Sie schreien nicht mehr – sie brechen ab. Nicht mit einem Tobsuchtsanfall, sondern mit Rückzug. Kein Protest, keine Eskalation – sondern Stillstand. Immer mehr Kinder reagieren auf Herausforderungen nicht mehr mit Kampf, sondern mit Kapitulation. Das Spiel läuft nicht, die App hängt, die Aufgabe ist zu schwer? Dann kommt der Satz, den Kinder früher eher selten aussprachen: „Ich kann das nicht.“ Und dann: Aussteigen. Nicht, weil sie nichts können – sondern weil sie nie gelernt haben, es auszuhalten, wenn nicht alles klappt.
Solche Beobachtungen, die sicher viele von Ihnen auch selbst gemacht haben, decken sich mit dem, was Experten wie Karl Heinz Brisch beschreiben. Der bekannte Kinder- und Jugend-Psychiater und Psychoanalytiker und warnt im Gespräch mit „Focus Online“ vor einer besorgniserregenden Entwicklung, die viele von uns selbst wahrnehmen – und die in der Fachwelt kein Geheimnis mehr ist: Immer mehr Kinder zeigen Defizite in ihrer emotionalen Entwicklung – insbesondere bei der Empathie.
Ich habe Brischs Ausführungen zum Anlass genommen, das Thema genauer anzuschauen – weil es mich besonders bewegt. Seine Analysen zeigen, wie wichtig es ist, Kindern früh emotionale Kompetenzen zu vermitteln. Andere Experten betonen zusätzlich, wie wichtig es ist, Frustrationstoleranz zu fördern – ohne ständiges Eingreifen der Erwachsenen.
Früher: Frust. Heute: Feed.
Was Brisch beschreibt, ist mehr als ein pädagogisches Problem. Es ist in meinen Augen ein stiller Kulturbruch. Denn wenn wir genauer hinsehen, fällt auf: Statt Frustrationstoleranz zu üben, wachsen viele Kinder in einem System auf, das sie permanent bespaßt, motiviert – und ausbügelt. Keine Langeweile, kein Leerlauf, kein Aushalten. Stattdessen: Reizüberflutung, Belohnungsschleifen, Daueranimation.
Wenn früher ein Kind beim Fußball kein Tor schoss, war das einfach so – und die Enttäuschung Teil des Spiels. Heute gibt es Medaillen für jeden, Trostpreise, Trainer, die aufbauen statt fordern. Ähnlich in der Schule: Fehler werden relativiert, Bewertungen gegendert, das Scheitern pädagogisch entschärft. Und zu Hause? Eltern, die das Kind nicht aufrichten, sondern ihm jede Frustration ersparen wollen – aus Liebe, aus Angst, aus Kontrolle.
Auch wenn Brisch diesen Punkt im Interview nicht ausdrücklich nennt – seine Analyse ergänzt sich mit Erkenntnissen anderer Experten, die darauf hinweisen, wie wichtig es ist, Frust aushalten zu lernen – auch dann, wenn es weh tut. Denn nur wer gelegentlich überfordert ist, kann echte Selbstwirksamkeit entwickeln. Genau das aber erleben viele Kinder heute kaum noch.
Wenn Förderung zur Überforderung wird
Der Psychoanalytiker beschreibt ein Phänomen, das viele Lehrer, Therapeuten und Sozialarbeiter aus ihrer Praxis bestätigen: Immer mehr Kinder erleben selbst alltägliche Anforderungen als Zumutung. Hausaufgaben werden verweigert, einfache Bitten als Kränkung empfunden, Konflikte führen sofort zu Zusammenbruch oder Rückzug. Die Kinder sind nicht schwach – sie sind ungeübt.
Denn während ihre Fähigkeiten technisch oft weit überdurchschnittlich sind – Stichwort Bildschirm-Intelligenz –, bleiben die basalen psychischen Grundmuster unterentwickelt: Geduld, Disziplin, Reflexion. Und vor allem: die Fähigkeit, sich innerlich selbst zu regulieren, ohne äußeren Antrieb. Weil es eben immer einen äußeren Antrieb gibt – durch Erwachsene, Medien, Strukturen. Viele Kinder leben heute in einem eng getakteten Alltag – durch Schule, Medien, Termine, Geräte. Das erschwert es ihnen, eigene Rhythmen zu entwickeln und zur Ruhe zu kommen
Fachleute fürchten deshalb: Wenn Kinder permanent von außen getaktet werden – durch Schule, Medien, Termine und Geräte – verlieren sie die Fähigkeit, eigene innere Rhythmen wahrzunehmen und zu entwickeln.
Digitale Selbstbespiegelung statt Empathie
Besonders tragisch ist, dass dabei etwas fast völlig verloren geht, was zentral das Menschsein ausmacht: das Einüben von Empathie. Denn Mitgefühl entsteht nicht auf Knopfdruck – es ist ein soziales Muskelspiel, das Übung, Reibung und echte Begegnung braucht. Genau das aber fehlt einer Generation, die mehr mit Bildschirmen als mit Blicken interagiert.
Empathie lernt man nicht im Chatfenster. Sie wächst, wenn ein Kind sieht, dass der andere leidet – und nicht, wenn es Likes für eigene Selfies bekommt. Wer ständig sich selbst inszeniert, entwickelt keinen Blick für andere. Wer pausenlos im eigenen Belohnungskreislauf lebt, verliert das Gespür für das, was der Nebenmensch fühlt, denkt, braucht.
Smartphones sind keine Werkzeuge der Empathie – sie sind Filter gegen echte Begegnung. Sie liefern Reaktion statt Resonanz, Bewertung statt Beziehung. Wer von klein auf digital sozialisiert wird, lernt schneller, wie man Aufmerksamkeit bekommt – aber nicht, wie man sich in andere einfühlt.
Was zwischen den Zeilen des Befundes deutlich wird, auch wenn Brisch das nicht ausdrücklich so sagt: Wenn Empathie nicht mehr gelernt wird, wächst eine Generation heran, die zwar hypervernetzt ist – aber innerlich einsam und emotional unmusikalisch. Die dramatische Frage ist: Was wird geschehen, wenn die Generation, die so aufwuchs, die Mehrheit stellt – und die alten, analogen Generationen sich altersbedingt aus dem Zentrum der Gesellschaft zurückziehen? Was passiert, wenn emotionale Selbstverlorenheit zur gesellschaftlichen Norm wird – statt eine Ausnahme zu sein? Die wahren Kosten werden wir erst zahlen, wenn es längst zu spät ist.
Dreifache Fehlsteuerung
Die Probleme wurzeln tief – aber drei Faktoren treiben sie besonders an:
1. Eltern als Lebensdesigner: Gut gemeint, aber oft zu viel des Guten. Viele Eltern wollen alles „richtig“ machen – und nehmen dem Kind dabei jede Eigenverantwortung. Scheitern ist nicht vorgesehen. Dabei wäre gerade das wichtig.
2.Schule als Wohlfühlzone: Nicht alle, aber viele Schulen vermeiden das Wort „Leistung“, nivellieren Unterschiede und verpacken Kritik als pädagogische Massage. Das Resultat: Kinder lernen, dass alles immer irgendwie gut ausgeht – auch ohne Einsatz.
3.Medien als Dopaminmaschine: TikTok, Reels, Games – sie liefern schnelle Belohnung ohne Einsatz. Konzentration, Verzögerung von Bedürfnisbefriedigung? Fehlanzeige. Stattdessen: permanente Push-Logik. Wer so konditioniert ist, erlebt die Realität als Zumutung.
Das ist nicht die Schuld der Kinder. Es ist das Versagen der Erwachsenen.
Der Preis kommt später
Was wie Komfort aussieht, rächt sich mit Verzögerung. In der Pubertät, in der Ausbildung, im Beruf – wenn zum ersten Mal echte Hürden auftauchen, keine App hilft, kein Lehrer aufbaut. Dann zeigt sich, was fehlt: die Fähigkeit zur Selbststeuerung. Und genau hier liegt die psychologische Zeitbombe.
Denn wer das nie gelernt hat, wird irgendwann überrollt von der Realität. Er fällt nicht einfach durch – er implodiert. Psychische Erkrankungen, Sinnkrisen, Burnout – all das sind Symptome einer Generation, die kaum noch eigene Antennen ausgebildet hat.
Brisch warnt vor langfristigen gesellschaftlichen Folgen, wenn Kinder nicht ausreichend emotionale Entwicklung erfahren – insbesondere in den ersten drei Lebensjahren. Ohne diese Grundlagen sei Empathie kaum erlernbar.
Die Dosis Realität fehlt
Wir reden viel über „mentale Gesundheit“ – aber kaum über mentale Stärke. Wir feiern die Entfaltung – aber scheuen die Zumutung. Wir pushen – und wundern uns, dass keiner mehr stehen kann. Der Psychoanalytiker hat es ausgesprochen – die Gesellschaft sollte hinhören.
Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn wir aufhören, Kinder als empfindliche Orchideen zu behandeln – und wieder als das, was sie sind: wachsende Menschen mit ungeheuren Kräften. Vorausgesetzt, man lässt sie wachsen. Und nicht nur klicken.
Vielleicht, so frage ich mich manchmal, stehen wir heute da, wo man um 1900 beim Thema Kokain stand: Ein Mittel, das überall zu haben ist, das stimuliert, begeistert – und erst Jahre später seine zerstörerische Wirkung entfaltet. Damals galt Kokain als harmloser Zusatz in Lebensmitteln. Heute sind es Smartphones in Kinderhänden. Im Dauerbetrieb. Als Realitätsersatz.
Die eigentliche Frage lautet nicht: Was können sie? Sondern: Was nehmen sie uns – bevor wir es merken? Was richten sie an – noch dazu in Kombination mit Verhätschelung und Überbehütung? Und ist überhaupt noch genügend Zeit, um gegenzusteuern – oder ist das Kind längst in den Brunnen gefallen – genauer gesagt: in die virtuelle Welt?
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*** Transparenzhinweis ***In einer früheren Fassung dieses Artikels wurden Zitate irrtümlich Brisch zugeordnet. Der Fehler entstand im redaktionellen Ablauf, nicht in böser Absicht. Wir haben die Fehler nach Kenntnis umgehend korrigiert und bitten um Verständnis.
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