Von Christian Euler
Mit so vielen Beschwerden über die Berichterstattung der Medien musste sich der Presserat noch nie seit seiner Gründung vor rund 65 Jahren auseinandersetzen. Genau 4085 Beanstandungen gingen im vergangenen Jahr ein – fast doppelt so viele wie im Jahr 2019 mit 2175 Beschwerden. 53 Mal erteilte der Presserat eine öffentliche Rüge, ebenfalls deutlich öfter als im Vorjahr mit 34 Rügen.
Gerade in zutiefst verunsichernden Zeiten sind klare und vor allem verlässliche Fakten die wichtigste Währung der Medien. Umso erschreckender, dass just im von menschlichen Tragödien jeglicher Art gespickten Jahr 2020 so viele Bundesbürger am Wahrheitsgehalt der Berichterstattung zweifeln. „Ihre Kritik richtete sich etwa gegen die in den Medien genannten Infektionszahlen, unterschiedliche Szenarien zur Sterblichkeit, aber auch gegen Berichte, die über die Beweggründe von Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen informierten“, bilanziert Presserat-Sprecher Sascha Borowski.
Die Mehrzahl der Vorwürfe konnte der Presserat entkräften – und bestätigte zumindest nach eigenem Bekunden damit, dass sich die an den Pressekodex gebundenen Medien überwiegend an die Sorgfaltspflicht halten. Auch machte der Presserat deutlich, dass er nicht beurteile, ob eine Meinung „richtig” oder „falsch” ist.
Die Grenzen scheinen weit gesteckt. Als „ethisch zulässig“ bewertete der Presserat den wohl prominentesten Fall des vergangenen Jahres. In ihrer Kolumne mit dem Titel „All cops are berufsunfähig” konnte sich die Autorin der „taz“ als Arbeitsplatz für Polizisten nur die Mülldeponie vorstellen. In den Augen des Presserats handelte es sich um ein reines Gedankenspiel, das zudem auf reale Defizite bei der Polizei anspiele.
Die Corona-Berichterstattung in Print- und Onlinemedien beanstandeten 581 Leser. Die meisten von ihnen hielten den Redaktionen falsche Tatsachenbehauptungen oder unzureichende Recherche vor. Allein das knapp 373.000 Mal aufgerufene Video des ARD- und ZDF-Angebots „Funk“ mit dem Titel „Corona rettet die Welt“ erhielt 622 Beschwerden. Der Presserat wies sie jedoch mit der Begründung zurück, nicht für den Rundfunk zuständig zu sein.
Jede fünfte Beschwerde verstößt gegen den Kodex
Vier der 321 bereits geprüften Fälle wurden gerügt. „Ansonsten haben sich die betroffenen Redaktionen beim Top-Thema Corona mit großer Mehrheit an ethische Grundsätze gehalten“, so Borowski. Bei 80 Prozent der Beschwerden bezüglich der Coronakrise, die bereits bewertet worden seien, habe es keinen Verstoß gegen den Pressekodex gegeben.
Dies heißt im Umkehrschluss: Jedes fünfte Erzeugnis stellte einen Verstoß gegen den Kodex dar. Dazu könnte in der diesjährigen Statistik auch die Beschwerde des Münchner Rechtsanwalts Werner Matschke gehören, die sich auf den Artikel „Störsender“ in der Süddeutschen Zeitung vom 19.02.2021 bezieht. Der Beitrag behauptet: „Manche (Journalisten) missbrauchen sie (die Bundespressekonferenz) für Propaganda und Verschwörungsmythen“. Insbesondere Boris Reitschuster wird massiv diffamiert. Dies verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen den Pressekodex, argumentiert Matschke.
Man darf auf die Bewertung durch den Presserat gespannt sein. Die Hoffnung, dass die Medien irgendwann wieder zu ihrem Informationsauftrag zurückfinden, stirbt zumindest zuletzt.
Bild: Billion Photos/Shutterstock
Text: ce
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