„In Otto von Habsburg verbindet sich Weltoffenheit mit dem wesenhaften Geist der Bestimmung austriakischer Sendung über die Jahrhunderte … Unsinn, was Österreichs Sendung ist, das weiß vielleicht Herzmanowsky-Orlando, aber kein Focus-Redakteur …“

Gluckern. Pause. Unverständliche Worte, Klappern auf der Tastatur.

Pause. Gluckern. Pause. Erneutes Gluckergeräusch.

„Nein, besser: Otto von Habsburg als lebendes Sinnbild für Europas Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“

Pause. Schluckgeräusche.

„OvH, der große Europäer … Herrrgott! Das weiß doch jeder und außerdem kann das Valéry Giscard d’Estaing sicher viel schöner ausdrücken.“

Handschriftliche Randnotiz Oberstleutnant Plini: Interner Hinweis des diensthabenden FSB-Offiziers: Aufbewahren für alle Zeit! Sofort Europa überwachen. Sollte Valery GD russischer Staatsbürger sein, sofort nach Kompromat (kompromittierendes Material, eines der Lieblingsinstrumente des KGB und FSB) forschen oder IM (also inoffiziellen Mitarbeiter) Gerhard Schröder befragen. Bei dieser Variante ggf. Gegenmaßnahmen ergreifen.

15.59 bis 16.21 Uhr: Objekt denkt nach.

16.22 Uhr, Objekt verzweifelt zu sich selbst murmelnd:
„Wenn man das Bild mit dem Kind mit den blonden Locken … ja, was eigentlich?“

Telefonläuten: Objekt nimmt den Hörer des Telefonanschlusses Nummer 2370443 (eigene Nummer):

„Ja, hier Objekt, ääh Reitschuster. Wer ist am Apparat? Was soll das heißen: Tut nichts zur Sache? Was meinen sie mit: Boris hilfst du uns, helfen wir dir?
Oooh! So ist das. Also gut: Was wollen Sie wissen? Wie man Valéry Giscard d’Estaing schreibt?… Das ist nicht so einfach, Otto wäre leichter auf kyrillisch zu buchstabieren …“

Ein Mann mit preußischer Disziplin und österreichischer Seele

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Laudator Boris Reitschuster mit dem Jubilanten Otto von Habsburg (Foto: S. Brauer)

Ihnen brauche ich nicht zu erklären, wie man Valéry Giscard d’Estaing schreibt, und das Original-Protokoll des russischen Geheimdienstes reißt kurz nach dieser Stelle ab – ich konnte mir mit meinem kargen Korrespondentengehalt nicht mehr leisten. Aber es ist vielleicht ganz gut, dass ich im entscheidenden Moment unterbrochen wurde. Der Rest hätte Sie eher gelangweilt und sich auch etwas vom Thema des heutigen Abends entfernt.

Otto von Habsburgs historische Verdienste aufzuzählen, würde nicht nur so viel Zeit erfordern, dass ich Sie alle ums Essen bringen würde. Es wäre auch so, als würde man Kaviar nach Russland tragen – ich denke, Sie alle hier kennen seine Verdienste mindestens genauso gut wie ich.

Und so will ich mich auf das Menschliche beschränken, auf meine persönlichen Erlebnisse.

Ich habe mehrfach Interviews von Otto von Habsburg über Russland gelesen. Und jedes Mal war ich erstaunt, wie scharfsinnig, kritisch und realistisch er die Lage in Putins Demokratur einschätzt – und das in einer Zeit, in denen der damalige Bundeskanzler Schröder Putin noch als „lupenreinen Demokraten“ adelte. Er meinte wohl, man müsse in Putin den Demokraten mit der Lupe suchen.

Ich suchte deshalb das Gespräch mit Otto von Habsburg. Und ich erinnere mich noch heute, wie ich das erste Mal zu ihm nach Hause, in die Villa Austria in Pöcking, kam, mit etwas weichen Knien und Angst, irgendeinen Fehler zu machen. Wie soll man sich einem Menschen gegenüber verhalten, der mit preußischer Disziplin und österreichischer Seele ein geradezu amerikanischer Workaholic ist, es sich aber nicht nehmen lässt, als einziger im Parlament Latein zu sprechen? Wie ich ihn denn anreden solle, fragte ich seine Sprecherin Frau Demmerle. „Wie Sie möchten“, sagte sie mir. Und später verriet mir eine ehemalige Mitarbeiterin, wie er selbst auf solche Fragen zu antworten pflegte: „Ist mir doch Wurst.“

Und dann passierte etwas ganz Seltsames: Als Osteuropa-Korrespondent habe ich zwar schon einige Präsidenten und Regierungschefs interviewt, von Putin über Schewardnadse bis hin zu Juschtschenko, doch in keinem Präsidentenpalast habe ich solche Achtung, eine besondere Art der Pietät gespürt wie in diesem Haus in Pöcking. Auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite habe ich mich bei keinem der großen Staatschefs so unangespannt, ja sogar gelöst gefühlt, fast wie bei einem familiären Gespräch.

Und das scheint ganz in der Gesprächs-Tradition des Hauses Habsburg zu liegen, die Hugo von Hofmannsthal meines Erachtens sehr treffend formuliert, wenn er in seinem Lustspiel „Der Schwierige“ den Grafen Altenwyl sagen lässt: „Wer zu mir kommt, mit dem muss ich die Konversation so führen, dass er, wenn er die Türschnallen in der Hand hat, sich gescheit vorkommt.“

Dabei übertrifft unser Jubilar selbstverständlich den Hofmannsthalschen Grafen: Zumindest in meinem Fall kam sich der Gast nicht nur gescheit vor – er hatte auch sehr viel gelernt. Otto von Habsburg hat mir – lassen Sie mich diese großen Worte gebrauchen und erklären – die historische Dimension geöffnet, die historische Dimension dessen, was ich in Wladimir Putins Russland Tag für Tag erlebe. All die Mosaikbilder, von der Unterdrückung der Opposition und der Journalisten, der Ausschaltung der politischen Institutionen bis hin zur Großmachtrhetorik – Otto von Habsburg half mir, sie einzuordnen, zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, auf Grundlage seiner Erfahrungen und Kenntnisse aus meiner Zustandsbeschreibung eine Diagnose zu ziehen.

Symbolisches Geschenk zur Völkerverständigung: Wodka

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Boris Reitschuster mit einer Kiste Wodka (Foto: S. Brauer)

Das, was wir heute in Russland erleben, ist in vielem die Wiederauferstehung eines der beiden großen totalitären Systeme, die Europa im 20. Jahrhundert ins Elend geführt haben. Und wer, wenn nicht Otto von Habsburg, der unter dem Faschismus wie unter dem Kommunismus persönlich litt und sich beiden Systemen unter höchstem persönlichen Risiko entgegenstellte, hätte das Recht, auf solche historischen Zusammenhänge aufmerksam zu machen, unverblümt das auszusprechen, was sich andere auch nur anzudeuten nicht wagen.

Wenn ich mich in Russland mit Kreml-Kritikern treffe, sind diese oft verzweifelt, klagen, dass der Westen schweigt, wegsieht angesichts all des Unrechts, das heute in Europa geschieht. Und ich war immer sehr froh, in solchen Situationen Sie, Herr Dr. von Habsburg, als das lebende Gegenbeispiel anführen zu können: Ich erinnere mich, wie meine Gesprächspartner immer mit größter Aufmerksamkeit verfolgten, wenn ich ihnen berichtete, wie Sie die Situation in Russland einschätzten. Und die Aufmerksamkeit schlug um in Bewunderung und Hochachtung, wenn ich meinen Gesprächspartnern mehr über Sie erzählte.

Erich Honecker beklagte sich nach dem Zusammenbruch der DDR, Sie seien einer der Hauptschuldigen am Niedergang des kommunistischen Systems gewesen. Ich glaube, dass auch Wladimir Putin Sie eines Tages mit einigen nicht sehr schönen, aber um so ehrenhafteren Worten erwähnen würde – oder, lassen wir den Konjunktiv doch einfach einmal weg, erwähnen wird, wenn seine Demokratur einem demokratischen System weichen wird. Und das wird geschehen – genauso wie Sie, Herr Dr. von Habsburg, die Lebensunfähigkeit des kommunistischen Systems stets korrekt diagnostiziert hatten, und dafür von vielen belächelt wurden, genauso korrekt diagnostizieren Sie heute die Lebensunfähigkeit von Putins Geheimdienst-Staat.

Dabei macht Ihre Familie schon heute der KGB-Riege im Kreml das Leben schwer, wenn ich etwas frei assoziieren darf. Genauer gesagt, das Erbe Ihrer Familie. Als Moskau 2004 in der Ukraine den russlandtreuen Apparatschik Janukowitsch mit Hilfe von Wahlbetrug an die Macht bringen wollte, war die Westukraine der entscheidende Faktor des Widerstandes, der entscheidende Motor für das, was heute als die ukrainische Revolution in die Geschichte eingegangen ist. Ich erinnere mich selbst, wie verwundert ich war, dass damals in Kiew so viele West-Ukrainer auf der Straße waren, ganze Fabrik-Belegschaften und Straßenzüge waren mit dem Bus zum Demonstrieren angereist. Warum? Ich habe darüber viele Gespräche geführt, mit Demonstranten und Historikern. Und immer wieder hörte ich ein Wort: Österreich-Ungarn. Große Teile der heutigen Westukraine gehörten damals zum Habsburger-Land – und sie zehren bis heute von diesem kulturellen und politischen Erbe, von einer Tradition, in der der einfache Mensch nicht – wie in großen Teilen des Zarenreiches – ein besserer Leibeigener war. Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich mit einem Lehrer aus der Westukraine auf der Demonstration in Kiew geführt habe: „Wir in der Westukraine haben die Menschenwürde schon vor Generationen eingeimpft bekommen, als wir zu Österreich-Ungarn gehörten, das macht uns heute widerstandsfähig gegen die Unterdrückung, wir lassen uns nicht mehr wie Vieh behandeln, weil unsere Eltern und Großeltern noch etwas anderes erlebt haben …“

Und ich denke, hier schließt sich der Kreis, hier schließen Sie den Kreis, Herr Dr. von Habsburg, zwischen dem kulturellen, europäischen Erbe Ihrer Familie, und Ihrem ganz persönlichen Einsatz, für Menschenrechte, gegen Unterdrückung.

Ich könnte und müsste nun noch sehr viel erzählen über Ihre Hilfsbereitschaft, das, was die Russen „moralische Unterstützung“ nennen, oder auf Deutsch, wie Sie einem den Rücken stärken in schweren Zeiten. Aber ich weiß, dass Sie nicht gerne gelobt werden, und Sie würden jetzt sicher am liebsten sagen – wenn es Ihnen Ihre Höflichkeit nicht verbieten würde, junger Mann, jetzt lassen Sie die Menschen doch auch einmal zum Essen kommen.

Das will ich gerne tun – aber nicht, ohne Ihnen ein kleines Geschenk zu überreichen. Sie haben immer für den Frieden gekämpft, für die Abrüstung. Und ich will Ihnen heute zum einen vor Augen führen, wie erfolgreich Sie dabei waren – aber auch gleichzeitig einen hohen Anspruch an Sie stellen. Was sie hier sehen (ich ergreife die Wodkakiste), ist ein besonderes Beispiel für das Gelingen dessen, was die Fachleute Konversion nennen – nämlich die Umwandlung von militärischer in zivile Produktion. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Munitionskiste mit einer kleinen Granate (öffne Kasten) – ist in Wirklichkeit längst umgewandelt in ein zwar nicht ungefährliches, aber doch sehr friedliches Produkt, das zudem der Völkerverständigung dient: In Wodka. (Überreichung). Ich hoffe sehr, dass Sie mit Hilfe dieses Geschenks so schnell wie möglich einen neuen Beitrag zur Abrüstung leisten können – ganz persönlich, und in möglichst großen Schlucken. In diesem Sinne: Na sdorovje, auf Ihre Gesundheit!

Noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Hier ein Vorschlag – mein aktuelles Buch:


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Bilder: S. Brauer / Goran Vrhovac / Shutterstock
Text: br
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